Die Geschichte von Niagara Sports ist auf dem ersten Blick schnell erzählt. Die Agentur von Andy Bara betreut nämlich in erster Linie namhafte Profifußballer wie Álvaro Morata oder Jonathan Ikoné. Auch am Transfer von Dani Olmo zu RB Leipzig und aus Leipzig zum FC Barcelona wie Niagara Sports beteiligt. Es ist das klassische Spielerberater-Geschäft: Hier verdient Niagara Sports über Provisionen bei Ablösen und Vertragsverlängerungen.

Doch Andy Bara hat sich noch auf ein zweites Geschäftsfeld verdient – und das ist deutlich ungewöhnlicher: Ein zweiter, weniger transparenter Geschäftszweig betrifft die Rekrutierung junger, oft afrikanischer Talente, aus Ländern wie dem Senegal. Diese werden vor Ort gescoutet und dann nach Europa vermittelt. Dort aber spielen sie nicht gleich bei denselben Topklubs wie Morata, Ikoné oder Olmo, sondern zunächst zu kleineren, oft unterklassischen Vereinen, zu denen Barta auch selbst geschäftliche Beziehungen unterhält. Gelingt den afrikanischen Talenten die Anpassung an den europäischen Fußball, erfolgt die weitere Vermittlung an größere Vereine in Europa oder den USA.

Wie das konkret funktioniert und wie Niagara Sports damit Geld verdient?

Das zeigt das Beispiel von Mikayil Faye – der mittlerweile bei Stande Rennes in der ersten französischen Liga spielt. Doch sein Weg dorthin führt mindestens durch eine Grauzone: So kritisierte im Juli 2022 Saër Seck, Präsident des senegalesischen Fußballklubs Diambars, dem Ausbildungsklub Fayes, Dinamo Zagreb scharf, da der Spieler ohne Rücksprache mit Diambars angeblich beim kroatischen Klub trainierte – obwohl er offiziell eben noch im Senegal unter Vertrag stand. Seck drohte Zagreb darum mit einer Beschwerde bei der FIFA, da dieser Vorgang gegen internationale Transferregeln verstoßen würde. Faye war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten verschwunden. Barta organisierte ihm so ein Wechsel nach Europa – allerdings nicht zu Dinamo Zagreb, sondern zum kroatischen Drittligisten NK Kustosija. Seck lag also nur knapp daneben. Und dort schlug Faye ein: Nach wenigen Monaten bei Kustosija wechselte er für 1,3 Mio. Euro zum FC Barcelona und wurde ein Jahr später für über 10 Mio. Euro an Stade Rennes verkauft.

Es geht also um viel Geld – viel Geld, von dem Barta und seine Agentur so viel wie möglich abhaben möchten. Die Zusammenarbeit mit NK Kustosija ist dabei kein Zufall. Denn Geschäftsführer von Kustosija ist Karlo Primorac, ein Geschäftspartner von Niagara-Boss Barta. Er ermöglicht die Vermittlung der Talente nach Kroatien. Um diese Verbindung später zu verschleiern nutzt Barta für die Weitervermittlung der Spieler, also zum Beispiel von Faye nach Barcelona, dann Schattenfirmen. Die Handeln für Kustosija einen cleveren Deal aus: Im Fall von Faye zum Beispiel eine 75%ige Weiterverkaufsbeteiligung. Bedeutet, dass Kustosija bei dessen Wechsel nach Rennes rund sieben Millionen Euro verdient hat. Geld, was über Primorac dann wieder bei Barta landen könnte. Nur bei Diambar landet nichts, weil der Transfer nach Kroatien nie korrekt abgewickelt wurde.

Dass Spieleragenturen oder sogar einzelne Spielervermittler junge Afrikaner für den europäischen Fußball scouten ist dabei nicht ungewöhnlich – auch nicht, dass sie dabei auf unlautere Methoden setzen und vor allem ihren eigenen materiellen Vorteil im Blick haben. Die deutsche Bundesliga erschütterte so zum Beispiel kurz vor Beginn der Saison 2021/22 der Fall des Stuttgarter Spielers Silas.

Wir erinnern uns: Anfang Juni 2021 offenbarte Silas in einer Presseerklärung auf der Website des VfB Stuttgart, dass sein Familienname nicht Wamangituka Fundu, sondern Katompa Mvumpa und sein Geburtstag nicht der 6. Oktober 1999, sondern der 6. Oktober 1998 sei. Das war passiert: Silas wurde im Alter von 18 Jahren über einen Spielervermittler zu einem Probetraining beim RSC Anderlecht eingeladen. Für die Reise erhielt er ein Visum für Belgien, gültig vom 15. August bis zum 14. November 2017 – ausgestellt auf seinen richtigen Namen: Silas Katompa Mvumpa. Anderlecht zeigte Interesse an einer Verpflichtung, Silas wollte deswegen in die DR Kongo zurückreisen, um mit einem neuen Visum zurückzukehren und den Vertrag abzuschließen. Doch der damalige Spielervermittler setzte ihn massiv unter Druck. Er redete ihm ein, dass er nie wieder nach Europa einreisen dürfe, wenn er das Land jetzt verlasse. Silas geriet daraufhin in völlige Abhängigkeit. Er lebte in Paris bei seinem Vermittler, abgeschottet von der Außenwelt. Dieser verwaltete seine Papiere, kontrollierte sein Konto und änderte sogar seine Identität: Silas erhielt von ihm schließlich neue Dokumente unter dem Namen Silas Wamangituka Fundu, dazu ein manipuliertes Geburtsdatum – genau ein Jahr jünger. Die Gründe für diese Manipulation lagen nicht im Aufenthaltsrecht; Silas war volljährig. Vielmehr sollte die Verbindung zu seinem Ausbildungsverein in der DR Kongo gekappt werden, damit dieser nicht von zukünftigen Transfererlösen profitieren würde. Und durch die falsche Identität wurde seine Abhängigkeit vom Vermittler noch größer. Silas wurde dafür vom DFB für drei Monate gesperrt und von einem ordentlichen Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Er stellte Strafanzeige gegen seinen damaligen Vermittler.

Der Fall von Silas ist dabei ohne Frage noch krasser als der von Mikayil Faye. Barta und seine Agentur prellen afrikanische Vereine um ihre Ausbildungsentschädigung – der Silas‘ Spielervermittler riskierte zustzlich dessen gesamte Existenz.

Trotzdem haben diese beiden Fälle auch etwas gemeinsam: Junge Menschen werden fremdbestimmt und zu einer Ware gemacht. Ihr sportliches Talent gerät in den Hintergrund. Spielervermittler nutzen die Alternativlosigkeit aus. Denn wenn junge afrikanische Fußballer, die aus einem ärmlichen Umfeld stammen, aus diesem ausbrechen wollen, ist der Wechsel nach Europa dafür ihre beste Chance. Das schafft Abhängigkeiten – den jungen Männern kann man das kaum übel nehmen.

Den Spielervermittlern selbstverständlich schon.

Denn auch das Vorgehen von Niagara Sports verhindert ja eine nachhaltige Entwicklung im afrikanischen Fußball. Weil die Nachwuchsakademien ja auf Aufwandsentschädigungen und Transfererlöse angewiesen sind, um ihre Arbeit aufrechterhalten zu können, um wachsen zu können und so in Zukunft mehr Talente fördern zu können – übrigens ja immer auch neben den Platz, mit gesunder Ernährung, Schulbildung und einem Einkommen, dass die gesamte Familie entlastet.

Es ist darum unbegreiflich, dass die FIFA den Transfer von Faye nicht verhindert hat.

Aber vor allem sind strengere Regeln für Spielervermittler notwendig. Jede Agentur, die in Europa Geld verdienen will, sollte nachweisen müssen, dass sie sich zu jeder Zeit an geltendes Recht hält und dass das auch für ihre internationalen Partner gilt. Das könnte die Uefa überprüfen – mit verbindlichen Regeln und Monitoringstrukturen. Die Uefa könnte dabei aber auch die aufnehmenden Vereine in die Pflicht nehmen: Vereine, die Spieler unter Vertrag nehmen, deren Ausbildungsvereine nicht regelgerecht entschädigt wurden, sollten immer Transfersperren bekommen. Denn es ist wirklich komplett unanständig, wenn sich Vereine wie der FC Barcelona an der Armut in Afrika auch noch bereichern.

Gleichzeitig braucht es aber auch im Fußball mehr Entwicklungshilfe. Finanzstarke europäische Klubs sollten Entwicklungspartnerschaften auf Augenhöhe mit afrikanischen Vereinen und Akademien haben, zum Beispiel in deren Infrastruktur investieren, müssen. Das könnte, abhängig von der Finanzkraft der europäischen Vereine, auch zu einem Lizensierungskriterium für Champions League und Co. werden. Das würde dafür sorgen, dass die Tür nach Europa für Talente aus Afrika dadurch nicht weniger weit geöffnet wird, denn diese Konsequenz wäre auch ungerecht.

Aber bei aller Liebe zum Fußball und bei aller Hoffnung, die er auf ein besseres Leben weckt: Niemals darf das Leben junger Menschen zum Spielball zwielichtiger oder gar krimineller Geschäftsleute werden.

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Von admin