Die Frauen Europameisterschaft ist zu Ende. Das Finale zog sich – wie sollte es bei diesem Turnierverlauf auch anders sein – bis ins Elfmeterschießen. Sportlich blieb das Match, insbesondere im Elfmeterschießen, hinter den Erwartungen zurück. Aber die waren hierzulande, nicht zuletzt, wegen der ziemlich spektakulären eh auch ziemlich hoch. Jedenfalls siegte England dann gegen Spanien. Und auch wenn sich Expert*innen vorab einig darüber waren, dass die Spanierinnen die besten Einzelspielerinnen hatten und – weil die meisten von denen mit dem FC Barcelona noch vor ein paar Wochen die Champions League gewonnen haben – auch als Mannschaft gerade das Nonplusultra im Frauenfußball sind, kann das eigentlich niemanden überraschen. Denn England hat Sarina Wiegman, die wohl bedeutenste Trainerin im Frauenfußball aller Zeiten. Zeit für eine Würdigung.
Und die beginnt mit ihrem Lebenslauf: Sarina Petronella Wiegman wurde am 26. Oktober 1969 in Den Haag geboren. Mit zehn Jahren spielte sie mit den Jungen ihres Heimatorts Fußball – dabei ließ sie sich extra die Haare kurz schneiden, um nicht aufzufallen.
Auffallen, das sollte sie dennoch früh genug: Mit 17 gab Wiegmann im Jahr 1987 gegen Norwegen ihr Debüt für die niederländische Nationalmannschaft und beendete ihre internationale Laufbahn erst 2001 nach insgesamt 104 Länderspielen – als erste Spielerin der Oranje-Damen überhaupt, die mehr als 100 Einsätze erreichte. Auf Vereinsebene spielte sie unter anderem von 1994 bis 2003 für VV Ter Leede in der niederländischen Hoofdklasse und gewann zwei Meisterschaften (2000/01, 2002/03) sowie den niederländischen Pokal (2000/01).
Nach dem Ende ihrer Spielerinnenkarriere arbeitete Wiegman zunächst als Sportlehrerin, später als Trainerin der niederländischen U‑19‑Juniorinnen. Ab 2006 übernahm sie ihren früheren Klub Ter Leede, mit dem sie erneut Meisterschaft und Pokal gewann. Natürlich erste Trainerin überhaupt. Von 2008 bis 2014 war sie dann Cheftrainerin bei ADO Den Haag in der Eredivisie Vrouwen. Unter ihrer Leitung erzielte das Team dreimal in Folge Vizemeisterschaften.
Im August 2014 übernahm Wiegman dann zunächst als Co-Trainerin und später interimistisch die niederländische Frauen-Nationalmannschaft. 2017 führte sie die Oranje-Damen zur UEFA Europameisterschaft im eigenen Land und gewann direkt den Titel, den ersten große Titel der Frauennationalmannschaft der Niederlande. Aber sie ist auch die erste Trainerin, die mit zwei unterschiedlichen Nationalteams die UEFA-Frauen-Europameisterschaft gewann, nach 2017 mit den Niederlanden nämlich auch 2022 und jetzt 2025 mit England. Außerdem zog sie 2019 mit den Oranja-Damen und 2023 mit den Lionesses jeweils ins WM-Finale ein. Fünf Finalteilnahmen in Folge – auch das hatte vor ihr noch niemand geschafft.
Der niederländische Fußballverband KNVB investierte im Zuge der Entwicklung unter Wiegman stärker in Frauenfußball-Strukturen, auch im Jugendbereich, ist dann dieser Epoche längst als erfolgriche Frauenfußballnation etabliert. Wiegman legte dabei besonderen Wert auf ein klares spielerisches Konzept und mentale Stärke, das wurde auch in die Juniorinnenarbeit etabliert und so prägte sie eine nachhaltige Entwicklung. Jan Dirk van de Zee, der Direktor für Frauenfußball beim niederländischen Verband, sagte deswegen auch über Sarina Wiegman: „Sie hat dem Frauenfußball in den Niederlanden einen großen Schub gegeben.“ In ihrer Heimat gilt Wiegman heute darum längst als nationale Fußball-Legende, genannt in einer Reihe neben dem Johann Cruijff. Zurecht – wie Verbandschef Just Spee findet: „Dass Sarina dabei ist, liegt an ihren Leistungen bei den Orange Löwinnen. Sarina gehört natürlich in diese Liste.“
Auch die Engländerinnen hatte Wiegman nicht auf ihrem Peek, sondern nach einem enttäuschenden Viertelfinalaus bei der Europameisterschaft 2021 übernommen. Der folgende Europameisterinnentitel war dabei dann wiederum der erste internationale Titel für England seit 1966, den damals die Männer mit dem Wembley-Tor bei ihrer Heim-WM gewonnen hatten. Auch das also historisch. Die herausragend guten Voraussetzungen in England, eine langjährige Profiliga, die eng an die Infrastruktur der Männer angebunden ist, konnte Wiegman mit klarer Strategie erstmals auch in Verbanderfolge ummüntzen. Kein Wunder, dass FA-CEO Mark Bullingham deswegen das hier über die Arbeit mit seiner Nationaltrainerin sagt: „Sie ist eine ganz besondere Trainerin, und wir sind sehr froh, sie bei uns zu haben.“ Izzy Christiansen, die unter Wiegman für die Lionesses spielte, wird sogar noch deutlicher: „Ich finde keine Superlative mehr, um Sarina Wiegman zu beschreiben. Sie kam, änderte die Kultur, vermittelte eine Siegermentalität und schuf eine pragmatische, interessante Spielweise, die das Talent erblühen lässt.“ Welche seitdem im gesamten Verband, also auch in den U-Nationalmannschaften, angewendet wird.
Kurzum: Beide Nationalmannschaften haben unter ihrer Führung nicht nur Titel gewonnen, sondern auch langfristige Entwicklungsschritte vollzogen – taktisch, personell und institutionell. Das ist sogar noch wertvoller als ihre immense Pokalsammlung.
Doch für all gab es natürlich trotzdem auch eine menge persönlicher Auszeichnungen: Zum Beispiel den Titel der IFFHS-Welt-Nationaltrainerin des Jahres 2020, natürlich als erste Niederländerin überhaupt, sowie die Ernennung zur FIFA-Welttrainerin des Jahres im Frauenfußball in 2017, 2020, 2022 und 2023, hier ist sie die erste Trainerin jemals, die den Titel verteidigen konnte.
Wie bitte ist ihr all das gelungen?
Sarina Wiegman erklärt ihren Erfolg vor allem durch die Teamkultur, klare Kommunikation und mentale Stärke, die sie in ihren Mannschaften etabliert hat und mit der sie nachhaltige Leistungssteigerung innerhalb eines Teams erzeugt: „In einem Mannschaftssport beginnt alles mit Teamwork, Zusammenhalt und gegenseitigem Kennenlernen. Manchmal gibt es eine einzelne Spielerin, die das Spiel entscheidend beeinflussen kann, aber das ist nur kurzfristig. Wenn man langfristig erfolgreich sein will, kommt es darauf an, als Team zu spielen, sowohl im Ballbesitz als auch ohne Ballbesitz und im Umschaltspiel.“ Ihre Spielerinnen dürfen Fehler machen und offen ihre Meinung sagen, auch das befeuert eine positive sportliche Entwicklung.
Aber da ist noch ein Aspekt. Ihre langjährige Spielerin Rachel Daly fasst die Arbeit mit Wiegman so zusammen: „Sie ist eine phänomenale Trainerin, sie ist ein Genie. So ehrlich. Und ihr Wissen über das Spiel ist unglaublich, genau wie das aller anderen Mitarbeiter*innen.“ Wiegman – das Fußball-Genie. Denn auch das stimmt: Wiegman gewann ihre Titel wie gesagt ja nie mit den größten Favoritinnen und wenn ihre Mannschaften spätestens jetzt immer als Favoritinnen gelten, dann vor allem auch wegen ihr. Denn sie vermag es wie kaum jemand sonst ihre Mannschaften ideal einzustimmen und in jedem Spiel früher als ihre Gegenüber den weiteren Verlauf zu erkennen und zu ihren Gunsten zu beeinflussen – nicht umsonst trafen seit dem Viertelfinale bei dieser EM in jedem Spieler Joker, also von Wiegman eingewechselte Spielerinnen. Nichtsdestoweniger hat sie mit den Lionesses eine Mannschaft, die auch fußballerisch zu den besten der Welt gehört, mit steigender Tendenz, aber eben weil unter Wiegman auch eine verbesserter Verzahnung von Liga und Verband gelungen ist.
Dabei setzt Wiegman auf ein dominantes, ballbesitzorientiertes Spielsystem. Fußball, der einfach aussieht, wenn die Spielerinnen gut genug für ihn sind. Verwundbar werden Wiegmans Mannschaften bei hohem Pressing, körperlichen Spiel, wenn sie also keine Zeit haben, ihr Spiel zu strukturieren. Dann aber kommt die von Wiegmann beschriebene Mentailität zu tragen, wie auch Spaniens Nationaltrainerin Montse Tomé nach der Finalniederlage erklärte: „Sie haben eine beeindruckende Widerstandskraft, obwohl wir heute spielerisch überlegen waren, konnten wir uns einfach nicht belohnen.“ Und das macht wahre Topteams aus: Dass sie sich unter höchstem Druck anpasen können. Dass England unter Sarina Wiegman bislang immer ins Finale kam, spricht da eine eindeutige Sprache.
Was bleiben da noch für Ziele? Wiegman sagt: „Wir konzentrieren uns darauf, jedes Spiel zu gewinnen, und wir wollen wieder zeigen, wie gut wir sind.“ Nur der Weltmeisterinnen-Titel fehlt Wiegman noch in ihrer Sammlung.
Mit Betonung auf Noch.
Denn wenn sie weiter fast jedes Spiel gewinnt, ist der auch nur noch eine Frage der Zeit.