2007 gründete das nationale Olympische Komitee in Afghanistan erstmals eine Frauenfußballnationalmannschaft. Die Spielerinnen: Schülerinnen. Ein Jahr später reiste die Gruppe junger Frauen zu einem ersten Vorbereitungscamp nach Deutschland. 2010 folgte das erste offizielle Länderspiel im Rahmen der Südasienmeisterschaft, 2012 gabs den ersten Pflichtspielsieg – ein 2:0 gegen Katar. 2016 wurde die ehemalige US-amerikanische Nationalspielerin Kelly Lindsey Cheftrainerin der Afghaninnen und professionalisierte den Frauenfußball am Hindukusch weiter. Eine zwar langsame, aber stetige Entwicklung. Wenn auch, wie 2018, als Ausrüster Hummel die Zusammenarbeit aufgrund von Vorwürfen gegen männliche Angestellte des Verbandes wegen physischen, psychischen und sexuellen Missbrauchs von Spielerinnen der Nationalmannschaft, beendete, mit Rückschlägen.
Doch all das endete 2021 mit dem Vormarsch der Taliban. Professioneller Frauensport? Für die islamistischen Terroristen vollkommen inakzeptabel. Sie stellten nicht nur die Nationalmannschaft ein, sie kündigten auch an, Jagd auf die ehemaligen Spielerinnen zu machen, sie zu töten. Nur weil sie ihr Land bei Fußballspielen repräsentierten. Den meisten Spielerinnen gelang die Flucht, viele leben heute in Albanien oder Australien. Die Jugendnationalmannschaft wiederum bekam politisches Asyl in Portugal, die jungen Frauen können dort weiter kicken. „Es war grausam, schwierig und stressig. Ich habe mein Bestes gegeben, um den Spielerinnen mitten im Chaos Halt zu geben. Am Ende haben wir mehr als 600 Spielerinnen aus Afghanistan herausgebracht. Am Anfang die Spielerinnen, dann ihre Familien“, erinnert sich Kahlida Popal, die 2021 hautnah mit dabei war.
Das Ende des afghanischen Frauenfußballs war ohne Zweifel einer der traurigsten und bittersten Momente im Weltfußball. Machtlos musste die Fußballwelt zusehen, wie Mitspielerinnen verfolgt und entrechtet wurden, wie ihre Freiheit, Fußball zu spielen, einem radikalen Regime geopfert wurden.
Umso mehr Hoffnung macht, dass es jetzt, fast fünf Jahre später, endlich wieder eine afghanische Frauenfußballnationalmannschaft gibt – wenn auch als Exilteam. Nach einem monatelangen Vorlauf hat der Weltverband FIFA die Gründung einer solchen Mannschaft legitimiert und für sogar ein Viererturnier in Marokko organisiert. Tituliert als „The Women’s Series 2025“, in der das Team aus Afghanistan gegen Tschad, Libyen und Tunesien antritt. Das historische erste Spiel gab es am Sonntag gegen die Spielerinnen des Tschads, eine 1:6-Niederlage, aber als würde es darum gehen.
„Wir sind zutiefst dankbar, dass die Fifa uns diese Gelegenheit und dieses Privileg gegeben hat, zu zeigen, wozu Frauen fähig sind“, freute sich Kapitänin Fatima Haidari. „Es ist eine klare Botschaft an die Welt, dass Frauen, wenn sie etwas in ihrem Leben erreichen wollen, nicht nur als Sportlerinnen, in der Gesellschaft den Männern gleichgestellt sein sollten, insbesondere im Sport und in Ländern wie Afghanistan, wo sie in den letzten Jahren keine Chance dazu hatten. Damit ist dieser Traum wahr geworden.“
Die Fifa will will mit dem Exilteam, „das Recht aller Frauen und Mädchen zu fördern und zu schützen, diesen Sport auszuüben, ihre Fußballträume zu verwirklichen und durch das Spiel zu wachsen“, wie der Weltverband in einer Pressemitteilung schrieb. Hinter der Mannschaft und dem Turnier steht dabei der Fifa-Rat, dem auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf angehört. Man wolle es den Spielerinnen so ermöglichen, auf die internationale Bühne zurückzukehren.
Ursprünglich sollte das Turnier dabei in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden, musste aber kurzfristig verlegt werden, wohl, weil die VAE sich doch weigerten, den afghanischen Spielerinnen Visa für die Einreise auszustellen. Die afghanischen Spielerinnen hatten sich bereits an den Flughäfen befunden, wurden dann aber angewiesen, die Reise in die VAE nicht anzutreten. Danach sprang Marokko als Ausrichter ein.
Khalida Popal, eine der ersten Nationalspielerinnen Afghanistans und heute als Aktivistin gegen das Taliban-Regime bekannt, sagt: „Die Welt hat die Frauen von Afghanistan vergessen.“ Zugleich warnte sie davor, mit dem Taliban-Regime zu kooperieren: „Ich weiß nicht, was für eine Zusammenarbeit es geben sollte, wenn die Taliban Frauen aus der Gesellschaft verbannen und verdrängen wollen.“ Popal stand seit langem mit der Frauenfußball-Kommission der Fifa in Kontakt, um wenigstens den geflüchteten Spielerinnen zu helfen, wieder ihren Sport auszuüben – und fand Gehör. Der Weltverband stellte die finanziellen Mittel, um nicht nur ein Trainingslager in Australien zu organisieren, sondern ein Netzwerk aufzubauen, damit die afghanische Spielerinnen die gleichen Standards an Betreuung und Chancen erhalten wie jede andere hochkarätige Frauen-Nationalmannschaft, teilte die Fifa mit.
Für die neue Nationalmannschaft stehen jetzt insgesamt drei Trainingslager auf dem Programm, in denen sich etwa 70 Spielerinnen aus Australien und Europa der Cheftrainerin Pauline Hamill und ihrem weiblichen Betreuerstab vorstellten. Das erste Trainingslager fand unter Fifa-Leitung daher auch in Sydney statt, gefolgt von zwei weiteren im St. George’s Park National Football Centre in Burton upon Trent, der Heimat der englischen Nationalteams. Von den Spielerinnen geleitete Workshops konzentrierten sich die vergangenen Wochen auf Teambildung und Taktik, Wohlbefinden und persönliche Entwicklung. Dabei hätten Schutz und Sicherheit an erster Stelle gestanden, versicherte der Weltverband, der Wert darauf legte, dass ausschließlich Frauen mit dem Team arbeiteten.
Das nächste Spiel der afghanischen Frauenfußballnationalmannschaft findet übrigens heute Abend statt. Und es wird wieder auch ein Zeichen sein. Ein Zeichen dafür, dass man Menschen ihre Rechte nicht auf Dauer nehmen kann.
