Über 100.000 Fußballfans waren gekommen – insgesamt wohl rund 50.000 mehr als einen Platz im Signal-Iduna-Park bekommen konnten. Das ist eine beeindruckende Zahl, die zeigt, wie mächtig der Fußball ist. Aber dazu gleich.

Vorher schauen wir auf den Tag gestern. Der schwarzgelbe Feiertag startete nämlich zunächst mit vielen Aktionen für Fans auf der Strobelallee – die wohl wichtigste davon: die Typisierungsaktion. Jedes Jahr benötigen rund 3.000 Patient*innen in Deutschland eine lebensrettende Stammzellspende. BVB-Fans bekamen gestern die Möglichkeit, sich zu typisieren und gegebenenfalls Lebensretterin zu werden. Außerdem stellten sich – na klar – Sponsor*innen mit Werbegeschenken vor, es lockte eine Torwand und BVB-Maskottchen Emma.

Im Stadion selbst wurden nicht nur beide erste Mannschaften, Männer und Frauen, vorgestellt, sondern auch ein neuer Markenbotschafter: Tischtennis-Superstar Timo Boll. Außerdem wurde dem kürzlich verstorbenen Weltmeister Frank Mill, ein langjähriger BVB-Profi, gedacht. Bevor auf dem Rasen der sportliche Höhepunkt des Tages wartete: Das Abschiedsspiel von Mats Hummels.

Schon beim Aufwärmen gab es jede Menge Applaus und Sprechchöre für die BVB-Legende, die sich wie einst alle zwei Wochen vor der Südtribüne warmmachte. „Er hat Geschichte geschrieben – und war trotzdem immer einer von uns. Ein Denker auf dem Platz, ein Kämpfer mit Herz und ein echter Borusse. Wir sagen danke für alles. Einmal Borusse, immer Borusse„, feierte BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel den Weltmeister während seiner Verabschiedung durch Präsident Reinhard Lunow und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Hummels führte nach seiner Verabschiedung kurz vor dem Anpfiff dann sogar die Mannschaft der Schwarzgelben als Kapitän auf den Platz und genoss sichtlich die 15 Minuten, die er gegen Juventus Turin auf dem Rasen stand. Anschließend ging das Spiel, die Generalprobe für den Saisonstart im DFB-Pokal nächste Woche, knapp mit 1:2 verloren. Die Stimmung war trotzdem spektakulär.

130.000 Fans bei der Saisoneröffnung von Borussia Dortmund – beeindruckend, aber kein Einzelfall. Dortmunds Reviernachbar Schalke 04 startet jedes Jahr mit einem Schalke-Tach in die neue Spielzeit. Trotz Zweitklassigkeit und enttäuschender Vorsaison kamen dort ebenfalls über 80.000 Fans. Zum Vergleich: 62.000 passen ins Schalker Stadion. Auch spektakulär: Der FC Bayern stellte am ersten Spieltag der neuen Bundesligasaison mit seiner Frauenmannschaft einen neuen Zuschauerrekord auf – 40.000 Fans kamen gegen Bayer Leverkusen in die Allianz Arena. Und auch bei den Saisoneröffnungen von Stuttgart und Mönchengladbach kamen über 50.000 Fans.

Der Fußball hat, das zeigen diese Zahlen, einen immensen gesellschaftlichen Einfluss, den auch die organisierten Fans nutzen – wie sie zum Beispiel mit Tennisbällen gegen einen DFL-Investor, FanLeben.de berichtete, mit ihrem Einsatz für Vielfalt und queere Akzeptanz, FanLeben.de berichtete, oder jüngst gegen die Weissmann-Verpflichtung bei Fortuna Düsseldorf, FanLeben.de berichtete, zeigten.

In den 1980er-Jahren entwickelte sich der FC St. Pauli von einem Zweitliga-Klub zu einem Symbol der politischen Fankultur. Rund um das Millerntor-Stadion formierte sich eine Szene aus Punks, Hausbesetzern und alternativen Gruppen, die den Verein zu ihrer Heimat machten. Mit Transparenten gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie, Totenkopf-Fahnen und klaren antifaschistischen Botschaften stellten die Fans die damals übliche, oft von Gewalt und rechtsextremen Strömungen geprägte Stadionkultur infrage. Der Verein griff diese Haltung auf, verankerte Anti-Diskriminierungsrichtlinien und positionierte sich öffentlich gegen rechte Tendenzen im Fußball, die damals massiv ausgeprägt und zumeist unkommentiert akzeptiert waren. St. Pauli wurde so jedoch zum Vorbild für viele Klubs – und trug entscheidend dazu bei, dass der DFB in den 1990er-Jahren härtere Maßnahmen gegen Rassismus in den Stadien einführte. Was als lokale Bewegung begann, veränderte nachhaltig die politische Debatte im deutschen Fußball.

Ein weiteres Beispiel – auch mit aktuellem Bezug: Als 2010 die Eintrittspreise für Stehplätze bei Auswärtsspielen in der Bundesliga spürbar stiegen, formierte sich Widerstand: Unter dem Motto „Kein Zwanni für ’n Steher“ organisierten Fans verschiedener Vereine koordinierte Protestaktionen. In Dortmund, Gelsenkirchen oder Hamburg blieben Gästeblöcke zeitweise demonstrativ leer, Spruchbänder prangerten die Preisentwicklung an. Die Bewegung gewann schnell bundesweite Aufmerksamkeit – nicht nur in Sportmedien, sondern auch in der Politik. Im Sportausschuss des Bundestages wurde das Thema Ticketpreise erstmals intensiv diskutiert. Unter dem wachsenden öffentlichen Druck lenkten einige Vereine ein und reduzierten die Preise für Gästefans oder stoppten geplante Erhöhungen. „Kein Zwanni“ bewies, dass gut organisierte Faninitiativen im deutschen Fußball nicht nur Stimmung machen, sondern auch öffentliche Debatten prägen können.

Themen wie Anti-Rassismus, aber auch der allgegenwärtige Preisdruck prägen uns ja auch heute. Orte, an denen wir zusammen kommen und Haltungen dagegen entwickeln und zeigen können, sind da wichtig. Fankurven sind solche Orte.

Das macht sie unverzichtbar.

Gerade jetzt.

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Von admin