Vor fünf Jahren: Corona. Die Bundesliga stand still. Kontaktbeschränkungen. An vielen Stellen: Orientierungslosigkeit im Umgang mit der neuen Pandemie.

Mitten in diese gedrückte Stimmung hinein twitterte TV-Moderator Jan Köppen eine Idee: Online-Duelle im populären Fußball-Videospiel „Fifa 20“: „Die Jungs zocken doch alle gegeneinander online. Wie geil wäre es am Samstag um 15:30 mehrere Jungs nacheinander spielen zu sehen. 2×6 Min.“ schrieb er. Und weiter: „Einfach 90 Minuten mehrere Spiele. Free TV.“

Darauf meldete sich direkt BVB-Abwehrchef und Weltmeister Mats Hummels: „Ich bin zwar kein guter Zocker, aber die Idee ist gut“, twitterte der damals 31-Jährige. „Ich frage mal rum, ob ein paar zusammen kommen.“

Kamen. Das Format wurde tatsächlich umgesetzt, wenn auch etwas abgewandelt. Der offizielle Twitter-Account der DFL streamte die Spiele, in der ersten Halbzeit spielten zwei Fußballprofis gegeneinander, in der zweite Halbzeit zwei Mitglieder des eSport-Teams des jeweiligen Vereins. Viele tausend Fans sahen zu. Eine gelungene Abwechselung während der Pandemie.

Auch insgesamt wirkte Corona für die deutsche eSport-Szene wie ein unerwarteter Beschleuniger. Als im Frühjahr 2020 die Bundesliga und andere große Sportwettbewerbe stillstanden, nutzten viele Klubs die Gelegenheit, um digitale Formate zu entwickeln. Die Streamingplattformen verzeichneten in dieser Zeit Rekordzahlen. Twitch, YouTube Gaming und Co. wurden zum Ersatzstadion für Fans, die live dabei sein wollten, wenn deutsche Teams in Spielen wie „League of Legends“ oder „CS:GO“ antraten. Selbst Fernsehsender griffen die Inhalte auf und schufen Sendeplätze, die ohne die Pandemie wohl kaum entstanden wären.

Der Boom hatte jedoch auch seine Grenzen. Während die Onlineformate wuchsen, mussten die prestigeträchtige Arena-Events wie die ESL One in Köln abgesagt oder in pandemie-konforme Onlinewettkämpfe verwandelt werden. Damit gingen nicht nur Ticketumsätze verloren, sondern auch die besondere Stimmung, die Live-eSport sonst ausmacht. Auch Sponsoren hielten sich stark zurück, weil die wirtschaftliche Unsicherheit groß war. Und mit der Rückkehr des traditionellen Sports ins Rampenlicht verschwand eSport in den klassischen Medien wieder ein Stück weit aus dem Fokus.

Dennoch bleibt festzuhalten: Die Pandemie hat dem digitalen Wettbewerb in Deutschland eine nie dagewesene Aufmerksamkeit beschert. Sie hat die Szene professionalisiert, neue Fans erschlossen und gezeigt, dass eSport auch in Ausnahmesituationen bestehen kann.

Seit 2022 schreibt die Deutsche Fußball Liga nun ein eFootball-Team für jeden Klub der ersten und zweiten Bundesliga vor, das im Rahmen der Virtual Bundesliga antreten muss. Damit hat sich das digitale Segment in die Kernstruktur des modernen Clubs verlagert. Besonders bemerkenswert ist dabei der Schritt eines der traditionsreichsten Klubs: Der FC Schalke 04 war bereits früh Vorreiter im Fußball-eSport. Schon 2016 wurde die Abteilung eSport etabliert – zunächst mit einem League-of-Legends-Team, das später sogar in die League of Legends European Championship einstieg. 2021 verkaufte Schalke diesen Platz für sagenhafte 26,5 Millionen Euro.

Diesen Markt haben damit natürlich längst auch die Investoren-Klubs in ganz Europa entdeckt: PSG Esports ist so ebenfalls ein Beispiel für die Internationalisierung des Konzepts: Der Klub gründete nicht nur ein EA Sports FC-Team, sondern eröffnete 2020 auch die erste eSports-Akademie, das PSG Studio, um Talente systematisch zu fördern.

Nicht nur Image-technisch, sondern auch finanziell könnte sich auch dieses Engagement wirklich lohnen. Denn ein Blick auf den Markt zeigt, wie der Rückenwind wirkt: Der deutsche eSport-Markt erzielte 2024 einen Wert von schätzungsweise 300 Millionen US-Dollar. Bis 2032 wird ein Wachstum auf rund 473 Millionen Dollar prognostiziert – das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von knapp 6 Prozent. In der europäischen Gesamtbetrachtung nimmt der eSport Markt bis 2033 ein Volumen von 4,3 Milliarden Dollar an.

Denn das Publikumsinteresse wächst ebenso rasant: Laut einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag des Branchenverbands Game haben rund 23 Prozent der Menschen in Deutschland, also etwa 16 Millionen, bereits mindestens ein eSport-Turnier oder -Match angesehen. Damit ist die Zahl der Zuschauenden in Deutschland seit 2020 um mehr als vier Millionen gestiegen. Europaweit konsumieren Schätzungen zufolge 8 Prozent der Bevölkerung wöchentlich eSport-Inhalte, sogar 16 Prozent sind es in Großbritannien und 13 Prozent in Spanien. Deutschland bewegt sich mit seinen 8 Prozent dabei exakt im europäischen Durchschnitt.

Auch für Freizeit- und Hobbyspieler ist eSport kein Randphänomen mehr. Laut Datenlage liegen in Deutschland die aktiven Spielerzahlen – also jene, die regelmäßig teilnehmen – je nach Quelle im Bereich von 1,5 bis über 4,5 Millionen registrierten eSportlern. In Europa insgesamt wird die Zahl der Spieler auf rund 22 Millionen geschätzt.

Nur Mats Hummels hat schnell wieder das Interesse verloren. Beim FIFA-Turnier während Corona spielte er schon nicht mit. Angesprochen auf seine Vorstellungen zur Tagesgestaltung, wenn Kontaktbeschränkungen irgendwann wieder gelockert würden, sagte er stattdessen: „In Dortmund gehe ich immer ins gleiche Café. Da gehe ich dann sofort hin. Ich glaube, ich gehe bei Wiedereröffnung rein, frühstücke, bleibe über Mittag da, nachmittags Kaffee und Kuchen, und ich gehe erst wieder, wenn die mich rauswerfen – keine Sekunde früher.“ Auch gut.

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Von admin