Immer wieder geraten besondere Vereine in tiefe Krisen, stürzen ab und die Fußballwelt fragt sich: Wie konnte es dazu kommen? In Deutschland geht es vielen Traditionsvereinen so. Doch darüber wird an vielen Stellen schon ausführlich diskutiert. Hier auf FanLeben.de schauen wir deswegen ins Ausland und widmen uns in detaillierten Recherchen der bitteren Realität von Vereinen, die wir im internationalen Fußball heute vermissen. Im ersten Teil der Serie ging es um Vitesse Arnheim. Heute widmen wir uns Bursaspor.

Bursaspor – den Namen kennen Fußballfans spätestens seit 2010, als der Klub aus Bursa zum ersten Mal und als erster Verein, der nicht aus Istanbul oder Trabzon stammt, türkischer Meister wurde. Doch die Geschichte des Vereins beginnt früher – Anfang der 60er Jahre. Denn das heutige Bursaspor entstand am 1. Juni 1963 aus einer Fusion der Vereine Akinspor, Acar İdmanyurdu, Çelikspor, Istiklal und Pinarspor. Die Vereinsfarben sind grün und weiß. Auf dem Wappen von Bursaspor sind neben der türkischen Flagge und grün-weißen Streifen darum bis heute fünf Sterne dargestellt, welche die fünf Vereine, die sich vereinigt haben, symbolisieren. Und schon 1967 wurde Bursaspor in der Türkiye İkinci Ligi (Lig A), der zweithöchsten Spielklasse der Türkei, Meister, stieg also in die erste Liga, die heutige Süper Lig auf. Mit bis heute 50 Spielzeiten im Oberhaus hat Bursaspor hinter den drei großen Istanbuler Klubs Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş Istanbul sowie MKE Ankaragücü und Trabzonspor, gleichauf mit Gençlerbirliği Ankara, die längste Erstliga-Zugehörigkeit vorzuweisen.

Der tiefe Fall aus der Champions League bis in die vierte Liga

Die erfolgreichste Zeit der Klubgeschichte beginnt aber erst Ende der 2000er Jahre und zieht sich bis ins Jahr 2014. 2010 wurde man – wie gesagt – auch in den Jahren danach belegte man immer noch Plätze, die für die Teilnahme am internationalen Geschäft berechtigten. In der Saison 2014/15 belegte Bursaspor dann allerdings zum letzten Mal einen Platz unter den Top 10 der Erstligisten. In den Jahren darauf rutschte man sogar in den Abstiegskampf ab und schlussendlich stieg Bursaspor in der Saison 2018/19 als Sechzehnter tatsächlich in die zweite Liga, die TFF 1. Lig, ab.

Doch damit nicht genug: Nachdem man in der darauffolgenden Saison den direkten Wiederaufstieg erst in den Meisterschafts-Playoffs verpasste, stieg man drei Jahre später wieder ab. Die neue sportliche Realität: TFF 2. Lig, die Drittklassigkeit. Und auch da ging es katastrophal weiter: In der ersten Drittligasaison schaffte Bursaspor den Klassenerhalt nämlich mit nur einem Punkt Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz. In der darauffolgenden Saison stieg der Verein dann sogar in die vierte Liga, die TFF 3. Lig, ab. So tief hatte Bursaspor seit der Fusion der fünf Quellvereine noch nie gespielt. Besonders bitter: Mit İnegölspor und Karacabey Belediyespor blieben zwei andere Vereine aus Bursa in der dritten Liga – man verlor also sogar den Status als Nummer eins der Region. Immerhin: Dieses Jahr stieg Bursaspor wieder in die dritte Liga auf.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie konnte es soweit kommen?

Große Fanbase, starke Wirtschaft: Warum Bursa zu den spanndesten Fußballstandorten in der Türkei gehört

Noch dazu an einem der spannendsten Fußball-Märkte in der Türkei. Denn Bursa, auch touristisch attraktiv direkt zwischen Marmarameere und dem Fuße des 2.543 Meter hohen Berges Uludağ (Mönchsberg) mit umliegendem Gebirge gelegen, ist mit über 2 Millionen Einwohner*innen die viertgrößte Stadt der Türkei und nach Istanbul neben Ankara die wichtigste Wirtschaftsregion. Bursa ist nämlich eines der bedeutendsten Industriezentren der Türkei, vor allem in der Automobilindustrie: Große Automobilhersteller wie TOFAŞ (Fiat), Oyak Renault, Karsan und Bosch haben dort Werke. Zudem gibt es ein dichtes Netz an Zulieferbetrieben und automobilnaher Industrie. Außerdem verfügt Bursa über ein bedeutendes Netz der Textilproduktion, so ist die Stadt historisch für seine Seidenproduktion und heute für moderne Textilien und Heimtextilien bekannt. Yeşim Tekstil produziert zum Beispiel unter anderem für Adidas, Nike und H&M. Aber auch Maschinenbau, Lebensmittelverarbeitung, chemische Industrie und Landwirtschaft tragen zu einem Pro-Kopf-Einkommen bei, das im Schnitt 8% über dem Durchschnitt der Türkei liegt. Außerdem hat fast jedes zehnte der 500 umsatzstärksten Unternehmen in der Türkei seinen Sitz in Bursa. Heißt: Es gibt ein erstklassiges Sponsoringpotenzial – und viele Fans, die mit Ticket- und Fanartikelshopping für hohe Umsätze sorgen könnten.

Außerdem verfügt Bursaspor – bis heute! – mit dem Nachwuchszentrum „Vakıfköy Orhan Özselek Tesisleri“ über eines der modernsten und bestorganisierten Ausbildungszentren der Türkei. Es wird regelmäßig für seine Infrastruktur, Disziplin und Förderphilosophie gelobt. Spieler wie Okan Buruk, Volkan Şen, Sercan Yıldırım oder auch Enes Ünal wurden im Verein ausgebildet und reiften in kurzer Zeit zu Führungsspielern. Dabei setzt der Verein auf ein enges Scoutingnetz in der Region, kaum ein Talent aus Bursa geht Bursaspor verloren – das ist tatsächlich meisterlich. Und hätte die Grundlage für den langfristigen Erfolg sein können.

Hätte, können – darum nochmal: Warum nicht?

Der hausgemachte Niedergang

Die Antwort ist vielfältig. Am wichtigsten aber ist dieser Punkt: Schon lange vor dem Peak 2010 war Bursaspor hoch verschuldet. Trotzdem wollte man sich nun sofort und ohne nachhaltige Planung als Champions-League-Klub etablieren. Also stiegen nach dem Meistertitel 2010 die Ausgaben für Spieler und Trainer immer weiter. Einnahmen zum Beispiel aus dem internationalen Wettbewerb wurden direkt wieder in die Mannschaft, in einige Flop-Transfers, aber eben nicht in die Entwicklung der Vereinsinfrastruktur oder den dringend benötigten Abbau der Schulden gesteckt. Damit wurde der Verein rasch handlungsunfähig und geriet in einen Teufelskreis: Denn aufgrund offener Gehälter und Schulden bei Ex-Spielern sowie nicht gezahlten Sozialabgaben verhängten die FIFA und der türkische Fußballverband Transferverbote. Eine nachhaltige Verbesserung der Mannschaft war damit – trotz der guten Nachwuchsarbeit – nicht mehr möglich. Mehr noch: Die eigenen Talente blieben über Jahre auf der Strecke. Auch wurde man wegen all dem durch die UEFA von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Deswegen nahm der sportliche Abstieg sofort Fahrt auf und mit den dadurch ausbleibenden Prämien verschärfte sich dann natürlich auch die wirtschaftliche Situation immer weiter – so viel weiter, dass irgendwann sogar die TV-Einnahmen von den Gläubigern verpfändet wurden und Bursaspor de facto keinen richtigen Cashflow mehr hatte.

Und dann ist da noch eine anhaltende Führungskrise. Denn noch größer als die Fluktuation aus dem Platz war nur die Fluktuation im Präsidium. Dabei wurde das verantwortungsvolle Spitzenamt bei Bursaspor oft als persönliches Prestige oder politisches Sprungbrett missbraucht. Viele Präsidiumsmitglieder kamen so aus dem Umfeld der in der Türkei regierenden AKP, Bursa ist eine konservative Stadt, wollten über Bursaspor in der Politik Karriere machen, verfügten aber weder über sportliche Kompetenz, noch über eine langfristige Strategie für den Verein. Gleichwohl wählten sie Sportdirektor, Trainer und auch Spieler mitunter sogar nach ihrer Nähe zur AKP aus. Trotzdem war sogar das Verhältnis zur konservativen Stadtverwaltung oft angespannt, sodass es auch von dort keine wirkliche Hilfe gab. Es gab zudem keine klaren Audit-Prozesse oder externen Finanzprüfungen. Die Folge: Vetternwirtschaft und Intransparenz. Das wiederum sorgte für den Rückzug vieler lokaler Sponsoren und raubte dem Verein damit immer weiter seine wirtschaftliche Grundlage, auch zahlreiche Fans wendeten sich frustriert ab. Alles in allem ein Giftcocktail.

Schnell zurück nach oben? Wie Bursaspor sein Comeback plant

2024 war Bursaspor so am Tiefpunkt angekommen. Daraufhin wurde Enes Çelik zum 33. Präsidenten des Vereins gewählt. Çelik ist Jurist und Unternehmer. Seit rund 9 Jahren leitet er ein eigenes Textilunternehmen. Außerdem ist er aktuell Vorsitzender des Verwaltungsrats der Uludağ OSB – einem großen Industriepark in den Regionen Gürsu und Kestel bei Bursa, mit etwa 250 angeschlossenen Fabriken. Er bringt also rechtliche und wirtschaftliche Kompetenzen sowie ein breites Netzwerk in den Verein ein. Mit einem heute gerade einmal 39 Jahren verspricht er zudem Kontinuität. Und politische Unabhängigkeit: „Wir werden in unserem Verein keine Parteipolitik betreiben – weder AKP noch CHP, MHP oder İYİ“, erklärte er zum Beispiel vor seiner Wahl und auch wenn Vertreter aller großen Parteien im Vorstand von Bursaspor sitzen, werde „im Verein nie über Politik gesprochen.“ Enes Çelik, selbst parteilos, ist allerdings der Sohn von Faruk Çelik, einem Gründungsmitglied der AKP und ehemaligen Minister, und nutzt die politischen Netzwerke des Vaters durchaus.

Enes Çelik löste mit seiner hemdsärmeligen Art so eine starke Euphorie in Bursa aus. Sein Versprechen: Die Schulden endlich abzubauen, den Verein sportlich zurück nach oben zu führen und zu einem sozio-kulturellen Treffpunkt in Bursa zu entwickeln. Seine Amtszeit begann darum mit einer erfolgreichen Spendensammlung, knapp über 9 Millionen Euro kamen zusammen und konnten in den Schuldenabbau investiert werden. Außerdem wurden für alle Heimspiele über 20.000 Tickets verkauft, teilweise sogar noch mal deutlich mehr – was selbst weltweit kaum ein anderer Viertligist jemals fertig brachte. Darüber stiegen auch die Merchandising-Einnahmen wieder stark an. Damit zeigte der Verein seine Handlungsfähigkeit, was ihm rasch neues Vertrauen bei Sponsoren einbrachte. So wurden sogar Investitionen in das in die Jahre gekommene Stadion und die weitere Infrastruktur, zum Beispiel das Nachwuchszentrum, möglich. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung plant man darüber hinaus gerade die Schaffung von Cafés und Restaurants am Stadion, um das Gelände zum Treffpunkt zu entwickeln und dem Klub weitere Einnahmen zu garantieren. Auch aus den Transferbeschränkungen des Verbandes arbeitete man sich heraus, indem man es das ganze Jahr über schaffte, sämtliche Gehälter und Sozialabgaben immer pünktlich zu zahlen. Das Ziel ist es zudem, bis Ende 2025 komplett schuldenfrei zu sein. All das wirkt also tatsächlich nachhaltig.

Und auch sportlich war das erste Jahr unter Enes Çelik erfolgreich: Nach drei knallharten Abstiegen, gab es endlich mal wieder einen Aufstieg – Bursaspor spielt also im kommenden Jahr wieder drittklassig. Schon jetzt sind über 26.000 Dauerkarten verkauft und kluge Transfers getätigt, auch der eigene Nachwuchs spielt eine wichtige Rolle in der ersten Mannschaft. Der Kader ist dabei durchfinanziert, es droht, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, erneut keine Deckungslücke. Expert*innen rechnen darum mit dem erneuten Aufstieg und damit die Rückkehr in die zweiten Liga, der Schwelle zur Süper Lig. Das Potenzial der Region wird also endlich wieder abgerufen.

Trotzdem geht dem Präsidenten die Entwicklung kaum schnell genug. Er sagt: „In zwei Jahren wollen wir wieder in der Süper Lig sein. Und im ersten Jahr dort ist unser Ziel die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb.“

Bleibt zu hoffen, dass sich Bursaspor dieses Mal nicht wieder übernimmt.

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Von admin