Für die Eintracht ist der Abbau digitaler Barrieren mehr als ein Gesetz oder eine Richtlinie: es ist eine Einstellung und Haltung, die konsequent mitgedacht wird. Insbesondere im digitalen Bereich wurden zuletzt zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, um gehörlosen Fans die Teilhabe am Vereinsleben und an Spieltagen zu erleichtern.
„Barrierefreiheit ist für die Eintracht ein zentraler Bestandteil des Nutzererlebnisses“, schreibt der Verein deswegen auf seiner Homepage. Und erklärt: „Egal, ob 18-Jährige in der Kurve, Familien vor dem Fernseher oder Fans im Rollstuhl in den Blöcke 20 bis 36 – die Eintracht will alle Fans gleichermaßen erreichen und ein inklusives Erlebnis bieten. Das Ziel ist, dass jeder Mensch unabhängig von individuellen Voraussetzungen oder Kommunikationsformen seiner Leidenschaft für den Sport nachkommen kann.“
Mit dem Projekt FlipKick, das Eintracht Frankfurt gemeinsam mit dem DEAF-Fanclub und der Beratungsstelle KickIn gestartet hat, sollen Sensibilisierung und Weiterentwicklung vorangetrieben werden. Ziel ist es, die Gehörlosenkultur sichtbarer zu machen und das digitale Angebot sowie die Stadionangebote kontinuierlich zu verbessern. KickIn unterstützt die Eintracht dabei mit praxisnahen Informationen, Workshops und individueller Beratung rund um inklusive Angebote und barrierefreie Stadionerlebnisse. Ein weiteres Highlight sind die Gebärdensprachkurse des Eintracht Frankfurt e.V., die sowohl in Präsenz als auch online angeboten werden. Hier lernen Fans die Grundlagen der Deutschen Gebärdensprache (DGS), vom Fingeralphabet über Grammatik bis hin zu fußballbezogenen Begriffen. Die Kurse fördern das gegenseitige Verständnis und eröffnen neue Wege der Kommunikation im Stadion, im Vereinsumfeld und im Alltag. Das kommt auch bei den Fans an. So berichtet Mike Stöbe-Kolibaba, Teilnehmer des Gebärdensprachkurses: „Der Gebärdensprachkurs begeistert mich als Hörenden, weil ich eine neue, ausdrucksstarke Sprache entdecke und zugleich auch meine Mimik und Gestik verbessern.“
All das sind gute Angebote. Aber FanLeben.de fragt: Wie steht es um die Inklusion im deutschen Spitzenfußball insgesamt? Wir machen den Faktencheck!
Und der beginnt mit einer unbequemen Wahrheit: Obwohl die Bundesliga sich gerne inklusiv gibt und Vielfaltsspieltage als Mottoevents veranstaltet, bieten auch im Jahr 2025 noch alle Spitzenklubs beispielsweise Rollstuhlfahrer*innenn zu wenig Platz. Damit verstoßen sie gegen die Gebote der Fairness, der Inklusion – und ignorieren sogar geltendes Recht. Denn den barrierefreien Zugang zu Veranstaltungen regelt in Deutschland die Muster-Versammlungsstättenverordnung, die dreizehn von sechzehn Bundesländer übernommen haben. In Stadien von bis zu 5.000 Plätzen müssen demnach mindestens 1%, bei höherer Kapazität mindestens 0,5 Prozent der Plätze für Rollstuhlfahrer zur Verfügung stehen. Was das für den BVB bedeuten würde steht oben. Für die beiden Bundesligen insgesamt hieße das sogar rund 7.400 Rolli-Plätze. Es gibt aber nur knapp 3.200. Die bittere Realität ist: Aktuell erfüllt kein einziges Stadion die Anforderungen. Übrigens: Selbst Kult-Klub Union Berlin hat sich bislang nicht dazu bekannt, nach dem angekündigten Umbau der Alten Försterei die Rollstuhl-Regel einzuhalten.
Die UEFA machte darum im letzten Jahr Druck, weil sie eine barrierefreie Euro 2024 versprochen hatte. Sie stellte sogar sicher, dass kurzfristig nachgerüstet wurde. Für die EM wurden zum Beispiel in Dortmund die Rollstuhlplätze verdoppelt. Doch nach dem Turnier hat der Verein sie wieder zurückgebaut. Der BVB begründet das mit der alten Bausubstanz des 1974 errichteten Stadions. Doch das Argument ist vorgeschoben, denn an seinem Stadion tüftelt Borussia Dortmund immer mal wieder: Zuletzt wurde 2015 auf der Westtribüne ein neues Zentralfoyer mit VIP-Bereichen gebaut. Im vierten Obergeschoss wurde dabei sogar eine schicke Panoramaterrasse eingericht von der aus man entspannt auf das Naturschutzgebiet Bolmke schauen kann. Viele behinderte Fans wären währenddessen froh, wenn sie wenigstens das Spielfeld sehen könnten. Aber auch hier ist der BVB kein Einzelfall. Rückgebaut wurden die Plätze auch in anderen EM-Städten, konkret in Köln, Düsseldorf, Leipzig und auf Schalke. So verschwand von 454 zusätzlichen Plätzen die Hälfte. Immerhin nähern sich manche Städte dem Soll an. In Berlin, München (324 Plätze), Stuttgart (201) und Hamburg (130) blieben die von der Uefa geforderten Erweiterungen erhalten. In Berlin, wo man für Fans mit Rollatoren für drei Millionen Euro zusätzliche 348 Easy-Access-Plätze gebaut hat, gibt es ein neues Schienen-Bestuhlungssystem, dank dem die Rolli-Plätze (228) bei Bedarf zu normalen Sitzplätzen werden. Frankfurt (187) nutzt das auch.
Aber bei Barrierefreiheit in Stadien geht es nicht nur um Rollstuhlfahrer. Nach wie vor gibt es auch zu wenig Angebote für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Gehörlose oder Menschen, die auf Assistenz angewiesen seien. Die Ticket- und Zahlungsprozesse sind zudem vielerorts unüberwindbar. Außerdem gibt es immer mehr Fans mit Rollatoren, die das Stadion als Ansammlung von Hürden beschreiben. Es bleibt also viel zu tun. Konkret zu tun, um genau zu sein.
Neben Preußen Münster, das bald als erster deutscher Klub die 1%-Regel für Rollstuhlfahrer*innen erfüllen wird, sowie der Frankfurter Eintracht mit dem eingangs vorgestellten Angebot, ist ein weiteres positives Beispiel der FC St. Pauli mit seiner „inklusiven Kurve“. Ihr Ziel ist es, Stadionbesuche für Menschen mit Behinderung barrierefrei und mit echter Teilhabe zu ermöglichen – inklusive Sicht- und Hörangebote, spezielle Tickets und persönliche Betreuung. Dazu gehören 86 Rollstuhlplätze mit zusätzlichen Platz für Begleitpersonen, die kostenlos mitkommen können. Damit liegt der Hamburger Stadtteilklub allerdings auch deutlich unter der vorgesehenen Größenordnung. Dafür bietet er bei jedem Heimspiel zusätzlich 26 Tickets für Menschen mit Sehbinderung an. Hier erhalten die Fans leihweise Funk-Kopfhörer zur Live-Beschreibung via AFM-Radio. Begleitpersonen sind ebenfalls zugelassen. Außerdem gibt es acht Plätze, mit Dolmetscher*innen am Spielfeldrand für hörbehinderte Personen. Auch hier sind Begleitpersonen zugelassen und werden natürlich gemeinsam platziert. Zudem gibt es einen eigenen Fanbetreuer für Fans mit Behinderung, der bei Ticketbuchung, Anreise und Orientierung im Stadion hilft. Er unterstützt auch bei der Planung eventueller Auswärtsfahrten. Immerhin: Auch Borussia Dortmund bietet seit 20 Jahren eine eigene Blindenreportage für seine sehbehinderten Fans an.
Fest steht: Bei fast allen Klubs spielt das Thema Inklusion irgendeine Rolle, alle wollen, wie DFB und DFL selbst auch, Sichtbarkeit für das Thema schaffen. Das ist gut, denn der Fußball hat Strahlkraft weit über das Spiel hinaus.
Aber fest steht auch: Nirgendwo im deutschen Profifußball wird Barrierefreiheit jetzt schon wirklich umfassend gelebt. Das ist bitter, weil es viele Menschen ausschließt und ein völlig falsches Signal sendet. Inklusion ist keine Kompromissangelegenheit. Menschen haben ein Recht auf sie – sagt zum Beispiel die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2007 unterschrieben hat.
Der Fußball muss sich also weiter entwickeln. Mehr Sichtbarkeit ist gut. Aber bessere Strukturen sind unverhandelbar.
