Manchmal gewinnt der Underdog.

Es war der 18. Februar 2024, also vor eineinhalb Jahren. Der FC Bayern, amtierender und Rekordmeister, war zugast im Bochumer Ruhrstadion. Der VfL Bochum, ein Abstiegskandidat. Und die Sache schien auch geklärt zu werden wie erwartbar: Schon nach 14 Spielminuten brachte Jamal Musiala die Bayern in Führung. Kurz darauf hätte Bayern-Rekordeinkauf Harry Kane sogar das 2:0 erzielen müssen.

Doch das Blatt wendete, der VfL gewann 3:2. Was war passiert?

Die Bayern hatten nach dem Spiel diese Erklräung: Eine 15-minütige Spielunterbrechung ab der 21. Spielminute habe die Dynamik des Spiel verändert. Plötzlich drängten die Bochumer. Nach dem schön-herausgespielten Ausgleichstreffer von Takuma Asano (38.) und dem hart-erarbeiteten Kopfballtreffer von Keven Schlotterbeck (44.) führten die Bochumer bereits zur Pause. Das Stadion tobte. In der 78. Minute machte dann Kevin Stöger, der schon den Führungstreffer vorbereitet hatte, per Elfmeter alles klar. So ist Fußball: Wenn es eine Mannschaft schafft, sich in einen Rausch zu spielen, das Spielglück auf ihrer Seite hat, dann schlägt David Golliath. Ohne die Spielunterbrechung – und der Entschätzung der Bayern-Bosse schlossen auch viele Expert*innen an – wäre das an diesem Samstag nicht passiert. Bayern hätte einen Pflichtsieg errungen. So aber kam es zur Sensation.

Fanproteste verändern den Fußball

Warum diese Geschichte gerade heute relevant ist, liegt an einer Bewertung, die das Bundeskartellamt heute veröffentlicht hat. Und daran, wie ihr Thema im Zusammenhang mit der Spielunterbrechung am 18. Februar 2024 steht: Denn die Spielunterbrechung in Bochum war kein Einzelfall – sie hatte vor gut 18 Monaten ligaweit, ja sogar in Liga 1 und 2, System.

Hintergrund: Ende 2023 und Anfang 2024 plante die DFL, der Zusammenschluss der 36 Erst- und Zweitligisten, die den Spielbetrieb der Männer-Bundesligen organisiert, den Einstieg eines Investorens in den Ligaverband. Der Investor sollte dabei helfen, die Vermarktung des Produkts Bundesliga zu verbessern. Die organisierten Fanszen lehnten das ab. Sie sahen darin eine weitere Kapitalisierung des Fußballs, einen Ausverkauf ihrer Werte und einen Einflussverlust der Vereine. Deswegen flogen ab der 20. Minute in dieser Zeit stets Tennisbälle auf den Rasen (außer, wenn zum Beispiel Leipzig gegen Hoffenheim spielte, wen wunderts). Die Botschaft der Fans: Ohne uns findet die Bundesliga nicht statt. Das sahen auch die gehandelten Investoren so und zogen sich, obwohl eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Klubs trotz allem einen Investor wollte, zurück. Noch so ein Sieg von David gegen Golliath.

Übrigens: Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit unter den DFL-Klubs kam nur hauchdünn zustande, exakt eine Stimme entschied. Und weil alle Teams danach ihr Abstimmungsverhalten veröffentlichten ist klar, dass die entscheidende Stimme vom damaligen Hannover 96-Geschäftsführer Martin Kind kam. Das behalten wir im Hinterkopf.

Was ist 50+1 und worüber wird diskutiert

Erst einmal aber zurück zum Bundeskartellamt. Das hat sich heute mit der Frage beschäftigt, ob die 50+1-Regel gegen deutsches oder europäisches Wettbewerbsrecht verstößt. Bislang galt: Sie tut es nicht, wenn sie rechtsverbindlich für alle Vereine gilt. Doch in der Bundesliga gibt es bislang zwei Ausnahmen: Den VfL Wolfsburg, dessen Alleingesellschafterin die Volkswagen AG ist, und Bayer Leverkusen, das ausschließlich von der Bayer AG kontrolliert wird. 2018 hatten sich Kartellamt und DFL darum auf einen Kompromiss geeinigt: Die 50+1-Regel gilt für alle, weitere Ausnahmen wird es in Zukunft nicht geben, aber für Wölfe und Werkself gilt eine Ausnahmeregelung. Doch auch an diesem Kompromiss gibt es seit einiger Zeit Zweifel, vor allem auch wegen europäischer Rechtssprechung. 2021 sollte der Kompromiss dann um einen Zusatz-Kompromiss ergänzt werden: Wolfsburg und Leverkusen sollten jeweils einen Vereinsvertreter in die Gesellschaterversammlung aufnehmen, der bei besonders bedeutsamen Fragen, zum Beispiel der Wappengestaltung, ein Veto-Recht hat. Außerdem sollten VW und Bayer keine zu hohen Verlustausgleiche zahlen dürfen – andernfalls hätte eine Art DFL-interne Luxussteuer gedroht. Umgesetzt wurde das allerdings nie.

An der heutigen Neubewertung des Bundeskartellamts hätte das wohl auch nichts geändert. Denn die geht weit über alle bislang getroffenen Kompromisse hinaus: „Nach der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erscheint es nicht mehr möglich, einen dauerhaften Bestandsschutz für Vereine vorzusehen, die bereits eine Förderausnahme erhalten haben“, erkärt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Heißt: Es darf keine Ausnahmen mehr geben, der Bestandsschutz für Bayer Leverkusen und den VfL Wolfsburg muss gestrichen werden.

Doch die Wettbewerbsschützer*innen stören sich noch an einem dritten Profiverein. Mundt nämlich weiter: „Vielmehr müssen alle Klubs grundsätzlich homogene Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Das bedeutet, dass bei allen Klubs zumindest perspektivisch sichergestellt werden muss, dass der für Neumitglieder offene Mutterverein die Profiabteilung beherrscht.“ Das zieht das Bundeskartellamt konkret bei RB Leipzig in Zweifel, denn dem RB Leipzig e. V. gehören nur 20 Personen an – alle stehe dem Red Bull-Konzern nahe, Fans sind nicht darunter. Doch auch die Satzung der TSG Hoffenheim umfasst einen nun problematischen Paragrafen: Dort können nämlich Mitglieder, die nach 2009 dem Verein beigetreten sind, aktuell kein Stimmrecht auf der Mitgliederversammlung erhalten – außer sie sind selbst aktive Profis des Vereins.

Zuletzt machte das Kartellamt klar, dass die 50+1-Regel, wenn es sie gibt, auch bei wirklich allen Klubs verbindlich durchgesetzt werden muss. Und damit sind wir wieder bei Martin Kind. Denn Kind war bei der Investoren-Abstimmung der DFL vom Mutterverein angewiesen, gegen den Investoreneinstieg zu stimmen, stimmte aber wohl dafür. Das wäre ein 50+1-Verstoß, wie das Kartellamt ihn in Zukunft nicht mehr tolerieren würde.

An dieser Frage entscheidet sich die Zukunft des deutschen Fußballs

Wie geht es jetzt weiter? Rechtsverbindlich ist die Bewertung des Bundeskartellamtes erst einmal nicht. Konsequenzen haben wird sie trotzdem. Die DFL hat bereits angekündigt, sie genau prüfen und notwendige Konsequenzen ableiten zu wollen. Wie genau die aussehen? Darüber werden die Meinungen auseinander gehen. Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg drohen – wie in der Vergangenheit auch schon Martin Kind – mit rechtlichen gegen die Regel insgesamt. DFL-Boss Hans-Joachim Watzke, der auch BVB-Geschäftsführer ist, hingegen hat angekündigt, sie für die Zukunft rechtssicher und verbindlich ausgestalten zu wollen.

Das sehen auch unter den einwandfreien 50+1-Klubs nicht alle so. Schon vor sieben Jahren forderte zum Beispiel der damalige Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge die Abschaffung der Regel. Auch Ex-DFB-Geschäftsführer Ollier Bierhoff äußert sich so. Ihr Argument ist die sportliche Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel mit der englischen Profiliga. Dort wird jeder Klub von einem externen Investor kontrolliert – Newcastle United zum Beispiel vom Könighaus Saudi-Arabiens. Und die Geldsummen die auf der Insel allein in der TV-Rechtevermarktung im Umlauf sind, übertreffen bei weitem das deutsche Nievau.

Doch diese Arguemente ziehen nicht. In den letzten beiden Jahren stand keine Mannschaft aus England im Endspiel der Championsleague. In den letzten drei Jahren nur eine. Fünfmal in den letzten zehn Jahren gewann darüber hinaus Real Madrid die Champions League – ein eingetragener Verein, der im Besitz seiner stimmberechtigten Mitglieder ist.

Wesentlich für die im europäischen Vergleich ordentliche Vermarktbarkeit der deutschen TV-Rechte ist zudem die außerordentlich beeindruckende Stimmung in unseren Stadien. Auch ausländische Fans bestätigen das immer wieder. Doch, dass die Ultras sich ein Ende der 50+1-Regel gefallen lassen würden, ist unvorstellbar. Vielmehr würde der deutsche Fußball sein Alleinstellungsmerkmal und damit auch seine Vermarktbarkeit verlieren. Zumal sich Investoren wohl kaum um möglicherweise Investoren-affine Vereine wie Heidenheim oder Elversberg reißen würden, während es bei idealen Investorenzielen, „schlafenden Riesen“ wie Schalke 04, unter den Vereinsmitgliedern niemals eine Mehrheit für für die Selbstentmachtung und den Verkauf des eigenen Vereins, der für die Mitglieder oft integraler Bestandteil des eigenen Lebens ist, geben wird.

Wir brauchen mehr 50+1, nicht weniger

Und auch das ist ein, nein, es ist sogar das beste Argument: Die Vereinskultur übernimmt eine wichtige gesellschaftliche Funktion hier in Deutschland. Menschen kommen zusammen – auch solche, die sonst vielleicht nicht in den Austausch kämen. Hier findet jede Menge Sozialarbeit statt, oft auch politische Bildung. Menschen bekommen die Möglichkeit, sich zu entfalten. Ultras bekennen oft auch politisch Farbe, ligaweit standen beispielsweise zahlreiche Kurven eindruchsvoll an der Seite der Frauen-Leben-Freiheit-Bewegung, oder leisten praktische Solidarität für Menschen in Not. Fallen die Vereine weg – und exakt das wäre die Konsequenz des Ende der 50+1-Regel – ginge damit auch über die Stadien hinaus unwiderbringlich viel verloren.

Darum ist die Entscheidung heute auch eine richtige Chance! Sie ebnet den Weg, die 50+1-Regel auszuweiten und lückenlos anzuwenden. Mag sein, dass das die Bundesliga verändern würde und Vereine wie Bayer 04 Leverkusen oder der VfL Wolfsburg nicht mehr Teil von ihr wären. Mag sein, dass Konstrukte wie RB Leipzig aufhören würden, in Deutschland zu existieren. Was soll’s; Jürgen Klopp findet schon einen neuen Job. Gleichzeitig würde die Integrität des sportlichen Wettbewerbs erhöht und die Existenz der Vereine als gesellschaftliche Orte gesichert. Auch die deutsche Fankultur, mit ihren spektakulären Choreografien, ihrer meist einfach nur genialen Stimmung und dem Flair, die nur sie einer Fußballübertragung verleihen kann, bliebe erhalten – auch weil Ticketpreise in keiner anderen Top-Liga so günstig sind im 50+1-Land.

Man kann der DFL und allen ihren Mitgliedern darum nur dringend davon abraten, sich auf eine Diskussion über ein Ende der 50+1-Regel einzulassen. Denn es wäre Gift für den deutschen Fußball. Sportlich wie gesellschaftlich.

Und wenn es wieder Tennisbälle, die Bayern den Sieg klauen, dafür braucht, damit alle das begreifen – bitteschön, dann ist das so.

Es kommentierte Jan Bühlbecker, Gründer und Herausgeber von FanLeben.de

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Von admin