Der Karriereweg von Jan-Carlo Simic verlief bis zu diesem Sommer vielleicht etwas ambitioniert, aber dennoch auch noch durchschnittlich: Ausgebildet beim VfB Stuttgart, Juniorennationalspieler, Profidebüt bei den Schwaben, dann der rasche Wechsel zum AC Mailand, wo sich Simic nicht durchsetzen konnte, weswegen er einen Schritt zurück machte – nach Belgien, zum RSC Anderlecht.
Das war im letzten Sommer. Und es sollte sich auszahlen. Zunächst einmal sportlich: 38 Spiele machte Simic in der vergangenen Saison für Anderlecht, dabei gelangen dem Abwehrspieler sogar drei Tore. Außerdem reifte er zum serbischen Nationalspieler, bislang stehen fünf Länderspiele für ihn zu Buche. Eigentlich lief es sportlich also komplett nach Plan und eine Rückkehr in eine Top-Fünf-Liga Europas, diesmal als Stammkraft, wäre für den immer noch erst 20-jährigen nur eine Frage der Zeit gewesen.
Doch die gute Saison sollte sich für Simic auch finanziell rasch auszahlen. Anfang September wechselte er deswegen erneut den Klub – dabei verließ er Europa und ging nach Saudi-Arabien. Al-Ittihad, wo Karim Benzema Kapitän ist, lässt sich zunächst eine Leihe sechs Millionen Euro kosten, anschließend hat der Klub eine Kaufoption in Höhe von 15 Millionen Euro für Jan-Carlo Simic. Der in der Saudi ProLeague sicher mehr verdient, als es in Belgien, der Bundesliga oder Serie A für ihn gerade möglich wäre.
Tauscht da also ein junger Spieler die große Karriere gegen das schnelle Geld? Simic sieht das anders. Er sagt: „Ich bin umgeben von Spielern, die die Weltmeisterschaft, die Champions League und sogar den Ballon d’Or gewonnen haben. Wir haben ein All-Star-Team.“ Zu dem neben Benzema immerhin auch N’golo Kanté, Danilo Pereira, Fabinho, Moussa Diaby oder Steven Bergwijn gehören. Selbstbewusst legt Simic deswegen nach: „In Europa verstehen wir nicht, wie sehr sich der Fußball in Saudi-Arabien weiterentwickelt hat. Er ist vielen europäischen Ligen überlegen, auf jeden Fall der belgischen.“ Auch deshalb sei sein Wechsel auch sportlich für ihn persönlich „ein riesiger Schritt nach vorne. Al Ittihad ist die beste Mannschaft des Landes, vielleicht sogar des Kontinents – und wir könnten problemlos in jeder der fünf größten europäischen Ligen mitspielen.“
Auch für seine eigene sportliche Entwicklung soll sich das auszahlen. Zunächst einmal im Training mit seinem „All-Star-Team“: Simic hofft nämlich darauf, von seinen berühmten Mitspielern etwas zu lernen. So freue er sich auf Benzema, der „einer der besten Stürmer in der Geschichte des Fußballs ist. Das ist einfach verrückt, ich finde keine Worte, um zu beschreiben, wie glücklich ich bin. Meine Mitspieler sind Menschen, die buchstäblich den Fußball verändert haben. Alle hier inspirieren mich.“ Auch Al-Ittiads neuer Cheftrainer soll Simic helfen – Laurent Blanc, ein Weltmeister-Verteidiger Frankreichs, der auch als Trainer auf einem strukturierten Fußball setzte, der auf defensiver Stabilität fußt. Simic sagt: „Als ich angekommen bin, hat er mir gesagt: ‚Ich war Verteidiger, also werde ich dich im Auge behalten. Wir machen dich zu einem besseren Fußballer.'“
Mit seinem Wechsel sei er dabei überhaupt kein Einzelfall, stellt der serbische Nationalspieler, der sich auch um seine Zukunft im Nationalteam keine Sorgen macht („Ich bin hier mit 15 anderen Nationspielern“), außerdem klar: So würden die Saudis nicht mehr allein auf etablierte Stars setzen, es werden auch „junge Spieler rekrutiert, die gefördert und auf ein höheres Niveau gebracht werden sollen“. So wie es eben bei ihm der Fall war. „Hier hat einfach alles gepasst. Und ich bereue es nicht im Geringsten.“
Deswegen soll es das mit den internationalen Wechseln für Jan-Carlo Simic auch erst einmal gewesen sein: „Ich bin ganz ehrlich: Ich bin hier, um zu bleiben. Ich habe mir gesagt, dass ich hier Karriere machen könnte. Ich bin nicht darauf fixiert, nach Europa zurückzukehren, wenn sich die Qualität des Fußballs hier weiter verbessert.“
Klingt gut? Zu gut? Ist Abwehr-Talent Simic vielleicht sogar etwas naiv? Oder nur um keine Ausrede für seinen Luxus-Wechsel verlegen? Einiges spricht dafür. Denn auch wenn die saudische Liga in den letzten Transferphasen in der Tat nicht mehr nur Altstars verpflichtet hat, sondern auch Spieler auf dem (frühen) Zenit ihrer Leistungsfähigkeit und – ja! – auch einige Talente in die Wüste gelockt werden, ist das sportliche Niveau der Saudi ProLeague nicht mit dem der Bundesliga, Serie A oder Premier League zu vergleichen.
Dafür spricht zum Beispiel das enorme Leistungsgefälle innerhalb der Liga: Zwar haben die Topklubs, Al-Hilal, Al-Nassr, Al-Ittihad und Al-Ahli, enorme Summen in internationale Stars investiert, doch der Unterbau bleibt vergleichsweise schwach. Statt eines Karim Benzemas bei Al-Ittiad gehört bei Al-Okhdood, immerhin auch Erstligist, zum Beispiel Khaled Narey zu den internationalen Zugängen. Vor seiner Saudi-Zeit scheiterte Narey mit dem HSV mehrmals am Bundesliga-Aufstieg. Auch die Trainingsmöglichkeiten sind außerhalb der Topklubs immer noch weit unterdurchschnittlich.
Und selbst die Topklubs sind sportlich noch immer limitiert: Spiele in der Pro League sind technisch solide, doch das Spieltempo, Pressing und physische Intensität sind nicht vergleichbar mit Europas Top-Ligen. Bei der Klub-WM war so zwar ein Überraschungssieg von Al-Hilal gegen Manchester City bei krasser Hitze, während der Tempo und Physis eben nur eine untergeordnete Rolle spielen konnten, möglich, dennoch schied Al-Hilal ja früh aus. Gerade für die Talententwicklung sind das mangelhafte Bedingungen: Denn die technische Ausbildung ist auch in den internationalen Nachwuchsleistungszentren top, der Unterschied zum Seniorenfußball ist dann aber das Spieltempo – und wenn junge Spieler da nicht beständig gefordert werden, bleiben sie hinter ihren Entwicklungspotenzialen zurück. Das zeigt auch, dass es saudische Talente immer noch extrem schwer haben, den Durchbruch zu schaffen, obwohl es strenge Grenzen für den Einsatz ausländischer Spieler in der ProLeague gibt.
In Einzelfällen, wie bei Jan Carlo Simic, kann das durch gutes Individualtraining und ein vergleichsweise hohes Trainingsnievau für Verteidiger vielleicht etwas aufgefangen werden, so dass Simic in der Tat nicht um seine Nationalmannschaftskarriere fürchten muss, dennoch hätte er andernorts bessere Möglichkeiten für seine sportliche Entwicklung.
Für die saudische Liga sind solche Wechsel dennoch extrem wertvoll. Weil junge Spieler, die sich bereits im Seniorenfußball etabliert haben, helfen können, die physische Intensität weiter zu steigern. Das ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass auch die heimischen Talente in Saudi-Arabien besser ausgebildet werden können und sich so auch die saudische Nationalmannschaft entwickeln kann. Die Verpflichtung von jüngeren Spielern ist darum auch eine sportpolitische Entscheidung. Deswegen zahlen saudische Topklubs Millionen für Spiele wie Jan Carlo Simic – und nicht, weil sie in ihm die größtmögliche sofortige Verstärkung sehen.
Dass Simic sich dafür hergibt, ist natürlich irgendwo verständlich. Rein finanziell wird er keinen besseren Deal für sich machen können. Mit gerade einmal 20 Jahren hat er nun ausgesorgt – vermutlich sogar für seine eventuellen zukünftigen Kinder gleich mit.
Trotzdem muss er sich auch seiner Verantwortung stellen: Mit seinem Wechsel fördert er das saudische Sportwashing, macht Werbung für ein menschenrechtsmissachtendes Regime. Das muss jeder Spieler bedenken, der den Schritt nach Saudi-Arabien geht.
Sachlich klingt das Fazit darum so: Jeder Fußballprofi trifft seine eigenen Entscheidungen. Jan Carlo Simic ist nach Saudi-Arabien gewechselt. Die sportlichen Gründe, die er dafür anführt, überdecken die Konsequenzen jedoch nicht.