Als Ende August 1913 der PSV Eindhoven als Betriebssportmannschaft von Philips gegründet wurde, wurde unterm Bayerkreuz im 115 Kilometer entfernten Leverkusen schon seit fast zehn Jahren offiziell gekickt. Die Werkself von Bayer Leverkusen wurde immerhin schon 1904 gegründet. Beide Vereine teilen also eine Geschichte – aber ihr weiterer Weg unterscheidet sich grundlegend. Dabei liegt in der Geschichte des PSV Eindhoven vielleicht sogar die Lösung für den Streit um die 50+1-Regel in Deutschland. Aber der Reihe nach.

Bei Bayer in Leverkusen ist Fußball heute ein kommerzielles Unternehmen

Beginnen wir mit Bayer Leverkusen. Die Werkself ist bis heute ein klassischer Werksverein. Bis zur Professionalisierung der Fußballabteilung spielten vor allem Bayer-Mitarbeiter für Bayer Leverkusen. Aber auch anschließend förderte und kontrollierte Bayer „seinen“ Verein. Seit jeher „genießt“ Bayer darum auch eine Ausnahme von der 50+1-Regel: Als der eingetragene Verein Bayer Leverkusen die Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgliederte, durfte das Unternehmen Bayer sofort 100% an der neuen GmbH übernehmen. Die 100% hält Bayer auch bis heute. Der Werkssportverein hat keinen Einfluss auf den Profifußball – im Gegenteil: Das Unternehmen Bayer, das Bayer Leverkusen auch finanziell fördert, nutzt seine Mannschaft als Teil der Werbestrategie. Andere finanzieren TV-Spots – Bayer finanziert Bundesligafußball in Leverkusen.

Von seiner Gründung an bis 1999 war auch der PSV Eindhoven ein ziemlich klassischer Werksverein, der eng mit dem Elektronikkonzern Philips verbunden war. Die Mitgliedschaft im Verein war dabei fast ausschließlich auf Philips-Mitarbeiter und deren Umfeld beschränkt, sodass Fans kaum Einfluss auf den Verein nehmen konnten – also außer, sie arbeiteten bei Philips, am besten im Management. Denn die strategische Kontrolle lag zudem fest in den Händen des Unternehmens, das sowohl ein Vorrecht bei der Besetzung von Führungsposten hatte und auch die finanzielle Basis sicherte.

Doch bei der Ausgliederung des Profifußballs aus dem Werksverein gingen beide Klubs unterschiedliche Wege. In Leverkusen gründete man – wie gesagt – eine GmbH, die bis heute fest zur Bayer AG gehört, also ein Unternehmen im Konsortium ist. Aber was machte man in Eindhoven?

Als sich auch der PSV Ende der 1990er-Jahre zunehmend dem internationalen Wettbewerbsdruck gegenübersah, wurde rasch klar, dass der Verein wirtschaftlich flexibler und professioneller aufgestellt werden muss. Der niederländische Profifußball stand damals vor einem strukturellen Umbruch: Sponsorenengagement, Transfermarkt und TV-Einnahmen hatten Dimensionen erreicht, die klassische Vereinsstrukturen kaum mehr effizient verwalten konnten. Entwicklungen also, wie wir sie auch in Deutschland kennen. Auch beim PSV entschied man sich deshalb 1999, den Profibereich in eine eigenständige Kapitalgesellschaft, die PSV NV, auszugliedern. Das ist eine klassische niederländische Aktiengesellschaft. Die Maßnahme war auch eine Reaktion auf Entwicklungen im europäischen Fußball, in dem Kapitalgesellschaften und Investorenmodelle bereits auf dem Vormarsch waren. Bis hierhin also ein ziemlich identischer Weg.

Philips in Eindhoven entschied sich für eine gemeinnützige Stiftung – und gab dafür sogar die Kontrolle ab

Doch als der PSV Eindhoven im Jahr 1999 die Profifußball-Abteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgliederte, wurde gleichzeitig die „Stichting PSV“ gegründet – eine Stiftung, die seither alle Stimmrechte über den Profifußball kontrolliert. Ziel war es, den Verein vor unkontrollierbaren Einflüssen von Investoren zu schützen und zugleich langfristige Stabilität zu sichern. Die Stiftung hält bis heute 100 Prozent der Stimmrechte an der NV, also der Aktiengesellschaft, die den Profibereich betreibt. Ihr Auftrag ist ausdrücklich die Bewahrung der Vereinsidentität und -kultur. Sie darf darum auch keine Anteile an der NV verkaufen und keine Gewinne abführen – weder an Philips selbst noch an den Werkssportverein des Unternehmens.

Anders als bei vielen internationalen Klubs, bei denen Milliardäre oder Investmentfonds mitreden, liegt die Entscheidungshoheit bei PSV heute damit in den Händen einer kleinen, unabhängigen Gruppe von Kurator*innen. Und die Unabhängigkeit ist echt: Denn die Stiftung ist nach niederländischem Recht organisiert – als sogenannte „stichting“, also als eine juristische Person ohne Mitglieder. Ihre Führung, der Stiftungsrat, ergänzt sich selbst: Neue Mitglieder werden intern kooptiert, also durch das bestehende Gremium bestimmt. Von außen kann niemand Einfluss auf sie nehmen.

Die Kurator*innen sollen dabei durchaus aus dem Umfeld des PSV Eindhoven kommen und nach Möglichkeit sportliche und wirtschaftliche Expertise verbinden. Das beste Beispiel dafür ist Jan Albers: Jan Albers war Teil der niederländischen Feldhockey-Nationalmannschaft und absolvierte in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren über 70 Länderspiele. Er nahm unter anderem an der Hockey-Weltmeisterschaft 1978 und den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles teil. Danach wurde Albers Manager bei vverschiedenen Unternehmen und engagierte sich als Vorsitzender des niederländischen Hockeyverbandes.

Wie Fans und Unternehmen ihren Klub heute begleiten

Gleichzeitig können Fans, die nicht zu Philips gehören, seit den späten 1990er Jahren Mitglied im Amateursportverein PSV Eindhoven werden. So sollen auch externe Sportbegeisterte und Fans eingebunden werden. Aber Achtung: Weil die Stiftung unabhängig ist, haben die Mitglieder des Vereins heute keinen direkten Einfluss auf den Profifußball. Sie organisieren aber den Nachwuchsbereich und bieten zusätzlich Amateursport an und kooperieren so eng mit der Stiftung. Auch das ist also anders als in Leverkusen. Aber eine direkte Fanbeteiligung in der Stiftung gibt es auch nicht, auch wenn sich PSV durch Fanräte und Dialogformate wie in Leverkusen bemüht, Nähe zur Basis zu halten.

Aber auch das Unternehmen Philips hat sich zumindest indirekt weiter Einfluss gesichert: In den Statuten der Stichting PSV ist nämlich festgeschrieben, dass die traditionsreiche Verbindung zu Philips bei der Wahrung der Vereinsidentität und Kultur berücksichtigt werden sollen. Somit bleibt die Geschichte des Unternehmens auch künftig ein wichtiger Leitfaden für die strategische Ausrichtung und das soziale Engagement des Vereins.

Die Stiftung sichert nicht nur die Gemeinnützigkeit des Fußballs – sondern auch Philips‘ Erbe

Konkret bedeutet das, dass Philips als Namensgeber (das P in PSV steht weiter für Philips) und durch die Nutzung der Vereinsfarben Rot und Weiß, die eng mit der Unternehmensgeschichte verbunden sind. Außerdem tritt Philips unter anderem als Namenssponsor des Stadions und an vielen weiteren Stellen im Umfeld des Klubs auf. Direkten Einfluss auf sportliche oder wirtschaftliche Entscheidungen hat Philips aber eben explizit nicht mehr – diese liegen vollständig bei der Stiftung und dem Vereinsmanagement. Die Beziehung bleibt vor allem symbolisch und strategisch geprägt, um die Identität des Vereins zu stärken und die enge historische Verbindung sichtbar zu halten. Philips profitiert also nicht mehr am materiellen Gewinn des PSV – aber am immateriellen sehr wohl.

Was die PSV-Fans aber nicht stört – im Gegenteil: Sie sind stolz darauf, dass ihr Verein dem Arbeitersport entstammt. Man kann sich vorstellen, dass bei den ersten Trainingseinheiten früh im 20. Jahrhundert auch politisch agitiert wurde, bis heute organisiert die aktive Fanszene immer wieder Solidaritätsprojekte, auch wenn andere Fankurven, zum Beispiel die von Ajax Amsterdam, als deutlich politischer und progressiver eingeschätzt werden kann; früher kickten junge Arbeiter für den PSV, heute schaffen hier viele internationale Talente den Durchbruch nach Europa. Die Geschichte hat also Kontinuität, was auch die Fans, die Fußball schauen statt ein Unternehmen supporten zu wollen, akzeptieren.

Die Gründung der Stichting war dabei letztlich ein präventiver Schritt – noch bevor der europäische Fußball durch Investoren wie bei Chelsea oder Manchester City grundlegend verändert wurde. PSV entschied sich bewusst für eine Struktur, in der nicht kurzfristige Gewinne, sondern die Bewahrung sportlicher und kultureller Identität im Mittelpunkt steht. Was ja das gemeinsame Interesse von Philips und den PSV-Fans ist. Das Modell mag nicht perfekt sein, doch es hat den Verein bislang vor tiefgreifender Fremdsteuerung bewahrt – in einer Branche, die sich rasant verändert.

Genau diese Lösung könnte darum auch in Deutschland funktionieren. Denn das Bundeskartellamt hat ja jüngst eine Reform der 50+1-Regel angemahnt: Um die Regel, die von existenzieller Bedeutung für den deutschen Fußball ist, zu sichern, muss sie ausnahmslos für alle Vereine gelten – also unter anderem auch für Bayer Leverkusen. FanLeben.de berichtete.

Würde das PSV-Modell auch in Deutschland funktionieren?

Die Bayer AG könnte sich nun wie Philips 1999 organisatorisch aus dem Fußballklub zurückziehen und eine gemeinnützige Stiftung gründen. Diese Stiftung könnte dabei wie die PSV-Stiftung den Auftrag bekommen, den Fußballklub Bayer 04 zu erhalten und weiterzuentwickeln – mit Bayerkreuz auf der Brust und fest in Leverkusen verankert.

Damit würde die Bayer AG wie auch Philips immer noch vom positiven Image der Werkself profitieren, aber gleichzeitig keine Ausnahmeregelung von der 50+1-Regel mehr brauchen. Im Gegenteil: Die Fußballmannschaft würde unabhängig vom Konzern, ohne hart mit ihm brechen zu müssen. Für den Konzern wäre das ein guter Deal. Denn Fakt ist: Bayer erwirtschaftet schon heute keinen Gewinn mit seiner Fußballmannschaft, es geht dem Unternehmen um den Werbeeffekt und weitere immaterielle Werte.

Und für die Fans? Sie sollten sich – anders als es die Anhänger*innen des PSV Eindhoven durchsetzen konnten – einen festen Platz im Kuratorium der Stiftung und die Einstimmigkeit als dessen Entscheidungsgrundlage zusichern lassen, wie es auch beim PSV die Regel ist. Das würde nicht zuletzt auch das Kartellamt freuen, denn das fordert ja explizit die Kontrolle eines jeden Stammvereins über „seine“ Kapitalgesellschaft. Spätestens dann wäre es auch für die Fans ein ziemlich guter Deal. Denn der Fußball würde unabhängig von einem Konzern, demokratische Strukturen würden etabliert und seine Gemeinnützigkeit würde gesichert. Und genau darum geht es ja mit der 50+1-Regel.

Das hätten sich die Werksfußballer von Philips aber sicher nicht träumen lassen, weder bei der Gründung 1913 noch bei der Ausgliederung 1999, dass sie mal zum Vorbild für die Werkself in Leverkusen würden. Aber so weit sind 115 Kilometer ja auch nicht.

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Von admin