Im November 2006 klingelte in Brasilien das Telefon. Wo auch sonst, wenn es um eine spannende Fußballgeschichte gehen soll. Michael Ströll, damals Sportökonomie-Student im Auslandspraktikum in Porto Alegre, ahnte nicht, dass dieser Anruf seine Zukunft bestimmen würde. Am anderen Ende der Leitung: der FC Augsburg. Gesucht wurde ein Praktikant. Ströll zögerte keine Sekunde – Fußball war für ihn nie nur ein Hobby, sondern Leidenschaft: In der Junioren-Bundesliga schnürte er die Schuhe für Jahn Regensburg, später für Weiden in der Bayernliga und die zweite Mannschaft des FCA.Trainiert wurde er damals übrigens von einem gewissen Thomas Tuchel, ein Mitspieler bei den Augusburger Amateuren war Julian Nagelsmann. Wie für Tuchel und Nagelsmann sollte es nun also auch für Ströll über Umwege in den Profifußball gehen. Aber nicht als Spieler oder Trainer, sondern als Funktionär. Auch gut.
Zwei Jahre später bot sich Ströll die große Chance: Ein fester Job beim FC Augsburg, der gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen war. Kurzerhand brach er sein Auslandssemester in Brasilien ab, kehrte zurück in die Heimat und tauchte ein in die Strukturen eines Vereins, der damals allerdings noch in ganz anderen Dimensionen unterwegs war: Vier festangestellte Mitarbeiter, eine Geschäftsstelle an der Donauwörther Straße, Fensterscheiben mit Sprung, im Winter wurde im Büro in Jacke und Mütze gearbeitet – weil eine Reparatur der Fenster zu teuer gewesen wäre. Ströll blieb trotzdem. Er hatte seine Chance erkannt.
Sein Aufstieg war dann nämlich ebenso stetig wie zielstrebig. Vom Praktikanten in der Buchhaltung arbeitete er sich Schritt für Schritt nach oben. 2016 rückte er dann sogar in die Geschäftsführung auf. Damals noch als Co-Geschäftsführer von Stefan Reuter, dem Geschäftsführer Sport, seit dessen Wechsel in eine Berater-Rolle 2023, ist Ströll seit knapp zwei Jahren nun sogar der alleinige Boss in Augsburg.
Was sich seit seinem Einstieg verändert hat, lässt sich dabei durchaus in Zahlen fassen –Lag der Umsatz zu Beginn seiner Amtszeit bei rund zehn Millionen Euro, sind es heute mehr als 100 Millionen. Der Verein beschäftigt statt Strölls 4 Kollegen aus Praktikumszeiten inzwischen rund 150 festangestellte Mitarbeiter und verfügt statt über eine drückende Altschuldenlast über 40 Millionen Euro Eigenkapital sowie ein Immobilienvermögen im Wert von 120 Millionen. „Es ist unglaublich, dass eine solche Entwicklung möglich war“, sagt Ströll. „Natürlich braucht es Glück – aber auch einen klaren, langfristigen Plan.“
Dass Ströll diesen Plan konsequent verfolgt, zeigt sich nicht nur in der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch bei personellen Entscheidungen beweist er Führungsstärke. Und wenn es sein muss auch Führungshärte: Zuletzt entließ er Trainer Jess Thorup und Sportdirektor Marinko Jurendic – trotz respektabler sportlicher Bilanz, der FC Augsburg steckte letzte Saison immerhin gar nicht wirklich im Abstiegskampf. Eine Entscheidung, die nicht überall auf Verständnis stieß. Kritiker bemängeln die hohe Fluktuation auf der Trainerbank während seiner Amtszeit. Ströll aber bleibt bei seinem Kurs. Nach 15 Bundesliga-Jahren soll der FCA den nächsten Schritt gehen, auch neben dem Platz.
Mit Sandro Wagner hat er darum nun einen neuen Trainer geholt, der nicht nur fußballerisch, sondern auch medial für frischen Wind sorgen soll. Der ehemalige TV-Experte und Co-Trainer von Julian Nagelsmann bei der Nationalmannschaft steht wie kein Zweiter für eine neue Sprache im Fußball – klar, direkt, meinungsstark. Aber auch taktisch steht er für einen anspruchsvollen, ballbesitzorientierten Fußball, das ist neu in Augsburg. Damit hatte Wagner bislang erfolg: Mit der A-Jugend von Unterhaching stieg er direkt mal in die Bundesliga auf, mit der erste Mannschaft der Münchener Vorstädter wiederholte er das: Mit fast den selben Spielern in seinem Kader, stieg er aus der Regionalliga in die 3. Liga auf. Auch in der sportlichen Führung stellt sich der Klub breiter auf: Mit Benjamin Weber, einst Co-Trainer von Strölls anderem prominenten Wegbegleiter Thomas Tuchel, kommt zusätzliche Kompetenz – und Prominenz – nach Augsburg. Ströll riskiert damit viel. Sollte das neue Konzept scheitern, wird die Kritik ihn treffen. Aber er kann auch viel gewinnen: Denn wie Wagner ist auch Weber ein extrem gefragter Mann, galt als einer der klügsten und weitsichtigsten Kaderplaner der 2. Liga, hat die Mannschaft des SC Paderborn, die er zuletzt als Geschäftsführer verantwortete, verjüngt und verbessert, damit die Umsätze gesteigert und Ambitionen auf ein drittes Bundesligajahr im Erzbistum geweckt.
Passend dazu sieht Ströll den entscheidenden Meilenstein in dieser Entwicklung dabei schon vor zweieinhalb Jahren: Gemeinsam mit Manager Reuter verabredete er da nämlich eine klare strategische Ausrichtung. Mehr Nachwuchs, mehr eigene Identität, mehr Bodenständigkeit. Bis dahin hatte es kaum ein Spieler aus dem Nachwuchs der Fuggerstädter in die Bundesliga geschafft, mit Mert Kömür ist erstmals ein Eigengewächs Stammspieler. Mit Tobias Jäger, Noahkai Banks und Mahmut Küçükşahin sind drei weitere Talente fest für die Bundesliga eingeplant, einige weitere stehen auf dem Sprung. Auch das Durchschnittsalter der Neuzugänge beträgt diese Saison nur 24 Jahre.Formularende
Rein sportlich bewegt sich gerade also eine ganze Menge in Augsburg und Michael Ströll leitet eines der spannendsten Projekte der Bundesliga. Aber zur Glorifizierung taugt dieser Weg nicht. Denn viel von dem Wachstum, das Augsburg in den vergangenen 15 Jahren erzielt hat, war künstlich erzielt. Walter Seinsh, mit dem der FCA als Präsident in die Bundesliga aufstieg, agierte noch als Vereins-naher Mäzen. Sein Nachfolger, Rüdiger Hofmann, hingegen schon als Investor. Er erwarb Anteile an der ausgegliederten Kapitalgesellschaft und lies sich zum Vereinspräsidenten wählen – auch eine Art, die 50+1-Regel zu umgehen.
Hofmann hat die Doppelrolle als Präsident und Investor mittlerweile zwar wieder aufgegeben, Markus Krapf steht jetzt an der Spitze des Vereins. Dafür hat er seine Rolle als Investor ausgebaut: Die Hofmann-Beteiligungs-GmbH hält mittlerweile 99,4% Kommandit-Anteile an der Profifußballgesellschaft, ist damit allerdings ja nicht zur Geschäftsführung berechtigt. Dafür hat Hofmann Teile seiner GmbH am Verein vorbei verkauft: 45% hält die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft Bolt Football Holdings von David Blitzer, die ansonsten an Crystal Palace aus der englischen Premier League, das Basketballteam Philadelphia 76ers aus der nordamerikanischen NBA sowie die New Jersey Devils aus der Eishockeyliga NHL beteiligt ist. Der belgische Erstligist Waasland-Beveren gehört der Bolt-Gruppe seit September 2020 zu 97 Prozent. Blitzers Team bringt zwar Know-how in den FC Augsburg ein, finanziell am Einstieg profitiert hat der Stammverein durch die Hofmann-Konstruktion aber nicht. Der FCA ist damit aber de Facto auch Teil eines Multi-Club-Ownerships. Darüber, warum solche Konstruktionen problematisch sind, hat FanLeben.de bereits berichtet.
Michael Ströll und Rüdiger Hofmann haben dabei keine besonders gute Beziehung. Seit 2022 streiten sie sich über die strategische Ausrichtung. Hofmann will über den jüngsten Trainerwechsel von Thorup zu Wagner zum Beispiel nicht informiert worden sein.
Einen weiteren Konfliktpunkt haben CEO und Kapitalseite beim Thema 50+1: Michael Ströll spricht sich klar für den Erhalt der 50+1-Regel aus – eine generelle Abschaffung lehnt er ab. Zugleich fordert er, dass etwaige Ausnahmeregelungen nur dann zulässig seien, wenn sie für alle gelten oder für niemanden. Eine komplette Abschaffung hält er – im Unterschied zu manchen Kritikern – nicht für sinnvoll, da sie die Chancengleichheit im deutschen Fußball massiv gefährden würde. Ströll warnt davor, einzelnen Vereinen Sonderrechte einzuräumen, da dies das Prinzip untergraben und das Wettbewerbsgefüge verzerren würde Klaus Hofmann hingegen schlägt vor, dass jeder Klub selbst entscheiden soll, ob er mehr als 50% seiner Anteile verkaufen möchte – beim FC Augsburg hätte dann er das Sagen.
Michael Ströll gibt den Fuggerstädtern also eine eigene Identität. Und eckt bei den Investoren dafür an, wenn es denn sein muss.
Das ist auch nötig, denn so richtig angenommen wir der Augsburger Bundesliga-Fußball noch nicht: Zwar kletterte die Stadionauslastung des FCA in den letzten Jahren auf deutlich über 90%, aber nur jedes zweite Heimspiel ist ausverkauft – und das bei einer Stadionkapazität von ohnehin nur knapp über 30.000.
Fakt ist darum, dass es weiteres Wachstum braucht. Nicht nur, um im Blickfeld von Tuchel und Nagelsmann zu bleiben. Michael Ströll wirbt dabei, trotz der schnellen Veränderungen, die er zuletzt auf Schlüsselpositionen vorangetrieben hat, für Nachhaltigkeit, den richtigen Stab für diesen Weg hat er jetzt beisammen. Expertise in der Talententwicklung, eine eigene, Augsburger-Spielidee. Fußball-fremden Geld und Multi-Club-Netzwerken steht er anders als andere im Vereinsumfeld eher kritisch gegenüber. Dafür weiß er wie eine beständige Weiterentwicklung funktioniert – er hat sie ja selbst vorgemacht.