Für Kairat Almaty geht es in den kommenden Wochen einmal um die ganze Welt – zumindest wenn man die Reisedistanz des kasachischen Campions-League-Neulings allein in der Gruppenphase beziehungsweise dem Liga-Wettbewerb betrachtet. Wenn die Kasachen nämlich am Donnerstag zu ihrem Auftaktspiel zu Sporting nach Lissabon reisen, liegen 6.907 Kilometer (Luftlinie) zwischen den Stadien der beiden Klubs. Wenn am zweiten Spieltag dann der Rekordchampion Real Madrid zu den Debütanten nach Almaty reist, kommen bereits weitere 6.412 Kilometer Luftlinie von Stadion zu Stadion dazu.
Zum Vergleich: Die bislang weiteste Distanz zwischen den Stadien zweier Champions-League-Konkurrenten lag bislang dem Estádio da Luz von Benfica Lissabon und der Astana Arna vom FC Astana – hier trafen beide Klubs, die sonst 6.173 Kilometer trennen, 2015 direkt aufeinander.
Aber zurück zu Kairat Almaty: Für die geht es im Ligasystem der Champions League nämlich auch noch gegen den Pafos FC (in Almaty), Inter Mailand (in Guiseppe-Meazza-Stadion), FC Kopenhagen (im Parken Stadion), Olympiakos Piräus (in Almaty), Club Brügge (in Almaty) und FC Arsenal (im Emirates Stadium). Addiert man die Entfernung zwischen den jeweiligen Stadien insgesamt zusammen kommt man auf 42.583 Kilometer. Das ist mehr als eine Weltreise, denn der Erdumfang direkt am Äquator beträgt „nur“ 40.075 Kilometer. Die portugiesische Tageszeitung „Público“ schrieb bereits: „Kairat Almaty, die Champions League und ein Charterflug zum Ende der Welt.“ Alamtys Trainer Rafael Urazbakhtin nimmt den Reisestress übrigens gelassen, nach der Auslosung analysierte er ziemlich nüchtern: „Die Qualität der Gegner ist sehr hoch, deshalb glaube ich nicht, dass sie wegen der Flüge Probleme bekommen.“
Es ist für Kairat Almaty wie gesagt die erste Champions-League-Teilnahme, aber im dritten Anlauf, zwei Mal scheiterte der Klub in der Vergangenheit bereits in unterschiedlichen Qualifikationsrunden. Dieses Mal ging es dort gegen NK Olimpija aus Slowenien, dem Kuopion PS aus Finnland und Slovan Bratislava aus der Slowakai, ehe in den Playoffs überraschend sogar der schottische Rekordmeister Celtic Glasgow geschlagen wurde. Entsprechend optimistisch sind darum auch die Spieler, dass die überraschende Europa-Reise von Kairat Almaty nicht schon mit der Ligaphase enden muss. Linksverteidiger Luís Mata sagt: „Alle denken, Kairat sei hier, um alles zu verlieren, aber ehrlich gesagt sind wir überzeugt, dass wir Punkte holen – am liebsten gleich beim Sporting.“ Noch deutlicher wird Stürmer Jorginho. Er sagt: „Ich will gegen Sporting spielen und gewinnen. Ich komme nicht, um den Kalender zu erfüllen.“ Immerhin: Die kasachische Liga führt Kairat Almaty aktuell an.
Doch wer steckt hinter dem Champions-League-Neuling, dessen Stadion übrigens nur 300 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt liegt? Was erwartet uns Fußball-Fans und Zuschauer*innen – also neben einer Weltreise?
Beginnen wir mit etwas Geschichte: Kairat Almaty wurde am 1. Januar 1954 gegründet. Er ging aus dem Verein Dinamo Alma-Ata hervor und trat zunächst unter dem Namen Lokomotiv Alma-Ata an, bevor er 1955 kurzzeitig Urozhay Alma-Ata hieß. Ein Jahr später erhielt er den bis heute gültigen Namen Kairat, was auf Vorschlag des damaligen Politikers Dinmukhamed Kunayev durch Beschluss des Ministerrats der Kasachischen SSR festgelegt wurde.
Sportlich etablierte sich Kairat in der Sowjetunion rasch als führender kasachischer Vertreter. Der Verein gewann 1976 und 1983 die zweite sowjetische Liga und spielte viele Jahre in der höchsten sowjetischen Spielklasse, in der 1986 mit Platz sieben die beste Platzierung gelang. Nach der Unabhängigkeit Kasachstans knüpfte Kairat an diese Tradition an. Gleich 1992 gewann der Klub die erste nationale Meisterschaft, es folgten weitere Titel 2004, 2020 und 2024. Mit insgesamt zehn Pokalsiegen sowie mehreren Erfolgen im kasachischen Supercup zählt Kairat zu den erfolgreichsten Vereinen des Landes. Sportlicher Tiefpunkt war der Abstieg 2008 in die zweite Liga hinnehmen, doch Kairat kehrte umgehend zurück und bestätigte in den folgenden Jahren seine Rolle als sportliches Aushängeschild des kasachischen Fußballs.
Doch nicht nur sportlich ist der Verein bedeutend, auch politisch nimmt er eine wichtige Rolle in Kasachstan ein, einem Land, das als unfrei und autoritäres Regime gilt. Das verdeutlicht vor allem die Eigentümerstruktur des Klubs, denn sie zeigt, dass Kairat Almaty eng mit wirtschaftlichen und politischen Akteuren verbunden ist. Rund 70 Prozent der Anteile hält das Energieunternehmen KazRosGas, die übrigen 30 Prozent gehören der Stadt Almaty. Präsident des Vereins ist der Geschäftsmann Kairat Boranbayev. Auch beim Stadion, das lange in kommunalem Besitz war, zeigt sich die enge Verflechtung: 2015 wurde es dem Klub übertragen, während die Stadt im Gegenzug Anteile am Verein erhielt. KazRosGas, das ist hierbei wichtig zu wissen, ist ein Joint Venture zur Hälfte zwischen dem staatlichen kasachischen Energieunternehmen NC KazMunayGas und PJSC Gazprom, einem Tochterunternehmen der russischen Gazprom AG, welche für Auslandsaktivitäten des russischen Staatskonzerns verantwortlich ist. Damit ist KazRosGas auch von den EU-Sanktionen betroffen, die im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verhängt wurden.
Kairat Almaty hält derweil übrigens noch einen zweiten Saison-Rekord in der Champions League: Mit 12 Millionen Euro hat die Mannschaft den niedrigsten Marktwerk im Wettbewerb. Zum Vergleich: Auch die Mannschaft von Zweitliga-Aufsteiger Dynamo Dresden ist zumindest nominell 12 Millionen Euro wert. Diesen Nachteil, das zeigten unter anderem die Play-off-Spiele gegen Celtic Glasgow, macht Kairat mit hoher spielerische Disziplin wett, beide Spiele endeten 0:0. Dass der Klub sich am Ende im Elfmeterschießen durchsetzen konnte spricht zudem für eine starke Mentalität der Mannschaft. Und für eine hohe taktische Anpassungsfähigkeit, denn in der kasachischen Liga muss Kairat anders auftreten – dominanter, schneller und abschlussfreudiger. Die stärksten individuellen Spieler sind der belarussische Spielgestalter Valeriy Gromyko und der kasachische Mittelstürmer Dastan Satpaev. Insbesondere Satpaev wird besonders im Fokus stehen – dem erst 17-jährigen gelangen in sieben Champions-League-Qualifikationsspielen drei Tore und eine Vorlage, in der kasachischen Liga steht er zudem bei neun Toren und sieben Vorlagen in 22 Spielen. Das blieb auch europäischen Topklubs nicht verborgen, für Satpaev wird es darum auch in der kommenden Saison wohl in der Champions League weitergehen, ihn hat für den nächsten Sommer nämlich bereits der FC Chelsea verpflichtet.
Ob auch auf Kairat Almaty eine weitere Weltreise wartet? Das werden die nächsten Wochen andeuten, aber erst die Quali-Spiele in der kommenden Saison endgültig zeigen.