Jürgen Klopp hat ein Interview gegeben. Noch vor wenigen Monaten hätte das vermutlich (fast) alle Fußballfans in Deutschland gefreut, inzwischen gibt es vor allem Stirnrunzeln. Der Grund ist klar: Nach seinem Karriereende als Trainer wechselte Klopp als „Head of Global Soccer“ zu Red Bull. Red Bull betreibt im Fußball ein gigantisches Multi-Club-Ownershib-Modell, warum das problematisch ist, darüber hat FanLeben.de hier bereits berichtet. In seinem Interview kritisiert Klopp nun aber auch die deutschen Fans: „Sie lieben Red Bull in allen Bereichen. Aber im Fußball? Nein.“ Die Kritik an seinem neuen Job sei zwar erwartbar, aber auch scheinheilig – das ist die Botschaft des zweifachen Dortmunder-Meistertrainers.
Die Kritik an Red Bull im Fußball ist dabei weitreichend bekannt: RB Leipzig zum Beispiel ist ein Kunstprojekt, das allein als Werbestrategie des Konzerns dient. Der vor Ort formal gegründete Verein ist ein closed Shop, die für den deutschen Fußball elementare Vereinskultur wird damit umgangen – was sogar das Bundeskartellamt, wie FanLeben.de hier berichtet hat, kritisiert. Ist also nicht nur „was gefühliges“, wie der Ex-Mainzer suggiert. Die Gründungsgeschichte von Red Bull Salzburg hingegen ist eine einzige Verächtmachung der Fankultur: Die Fans sollten einen neuen Name, ein neues Logo und neue Vereinsfarben akzeptieren – im Gegenzug sollte die Traditionsfarbe Lila die Stutzenfarbe der Torhüter bleiben. Kein Witz.
Aber, lieber Jürgen Klopp, die These, außerhalb des Fußballs gebe es von deutschen Sportfans keine berechtigte Red-Bull-Kritik, können wir beim besten Willen nicht so stehen lassen. Wir stimmen zu: Schlimm genug, dass vielen Menschen das österreichische Zuckerwasser schmeckt. Aber auch außerhalb des Fußballs ist Red Bull ein mindestens mal problamtischer Akteur – im Sport, aber auch darüber hinaus. Eine Abrechnung.
Red Bulls Name steht heute sinnbildlich für eine Industrie, die aus Risiko Kapital schlägt. Der Konzern ist längst nicht mehr nur Getränkehändler, sondern orchestriert ein Medienimperium aus waghalsigen Projekten, Filmen, Events und Rekorden. Was die Marke verkauft, ist nicht bloß ein Lifestyle – es ist die Ästhetik der Grenzüberschreitung. Und diese Ästhetik hat ihren Preis.
Im Sport viel zu oft sogar den höchsten: Ein besonders erschütterndes Beispiel ist der Tod des Schweizer Basejumpers Ueli Gegenschatz im Jahr 2009. Gegenschatz, einer der erfahrensten Skydiver seiner Zeit, stürzte bei einem Sprung vom Zürcher Sunrise Tower ab – einem Sprung, der Teil einer Red-Bull-Promotion war. Ein Windstoß drückte ihn gegen das Gebäude, er verlor die Kontrolle und schlug auf dem Asphalt auf. Zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Was diesen Unfall besonders tragisch macht, ist nicht allein der Tod eines Athleten, sondern der Kontext: Der Sprung war kein privates Abenteuer, sondern Teil einer inszenierten Aktion, einer Marketing-Kampagne passend zum „verleiht Flügel“-Slogan des Unternehemens. In der ARD-Dokumentation „Die dunkle Seite von Red Bull“ wird folglich sogar suggeriert, dass Produktionsdruck und Terminvorgaben den Handlungsspielraum der Beteiligten vor Ort einschränkten. Wenn Kameras, Sponsoren und Medien bereitstehen, ist der Druck wie geplant zu springen immens – auch wenn das Wetter eigentlich mindestens mal für das Verschieben des Sprungs gesprochen hätte.
Nur wenige Monate zuvor, im März 2009, verunglückte der kanadische Extremskifahrer Shane McConkey bei einem Basejump in den Dolomiten. Auch er war ein Star der Szene, auch er stand in Verbindung mit Red Bull. McConkey wollte mit Skiern von einer Felswand abspringen, die Skier abwerfen und dann den Fallschirm öffnen. Doch einer der Skier löste sich nicht, der Fallschirm blieb unbrauchbar. McConkey stürzte in den Tod. Der Film über sein Leben wurde später von Red Bull Media House mitproduziert und wohl auch deswegen kommerziell erfolgreich, weil er ein so dramtisches Ende hat. Red Bull hat damit an dem Tod eines ihrer Sportler mitverdient.
Red Bulls Medienmacht, so ein weiterer Vorwurf, ermögliche es, die Narrative zu kontrollieren. Wenn etwas schiefgeht, verschwindet es oft aus der öffentlichen Wahrnehmung. In der internationalen Presse finden sich kaum detaillierte Unfallberichte über Drehs, bei denen es zu schweren Verletzungen oder Todesfällen kam. Der Artikel “Extreme Footage – Dying for Red Bull” bezeichnete diese Praxis als „strategische Unsichtbarkeit“: Red Bull vermeide es, Unfälle prominent zu machen, um die Aura des Unbesiegbaren zu wahren. Auch im Fall der schwedischen Freeriderin Matilda Rapaport, die 2016 bei einem Filmdreh in Chile von einer Lawine verschüttet wurde, beschränkte sich die Reaktion auf eine knappe Mitteilung. Kein öffentlicher Untersuchungsbericht, keine Diskussion über Sicherheitsvorkehrungen, keine sichtbare Selbstkritik. Stattdessen: Schweigen und Symbolpolitik.
Übrigens: Mit Margot Simond starb auch in diesem Jahr bereits eine mit Red Bull verbundene Athletin im „Red Bull Alpine Park“ in Val d’Isère.
Zahlreiche Athlet*innen berichten zudem, dass Red Bull im Training oder bei Veranstaltungen eine beeindruckende Infrastruktur bietet – Kamerateams, medizinische Betreuung, logistische Präzision. Doch wenn etwas schiefläuft, so der Vorwurf, ende diese Fürsorge oft an der Unfallstelle. Während verletzte Sportler oder Hinterbliebene versuchen, ihr Leben neu zu ordnen, ziehe sich der Sponsor zurück in die Deckung seiner PR-Abteilung. Beim Mountainbiker Paul Basagoitia, der 2015 beim Red Bull Rampage schwer stürzte und eine Querschnittslähmung erlitt übernahm in der Folge darum die Fan-Community selbst die Verantwortung – über Spendenkampagnen, über Solidarität. Diese Haltung ist bezeichnend für ein System, das Athlet*innen als Markenbotschafter sieht – solange sie liefern. Wer nicht mehr springen, fliegen oder fallen kann, verliert seinen Wert für die Kamera. Die menschliche Seite bleibt auf der Strecke.
Rechtlich mag Red Bull in vielen Fällen unangreifbar sein. Verträge sichern den Konzern ab, Athlet*innen unterschreiben Risikoerklärungen, und die Grenzen zwischen Eigenverantwortung und Fremddruck sind fließend. Doch moralisch trägt das Unternehmen Verantwortung.
Kritik an Red Bull gibt es aber ja nicht nur im Sport. Red Bull hat es geschafft, sich in nahezu jede jugendliche Kultur einzuschreiben – ob Gaming, Skateboarding, Musikfestivals oder E-Sport. Überall dort, wo Aufbruch, Lärm und Leidenschaft regieren, prangt das Logo der roten Bullen. Das ist kein Zufall, sondern Teil einer langfristig angelegten Marketingstrategie, die gezielt auf junge, beeinflussbare Konsument*innen zielt. Dabei ist längst bekannt, dass Energy Drinks in hohen Mengen gesundheitlich problematisch sein können. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) warnt seit Jahren vor zu hohem Koffein- und Zuckeranteil, insbesondere bei Jugendlichen. Einige Länder – darunter Frankreich und Dänemark – untersagten deswegen bereits den Verkauf von Red Bull zeitweise oder regulierten ihn streng. Auch in Deutschland wird das diskutiert. In den USA, wie aktuell im Bundesstaat Maine, organisiert Red Bull gegen entsprechende Pläne gigantische Medienkampagnen. Dennoch nutzt der Konzern Events, Serien und Social-Media-Kampagnen, um die Marke subtil in jugendnahe Lebenswelten einzuschleusen.
Hinzu kommt ein zweiter, kaum minder brisanter Widerspruch: das Umweltimage. Während Red Bull sich sportlich, naturverbunden und nachhaltig gibt, steht der Konzern in der Kritik, mit Milliarden von Aluminiumdosen Jahr für Jahr eine ökologisch schwer vertretbare Produktionskette zu betreiben. Aluminium ist in der Herstellung extrem energieintensiv, Recyclingquoten sind unklar. Nachhaltigkeitsberichte existieren, doch sie bleiben vage – mit wohlklingenden Absichtserklärungen statt überprüfbaren Zielen. Greenwashing, sagen Umweltorganisationen, ist hier keine Randerscheinung, sondern Teil der Markenpflege.
So glatt wie das Image, so geschlossen ist das System. Wer hinter die Kulissen von Red Bull blickt, trifft auf eine Unternehmenskultur, die von Loyalität, Disziplin und Schweigen geprägt ist. Ehemalige Mitarbeiter*innen und Journalist*innen beschreiben Red Bull als streng hierarchisch, als Konzern mit klarer Machtachse, lange Zeit verkörpert durch Gründer Dietrich Mateschitz, der bis zu seinem Tod 2022 jeden wichtigen Bereich persönlich absegnete.
Mateschitz, auch das ist wichtig, war politisch wiederum selbst nie neutral. Im Gegenteil: In Interviews positionierte er sich wiederholt gegen Migration, gegen Vielfalt, gegen politische Korrektheit, gegen öffentlich-rechtliche Medien. 2017 gründete er das journalistische Online-Projekt „Addendum“, das, nach eigenen Angaben, Fakten liefern wolle, wo andere „Meinungen verkaufen“, doch bald den Ruf erhielt, mindestens Mal extremkonservative, wenn nicht gar rechtsextreme Narrative zu bedienen. Das ist besonders brisant, weil Red Bull gleichzeitig versucht, auf der ganzen Welt Geschäfte zu machen. Und auch Profisport ohne Migration und Diversität heute gar nicht mehr denkbar ist – zurecht, übrigens.
Red Bull betreibt über sein Medienunternehmen den österreichischen Fernsehsender „Servus TV“. Dieser Sender ist mehrfach wegen seiner politischen Ausrichtung in die Kritik geraten: Die Ankündigung 2016, den Sender schließen zu wollen, fiel zusammen mit Plänen zur Gründung eines Betriebsrats. Dietrich Mateschitz behauptete, ein Betriebsrat würde die Unabhängigkeit beeinträchtigen. Nachdem sich Mitarbeitende gegen die Idee stellten, wurde die Entscheidung zurückgenommen. ServusTV wurde in der Corona-Pandemie und in Diskussionen um Corona-Impfungen aber auch kritisiert, weil in Talkformaten Zweifel an Impfstoffen geäußert wurden und Kritik an öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen Platz fand – was dem Sender den Vorwurf einbrachte, er fördere Verschwörungsthesen oder Kritiken an etablierten Gesundheitsinstitutionen.
Red Bull wurde mit Finanzstrukturen in Offshore-Zentren und Steuergestaltungen in Verbindung gebracht, insbesondere über die Eigentümerfamilie Yoovidhya (Thailand). In Medienberichten wurde dargestellt, dass über Briefkastenfirmen und verschachtelte Konstrukte Vermögenswerte wie Flugzeuge und Immobilien verborgen werden.
Kommen wir zum Fazit, lieber Jürgen Klopp: Nicht alle Deutschen lieben Red Bull.
Aber wer diesen Konzern ersthaft liebt, der sollte dringend seinen Wertekompass hinterfragen.
