Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Dieser Satz von Baseballspieler Yogi Berra gilt auch für den Fußball. Und erst recht, wenn man manchmal den Anschein hat, dass es doch schon früher vorbei sein könnte, als es tatsächlich vorbei ist.
Als Real Ovideo 2001 aus der ersten spanischen Fußballliga abstiegt, titelte die größte Sportzeitung der Region: „Se Acabo“, es ist vorbei. Doch vorbei war der Abstieg des Traditionsvereins da noch lange nicht: Denn nach zwei weiteren Spielzeiten musste der Klub sportlich sogar den Gang in die 3. Liga antreten. Dort prägten finanzielle Probleme und die mangelnde Unterstützung der Stadt den Alltag des Klubs. Real Ovideo war gezwungen, den Neustart in der Viertklassigkeit zu wagen.
Da aber kam es erst einmal zum endgültigen Bruch mit der Stadt: Auf Druck des Stadtrats von Oviedo wurde der Vorstadt-Klub Astur CF in Oviedo ACF umbenannt, bekam ein neues Logo und sollte der neue neue Vorzeige-Klub der Universitätsstadt werden, die Nachfolge von Real Oviedo antreten. Die Mehrheit der Real-Fans ließ sich nicht zum Wechsel des Herzsklubs überreden, nur eine beachtliche Minderheit folgte der Empfehlung der Lokalpolitik.
Ein Jahr später kam es zum ersten Aufeinandertreffen zwischen Real und ACF. Und dieses direkte Aufeinandertreffen der beiden Vereine sorgte mit 16.573 Zuschauern dann auch direkt für einen Drittliga-Rekord. Und statt den Niedergang von Real zu besiegeln, setzte sich der Traditionsklub klar durch. Die Konsequenz: Real Oviedo blieb sportlich klar die Nummer eins der Stadt und Oviedo ACF bennante sich nach nur vier Jahren wieder in Astur CF um. Es war also noch nicht vorbei mit Real Oviedo – obwohl es wirklich ganz doll so aussah.
Danach pendelte Real Oviedo erst einmal zwischen dritter und vierter Liga. Ab 2009 konnte sich der Verein dann in der drittklassigen Segunda División B halten. Aber da waren ja immer noch die finanziellen Probleme, die den sportlichen Erfolg oft überschatteten. Hier fand man erst 2012 einen Ausweg – einen ganz schön kreativen: Eine Kapitalerhöhung, an der sich sogar Rekordmeister Real Madrid vor allem aber 36.962 Aktionäre aus 86 Ländern und Tausende weitere in Oviedo beteiligten, wurde zum großen Erfolg. Die immer wieder drohende Insolvenz konnte so ein für alle mal abgewendet werden.
Santi Carzorla, einer der bedeutensten spanischen Fußballer dieses Jahrtausends, der unter anderem zwei Mal Europameister geworden ist, stammt aus Oviedo und spielte in der Jugend für Real. 2012 gehörte er, wie auch Isco, übrigens zu den Kleinaktionären, die bei Real Oviedo einstiegen. 2003, als der Klub am Tiefpunkt angekommen war, wechselte Carzorla aus dem Nachwuchs in den Männerfußball und hatte Oviedo deswegen verlassen müssen. Zusehen zu müssen, wie der Heimatverein ums Überleben kämpft, schmerzte Carzorla. Mit seinem Investment wollte er auch Wiedergutmachung leisten.
Doch Carzorlas Rolle als Investor hatte vorlor bereits rasch an Bedeutung. Denn bereits Ende 2012 stieg der Mexikaner Carlos Slim, damals der reichste Mensch der Welt, mit einer 35%-Beteiligung bei Real Oviedo ein und verdrängte so die Kleinaktionäre aus ihrer führenden Rolle im Klub. Slim agierte dabei vor allem als Türöffner für die Grupo Pachuca. Die investierte bis dahin vor allem in Vereine in Südamerika, wo sie die Mehrheit von CF Pachuca, Club León FC und CD Everton besitzt. Die Grupo Pachuca übernahm dann auch 2022 in Oviedo die Mehrheit, Carzorla und die anderen schieden aus. Auch wenn die Basisbeteiligung damit endete, ist die Grupo Pachuca wenigstens ein verantwortungsvoller und nachhaltiger Fußballinvestor. Und trotzdem könnte man erwarten, dass damit auch die Rückkehr von Carzorla bereits vorbei gewesen ist.
Doch das Gegenteil stimmt: Über Villareal, Malaga und den FC Arsenal ging es für Carzorla zwischenzeitlich sogar für drei Jahre zum Karriereausklang nach Katar, bevor er im Sommer 2023 dann doch auch noch auf dem Rasen zu Real Oviedo zurückkehrte. „Ich würde umsonst spielen, aber es ist nicht erlaubt“, sagte der Fanliebling nach seiner Unterschrift im Sommer 2023, also 20 Jahre nach seinem Abschied. Der Mindestlohn in der Liga beträgt 77.500 Euro im Jahr. Für die kickte Carzorla. Wobei, nicht ganz, denn eine weitere Forderung hatte er dann doch noch: Zehn Prozent des Erlöses aus dem Trikotverkauf mit der Nummer acht sollten direkt an die Akademie des Vereins gehen. Der Verein stimmte zu.
Zu diesem Zeitpunkt war Real Oviedo bereits seit acht Jahren Zweitligist. Man steckte also trotz Investor im Unterhaus fest. Und Santi Carzorla sollte jetzt helfen, den Aufstieg endlich klarzumachen. Doch das gelang erst einmal nicht. 2024 scheiterte man in den Aufstiegsplayoffs an Espanoyl Barcelona. Trotz des verlorenen Sohns mit der Kabitänsbinde. Carzorla war zu diesem Zeitpunkt bereits 39 Jahre alt. Mit 39 hauchdünn am Aufstieg vorbei geschrammt – spätestens jetzt schien zumindest die Carzorla-Märchengeschichte tatsächlich vorbei zu sein.
Doch Santi Carzorla blieb und ging Real Oviedo in die zehnte Zweitliga-Saison. Und im zehnten Anlauf gelang dann endlich der Sprung ins spanische Oberhaus, wo Real Oviedo in der Ewigen Tabelle mit 1.516 Punkten aus 38 Spielzeiten übrigens ohnehin immer noch zu den Top-20 gehört – so wie auch in der kommenden Saison. Erwähnenswert: Anders als im letzten Jahr hatte Real Oviedo dank der um einen Platz besseren Platzierung in der Abschlusstabelle der zweiten Liga im Rückspiel das Heimrecht. Und die eigenen Fans im Rücken waren dann wohl auch der Gamechanger gegenüber dem vergangenen Jahr. Denn das Playoff-Hinspiel beim CD Mirandés hatte Real Oviedo noch mit 0:1 verloren, aber vor heimischen Publikum – 29.624 Fans sorgten ganz nebenbei auch noch für einen Zuschauerrekord in Oviedos Estadio Carlos Tartiere – behielt das Carzorla-Team mit 3:1 nach Verlängerung die Oberhand. Nach Verlängerung – weil es selbst nach 90 Minuten im Fußball nicht immer vorbei ist. Und am entscheidenden Tor in der Verlängerung natürlich beteiligt: Santi Carzorla, wie sollte es anders sein.

„Ich bin der glücklichste Mann. Mit 40 Jahren ist es für mich das Schönste, was ich je erlebt habe. Ich hatte das Glück, großartige Dinge zu erleben. Ich hatte Spanien, ich hatte die Vereine, für die ich gespielt habe, ich habe viele Trophäen gewonnen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich zum Schluss erlebe“, kommentierte Santi Cazorla das wahr gewordene Märchen nach. Und begründete seine Jubel-Worte so: „Schließlich habe ich seit meinem neunten Lebensjahr in dieser Jugendakademie gespielt. Ich bin hier aufgewachsen, ich habe meine Freunde, meine Familie. Ich werde mein ganzes Leben lang ein Oviedo-Fan sein. Das macht es also zu etwas ganz Besonderem. Ich habe es bereits nach dem Spiel zu meinen Mitspielern gesagt: Ich möchte mich bei ihnen dafür bedanken, dass sie mir geholfen haben, diesen Moment zu erleben.“
Nur einer konnte sich nicht wirklich über den Aufstieg freuen: Oviedos Bürgermeister Alfredo Canteli wurde beim Empfang der Aufstiegsmannschaft von den rund 5.000 Anhängern auf dem Rathausplatz ausgebuht. Nachvollziehbar. Der 78-Jährige hatte sich 2003 für den Astur CF ausgesprochen.
Der Party tut das seitdem aber keinen Abbruch. In Bochums Partnerstadt Oviedo wird seit dem Abpfiff jede Nacht zum Tag gemacht. Und wer am Morgen nach dem entscheidenden Spiel trotzdem Zeitunglesen konnte, las auf der Titelseite wieder diesen Satz: „Se Acabo„, es ist vorbei. Dieses Mal aber natürlich auf die Leidenszeit der Real-Fans bezogen.
Hoffen wir für sie, dass der Satz dieses Mal auch tatsächlich stimmt.