Hakim Ziyech blickt auf eine stolze Karriere zurück: Champions League-Sieger und Klub-Weltmeister mit Chelsea, Meister mit Ajax und Galatasaray und über 60 Länderspiele mit Marokko – nur wenige kommen da drüber. Jetzt, mit 32 Jahren, schreibt Ziyech sogar noch einmal Geschichte: Als wertvollster Zugang, der jemals in die marokkanische Liga gewechselt ist. Und zwar zum bedeutensten Klub des Landes: Wydad Casablanca.
Der Verein wurde am 8. Mai 1937 als Schwimmverein gegründet. Seit 1939 wird bei Wydad aber auch Fußball gespielt. Apropos: Wydad. Bei einer der Sitzungen des Gründungskomitees ist der Legende nach eines der Mitglieder zu spät erschienen, weil er vorher im Kino einen Film der ägyptischen Sängerin und Schauspielerin Umm Kulthum mit dem Titel Wydad gesehen hatte. Dies soll den Gründern die Idee zur Namensgebung gegeben haben. Wydad ist übrigens arabisch und bedeutet Liebe.
Und damit gleich nochmal Apropos: Liebe. Die Fans von Wydad Casablanca gehören zu den leidenschaftlichsten und einflussreichsten Fangruppen Afrikas und der arabischen Welt. Gleichzeitigk gehören sie zu den politisch wachsten Anhängern des afrikanischen Fußballs. Im Stade Mohammed V, einer gewaltigen Betonschale im Herzen Casablancas, erzeugen sie an Spieltagen eine Atmosphäre, die an südamerikanische Tempel erinnert. Im Zentrum dieser Szene stehen die Ultras Winners 2005, eine der einflussreichsten und bestorganisierten Ultra-Gruppen des Kontinents. Ihre Choreografien sind minutiös geplante Kunstwerke, häufig versehen mit gesellschaftlichen oder politischen Botschaften, mit denen sie Missstände anprangern oder ihre Verbundenheit mit der Stadt ausdrücken. Immer wieder prangern sie Korruption im Fußball wie in der Politik an, verurteilen soziale Ungerechtigkeit und die Perspektivlosigkeit vieler junger Marokkaner. Außerdem fordern sie eine Demokratisierung Marokkos. Sie verstehen sich damit nicht bloß als Fans, sondern als Sprachrohr einer Generation, die zwischen Tradition, Stolz und sozialer Unsicherheit lebt. Wydad gilt seit jeher als Verein des Volkes, tief verwurzelt in den Arbeitervierteln Casablancas. Entsprechend roh und echt wirkt die Energie auf den Rängen. Und so eint die Wydad-Fans ein unerschütterliches Credo, das sie auf Bannern und in Gesängen immer wieder beschwören: Treue bis zum Tod, Gemeinschaft über alles. Ihre Leidenschaft ist laut, unbequem, kompromisslos – und genau darin liegt ihre Faszination.
Und sportlich? Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 wurde Wydad zu einem der prägenden Vereine des Landes. Der Klub dominierte gemeinsam mit FAR Rabat und später Raja Casablanca die heimische Liga und prägte über Jahrzehnte den marokkanischen Fußball. In den 1990er-Jahren feierte Wydad erste große internationale Erfolge, darunter den Gewinn der afrikanischen Champions League 1992. Nach einer Phase relativer Instabilität zu Beginn der 2000er-Jahre fand der Verein in den letzten Jahren zu alter Stärke zurück. Unter wechselnden, aber ambitionierten Führungen entwickelte sich Wydad wieder zu einer festen Größe im afrikanischen Spitzenfußball, gewann 2017 und 2022 erneut die Champions League und blieb auch national dominant. Damit gehört er zu den erfolgreichsten Vereinen Afrikas.
Spannend: Seit 2019 sind Marokkos Erstligisten verpflichtet, den professionellen Spielbetrieb aus den traditionellen Mitglidervereinen in Kapitalgesellschaften, meist Aktiengesellschaften, auszugliedern. Die Liga verpflichtet die Stammvereine jedoch, mindestens 51% der Stimmrechte zu besitzen. Auch bei Wydad Casablanca gilt damit eine 50+1-Regel. Auch wenn Fans kritisieren, dass die Mitgliederdemokratie im Stammverein nicht ausreichend gelebt wird und es auch im Umfeld des Vereins zu Korruption komme.
Aber zurück zu Hakim Ziyech: Der hat erst einmal für ein Jahr bei Wydad Casablanca unterschrieben. Nach vier Partien liegt seine neue Mannschaft in der Liga auf Platz zwei, der aktuelle Tabellenerste hat einen Punkt Vorsprung, jedoch auch ein Spiel mehr absolviert. Die nächste Meisterschaft mit dem dritten Verein ist also durchaus drin für Ziyech. Es wäre eine wirklich schöne Fußball-Geschichte.
