Mit Roger Wittmann ist das so eine Sache. Da sind sich alle einig. Nur was für eine Sache es mit Roger Wittmann ist, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Roger Wittmann, heute 65 Jahre alt, würde sich vermutlich als einen der erfolgreichsten Spielerberater Deutschlands bezeichnen. Nicht völlig zu Unrecht. Mit Julian Draxler gehört ein Weltmeister zu seinen Klienten, auch Jermaine Jones, Kevin Kurany oder Roberto Firmino hat(te) der Schwager von Mario Basler bereits unter Vertrag. Sein aktuell bekanntester Klient dürfte aber Joelinton sein, der bei Newcastle United spielt. Aus der Bundesliga kennt man Fisnik Asllani von der TSG Hoffenheim oder Marcel Sabitzer von Borussia Dortmund.
Aber bei allem Renommee, das seine Klienten vermuten lassen, gibt es seit Jahrzehnten immer wieder auch Kritik an Wittmann. Und die geht so: Wittmann versuche zielgerichtet möglichst viele seiner Spieler bei einem Verein unterzubringen, um so möglichst viel Einfluss auf diesen ausüben zu können. Klar, wenn vier oder fünf der wichtigsten Spieler einer Mannschaft von Wittmanns Agentur ROGON kommen, hat dieser in Verhandlungen mächtige Druckmittel. Beim 1. FC Kaiserslautern wurde dem damaligen Vorstand Jürgen Friedrich sogar aufgrund horrender Berater-Honorare für ROGON die Entlastung verweigert, nachdem der Klub eine Insolvenz nur um Haaresbreite vermeiden konnte. Gleich mehrere deutsche Vereine, wie eben der 1. FC Kaiserslautern und Schalke 04, nach der unrühmlichen Nicht-Vertragsverlängerung des – wir erinnern uns – vermeintlichen Weltklassespielers Max Meyer, nahmen sich darum in der Vergangenheit bereits vor, nicht mehr oder nur noch möglichst wenig mit Wittmann zu tun zu haben.
Doch so leicht ist das nicht. Wittmann pflegt nämlich oft enge Beziehungen zu den Entscheidungsträgern der Vereine seiner Spieler. Mit Clemens Tönnies ist er zum Beispiel befreundet. Aber vor allem mit Dietmar Hopp, dem Mäzen der TSG Hoffenheim. Und auch wenn es in der Vergangenheit rund um Roger Wittmann immer wieder schon mal Streit gab, so krass und – vor allem – so absurd wie in Hoffenheim noch nicht. Aber der Reihe nach.
Seit ca. 2012 sind Hopp und Wittmann befreundet. Wittmann besucht Hopp in dieser Zeit regelmäßig in seiner Ehrenloge bei der TSG Hoffenheim. Sieben ROGON-Profis spielen in dieser Zeit für die TSG, darunter zum Beispiel Luiz Gustavo und Roberto Firmino. Über Jahre geht das so, auch wenn es, wie zum Beispiel rund um den Transfer und die Aussortierung von Tim Wiese, ebenfalls ein Wittmann-Profi, Ärger gab.
Zwischenzeitlich ist die TSG Hoffenheim sogar ein Ausnahme-Klub, also in dem Sinne, dass die 50+1-Regel für sie nicht gilt und Mäzen Hopp auch die Mehrheit der Stimmrechte kontrolliert, (auch) formell alleine entscheiden kann, wer die Geschäfte des Klubs führt. Ein Paradies für Roger Wittmann. Doch dann entscheidet sich Hopp, vor allem um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, die 50+1-Regel bei der TSG wieder anwenden zu lassen. Er gibt die Stimmrechtsmehrheit an den Verein zurück. Mit seiner Aura kontrolliert Hopp eh alles in Hoffenheim, an seinem Geld hängt der Bundesligafußball, ändern, so dürfte Hopp gedacht haben, wird das also sowieso nichts.
Denkste. Denn im Sommer diesen Jahres kommt es wegen Wittmann zum Bruch zwischen Hopp und der Geschäftsführung der TSG Hoffenheim. Die Geschäftsführer sprachen gegen Wittmann ein Hausverbot aus, zuvor soll dieser Mitarbeiter der Geschäftsstelle bedrängt und beleidigt haben. Man wolle sich vom Spielerberater emanzipieren, eigenständig werden, hieß es.
Wittmann klagt gegen das Hausverbot. Und der Prozess wird spektakulär: Die Anwältin von Wittmann deutete während des Prozesses an, eine eidesstattliche Erklärung vorlegen zu können, wonach Wittmann die ihm vorgeworfene Beleidigung niemals ausgesprochen habe – blöd nur, dass die Anwälte der TSG-Geschäftsführung ihr zuvorkommen und eine Tonbandaufnahme vorlegen können, auf der genau diese Aussage zu hören ist. Wittmann gibt die eidesstattliche Erklärung dann doch nicht ab, bietet aber eine Unterlassungserklärung für die Zukunft an. Die lehnt wiederum die TSG ab. Also muss das Gericht entscheiden.
Das Urteil: Ein Stadionverbot gegen Roger Wittmann sei kein zulässiges Mittel gewesen, er müsse Zutritt zu seiner Loge bekommen. Das Hausverbot auf dem Trainingsglände aber darf bestehen bleiben. Ein Teilerfolg – für beide Seiten.
Vorbei ist die Auseinandersetzung damit aber noch nicht. Natürlich nicht. „Nie wieder Wittmann in Hoffenheim!“, stand in schwarzer Schrift auf hunderten weißen Plakaten, welche die Hoffenheim-Fans vor dem Heimspiel gegen Bayern München im September zeigten. Auch in lauten Gesängen legten die Anhänger*innen Wittmann Unternehmer nahe, sich in Sinsheim nicht mehr zu zeigen. Dietmar Hopp wiederum bezeichnete das Hausverbot als „große Schweinerei“ und ärgerte sich, dass er dagegen „nichts machen“ habe können. Auch gegen die Geschäftsführung teilte er aus: „Eigentlich will ich keine Rolle mehr spielen, aber ich muss, weil es sonst nicht vorwärtsgeht.“ Er treffe darum „immer noch die wichtigsten Entscheidungen“.
Dabei kann er sich, trotz Rückgabe der Stimmrechts-Mehrheit, auf den Rückhalt aus dem Verein verlassen. Denn auch wenn 50+1 in Hoffenheim gilt, haben Fans dort kaum Mitsprache-Möglichkeiten. Hintergrund ist folgender: Stimmrecht auf den Mitgliederversammlungen der TSG Hoffenheim haben nur Mitglieder, die vor 2009 Mitglied des Vereins wurden. Also vor der sportlich erfolgreichen Zeit. Heißt: Junge Fans, die jetzt in der Kurve stehen, können den Vereinsvorstand, der die Stimmenmehrheit bei der Spielbetriebsgesellschaft hält, nicht mitwählen. In der Folge sind die Vereinsvorstände Menschen aus dem Umfeld von Dietmar Hopp. Findet der gerecht, immerhin gebe er ja das Geld. Aber genau das soll ja durch die Regel eigentlich verhindert werden.
Kommen wir kurz zum Sport: Die TSG Hoffenheim steht aktuell auf Platz sechs der Bundesliga, viele Talente aus dem eigenen Nachwuchs, teilweise nach erfolgreichen Leihen, konnten in die erste Mannschaft integriert werden. Die sportliche Entwicklung stimmt also. Eigentlich eine gute Gelegenheit auch im Umfeld für Ruhe zu sorgen.
Aber das würde ja nun wirklich nicht zu dieser Geschichte passen. Die TSG 1899 Hoffenheim hat sich darum nach Informationen von „Bild“ und „Kicker“ von den beiden Geschäftsführern Markus Schütz und Frank Briel getrennt. Auf Anfrage wurden die Berichte durch den Verein zunächst nicht bestätigt. Sie gelten als Drahtzieher hinter dem Wittmann-Ausschluss und sollen Hopp, der auch gesagt hat, Wittmann sei „ein Freund“ und er „helfe ihm“, deswegen ein Dorn im Auge sein. Damit bleiben in der TSG-Geschäftsführung von Alexander Jost, verantwortlich fürs Marketing, und Andreas Schicker, zuständig für den Sport. Wobei Schicker ein Angebot von RB Salzburg vorliegen soll – er soll einen Wechsel anstreben.
Ziehen wir Bilanz: Der Hopp-Rückzug aus dem operativen Geschäft bei der TSG Hoffenheim hat sich ins Gegenteil verkehrt. Für Roger Wittmann ist das eine ziemlich gute Nachricht. Aber ob der TSG Hoffenheim die so wieder aufkommende Unruhe hilft, jetzt, da sie sich sportlich gerade stabilisiert hat, darf man getrost in Zweifel ziehen.
Der Fall zeigt auch: Die 50+1-Regel hängt sehr stark an handelnden Akteur*innen. Sie muss nachgeschärft werden, um konsequent durchgesetzt werden zu können.
