Falls sich gerade jemand fragt, warum wir den Fußball eigentlich trotz allem immer noch lieben: Hier ist eine Geschichte, die es ziemlich gut zusammenfasst.
Die Geschichte spielt in Turin, beim Spiel zwischen Juventus und dem BVB am Dienstag. Die Vorgeschichte geht so: Karim Adeyemi traf kurz nach der Pause zur Führung für Borussia Dortmund, ehe Kenan Yıldız nur wenige Augenblicke später per Traumtor für die „Alte Dame“ ausglich. Dann standen sich die beiden Offensivspieler im Mittelkreis gegenüber, sie tuschelten, kicherten, fast kindlich.
Und wie die beiden Profifußballer nach Abpfiff aufklärten, täuschte dieser Eindruck nicht. „Wir kennen uns von der Schule“, verriert nämlich Adeyemi, bevor Yıldız ergänzte: „In Unterhachung“. Karim, geboren 2003, war zwar immer ein paar Stufen über Kenan, Jahrgang 2005, doch auf dem Pausenhof, auf dem Bolzplatz, da begegnete man sich eben doch. Und jetzt halt auch noch in der Champions League.
Die Geschichte beginnt also eigentlich noch eher. Und zwar mit Kai Hitzner. Der ist nämlich Sportkoordinator an der ehemaligen Schule der beiden Fußballprofis. Es ist eine vom Deutschen Fußball-Bund zertifizierte „Eliteschule des Fußballs“. Das bedeutet, dass an ihr besonders talentierte Nachwuchsfußballer in sogenannten Leistungssportklassen gezielt gefördert werden sollen. Dabei kooperiert die Schule nicht nur mit dem DFB, sondern auch dem Bayerischen Fußball-Verband sowie den Nachwuchsleistungszentren des FC Bayern, von 1860 München und der SpVgg Unterhaching. Yıldız kommt aus dem Bayern-Nachwuchs, Adeyemi wurde in der Jugend des Rekordmeisters zwischenzeitlich aussortiert, spielte dann für Unterhaching.
Kai Hitzner erinnert sich heute immer noch gerne an diese Zeit: „Bei Karim war zumindest abzusehen, dass Haching stark auf ihn baut.“ Yıldız wiederum sei „gefühlt bei jedem Hallenturnier zum besten Spieler gewählt“ worden. „Er war der Superstar in der Jugend. Man hat gemerkt, dass er mit mehr Talent gesegnet ist, als manch anderer“, sagt Hintzer. Dass die beiden aber mal in Europas Königsklasse aufeinander treffen würden, dass habe man trotzdem natürlich damals „noch nicht wissen“ können.
Trotzdem sei er am Dienstagabend mächtig stolz gewesen – auf die beiden Jungs, aber auch auf seine Schule. Hintzer begründet: „Das macht uns immer stolz. Für uns sind sie Aushängeschilder, die zeigen, dass eine Eliteschule zu so etwas führen kann: Dass die Jungs durchstarten und trotzdem ihren Abschluss machen.“ Zugleich sei es Ansporn für die nachfolgenden Generationen von Leistungssportschülern. „Es lässt ihren Traum noch größer werden, wenn sie hören, dass es manche geschafft haben.“ Weitere prominente Alumni der Schule: Diego Contento, der 2013 Champions-League-Sieger mit dem FC Bayern wurde, Dženan Pejčinović, deutscher U21-Nationalspieler, aktuell beim VfL Wolfsburg unter Vertrag, Mansour Ouro-Tagba vom VfB Stuttgart und Chima Okoroji vom schweizerischen FC St. Gallen.
Bleibt die Frage, was genau Adeyemi und Yıldız am Mittelkreis geredet haben – eine Erinnerung an die gemeinsame Schulzeit? Nicht ganz: „Ich habe ein Tor gemacht, er hat ein Tor gemacht. Da haben wir uns ein bisschen verarscht“, verriet Adeyemi nach dem Spiel. „Ich habe ihm gesagt, er soll keine Tore mehr machen und am besten nach hinten laufen.“ Laut Yıldız wiederum musste er sich von Adeyemi „ein paar Späße auf Türkisch“ anhören. „Er kann ja ein paar Wörter auf Türkisch. Da ist er gefühlt manchmal besser als ich.“
Schlimm sei das aber nicht gewesen: „Er ist wirklich ein sehr, sehr guter Spieler und ein sehr, sehr guter Mensch“, resümierte der Juve-Spieler nämlich. Was BVB-Profi Adeyemi prompt erwiderte: Yıldız sei ein „sehr, sehr guter Junge und fußballerisch natürlich auch sehr gut, was er da auf dem Platz gibt“, sagte Adeyemi. „Ich verstehe mich gut mit ihm und er ist ein guter Junge.“
Das sportliche Fazit zur Partie fällt hingegen nüchtern aus. Denn nach den beiden Treffern der alten Schulfreude entwickelte sich ein wildes Spektakel. Felix Nmecha (65.), Yan Couto (74.) und Ramy Bensebaini per Handelfmeter (86.) brachten den BVB vermeintlich auf die Siegerstraße. Doch Dusan Vlahovic (67., 90.+4) und Lloyd Kelly (90.+6) entrissen den Dortmundern doch noch den Sieg. „Das Spiel müssen wir zu 100 Prozent gewinnen und nichts mehr anbrennen lassen“, zieht Adeyemi deswegen ein unzufriedenes Fazit, „wir sind enttäuscht.“