Gestern um 17:05 Uhr war es soweit: Der Hamburger SV hat einen neuen Präsidenten. Henrik Köncke wurde auf der Mitgliederversammlung im Volksparkstadion mit 65,71 Prozent der Stimmen gewählt und tritt damit die Nachfolge des Ex-HSV-Profis und früheren Fußballnationalspielers Marcell Jansen an. Köncke setzte sich dabei – überraschend deutlich – gegen den Ehrenrats-Vorsitzenden Kai Esselsgroth (29,06) und Unternehmer Frank Ockens (5,22) durch. Jansen, seit 2019 HSV-Präsident, wiederum trat nicht erneut zur Wahl an.

Henrik Köncke ist – wie sollte es in der Hansestadt auch anders sein – gelernter Schifffahrtskaufmann und arbeitet auch heute noch als Direktor bei Hapag Lloyd. Ein unbeschriebenes Blatt in der HSV-Führung ist er nicht: Dem Aufsichtsrat der HSV Fußball AG, in welche der Profifußball der Rothosen ausgegliedert ist, gehörte er schon in der Vergangenheit an.

Aber auch sonst kennt man Henrik Köncke beim HSV. Seine Stimme jedenfalls dürften alle Besucher*innen des Volksparkstadions und viele Fernsehzuschauer*innen kennen, denn lange war Köncke Vorsänger der HSV-Ultras, begründete die Ultra-Gruppe Poptown Hamburg mit. Die Themen der Poptowns, die sich allerdings 2018 aufgelöst haben, umfassten dabei nicht nur Fangesänge und Choreografien, sondern auch politische Themen: Poptown Hamburg leistete anti-rassistische Bildungsarbeit in der Kurve und setzte sich für Menschen ein, die nach Hamburg flüchten mussten.

Und auch wenn Köncke, gleichwohl er im Vorfeld der Wahl die aktive Fanszene mobilisierte, sich nicht auf seine Ultra-Vergangenheit reduzieren lassen will, findet man den Poptown-Geist auch in seinen Zielen für den HSV wieder. Der HSV soll zu wichtigen gesellschaftlichen Themen Haltung zeigen, es soll HSV-Stadtteilzentren als Anlaufpunkte in allen Quatieren geben. Und auch politisch soll der HSV sich engagieren: Für mehr Unterstützung für Spitzensportler*innen – passend dazu wurde mit Laura Ludwig eine Beachvolleyball-Olympiasiegerin zu seiner Vizepräsidentin gewählt. Dritter inhaltlicher Schwerpunkt seines Wahlkampfs waren Investitionen in die HSV-Infrastruktur. Passend dazu konnte gestern die Schuldenfreiheit des Vereins verkündet werden.

Menschlich will Henrik Köncke vor allem Brücken bauen – wer Vorsänger der Ultras war und heute Chef im Hafen ist, kann sich ja auch auf jeden Fall in verschiedene Perspektiven hineindenken. Im Aufsichtsrat, betonte Köncke während seiner Vorstellung, bei der es zurecht wenig um Fußball ging und die er auch mit emotionalen Videos aus den anderen Abteilungen des Vereins untermauerte, sei „schon rübergekommen, dass ich Brücken bauen kann. Dass ich Menschen verbinden kann.“

All das erinnert an den „Berliner Weg“ von Kay Bernstein, der 2022 zum neuen Präsidenten von Hertha BSC gewählt wurde. Auch Bernstein war Ex-Ultra, arbeitete aber mittlerweile erfolgreich in der freien Wirtschaft – ganz berlinerisch allerdings in der eigenen Marketingagentur statt im Hamburger Hafen. Auch Bernstein förderte die Identifikation, verankerte den Verein stärker in den Bezirken, prägte den Satz: „In Berlin nur Hertha, Hertha nur in Berlin“. Er scheute politische Diskussionen nicht, beispielsweise um die Frage von Investoren im Fußball, auch, weil Hertha unter seiner Führung einen Investoren-Wechsel, weg vom größenwahnsinnigen Lars Windhorst, vornahm. Und auch er rückte die eigene Infrastruktur in den Fokus: Die gute Nachwuchsarbeit sollte zum Fundament der ersten Mannschaft, das Zukaufen teurer Neuzugänge eingestellt werden. Der Berliner Weg ist seitdem durchaus erfolgreich: Hertha wirtschaftet heute besser, hat junge Spieler in die erste Mannschaft integriert, den Zuschauerschnitt verbessert. Und das obwohl die Voraussetzungen, unter denen Bernstein und nach dessem viel zu frühen Tod seine Nachfolger arbeiten, brutal schwierig sind.

Dem HSV mit seinen zahlreichen Abteilungen, in den ganz unterschiedliche Sportarten ausgeübt werden, kommt dabei noch einmal mehr Verantwortung zu. Und damit auch Henrik Köncke als Präsident.

Aber die Frage, wie es mit ihren Vereinen weitergehen soll, stellen sich Fans ja auch noch an anderen Orten – oder müssen sie sich stellen. Auch bei Borussia Dortmund, wo man über Jahrzehnte eine Fanfreundschaft mit den Hamburgern pflegte, beispielsweise wird im Herbst ein neuer Präsident gewählt. Amtsinhaber Reinhold Lunow tritt dabei voraussichtlich gegen Hans-Joachim Watzke an, bislang Vorsitzender der Geschäftsführung der ausgegliederten Profifußballabteilung. Watzke, auch Aufsichtsratsboss der DFL, steht dabei unter anderem für die verkorkste Investorensuche der DFL und das Rheinmettall-Sponsoring beim BVB. Lunow wiederum sah diesen Deal von Beginn an kritisch, lehnt Werbung für private Rüstungshersteller, nicht aber staatliche Investitionen in Rüstung ab. Auch der Verpflichtung von Felix Nmecha stimmte er erst nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Spieler, der wegen seiner fundamentalistischen Interpretation seines christlichen Glaubens in der Kritik stand, zu. In dem Gespräch hat Lunow unter anderem von Nmecha eingefordert, dass dieser sich nicht nur von queerfeindlichen Aussagen distanziert, sondern die Vielfaltscharta von Borussia Dortmund eindeutig anerkennt. Sollte es auch hier also tatsächlich zu einer Kampfabstimmung kommen, wird erwartet, dass die Frage, wie stark sich die organisierten Fans von Lunow mobilisieren lassen, entscheidet.

Ziehen wir also ein Fazit: Kay Bernstein tut Hertha BSC gut. Auch in diesem Wissen, konnte Henrik Köncke gestern die HSV-Mitglieder überzeugen und unter anderem gegen einen bekannten Hamburger Unternehmer durchsetzen, auch wenn er Könecke sich anders als der nicht auch als Märzen für den HSV engagieren kann. Schafft es Köncke nun sein Konzept umzusetzen, wird es dem Hamburger SV wie der Hertha ohne Zweifel gut tun – und darüber hinaus mit der Quartiersarbeit auch wertvolle Impulse in der ganzen Stadt und mit der Sportpolitik auch dem gesamten Leistungssportstandort Deutschland setzen. Und setzt sich Reinhard Lunow gegen Hans-Joachim Watzke durch, könnte das zumindest dazu beitragen, die fortlaufende Kapitalisierung des deutschen Fußballs etwas zu mäßigen.

Aber auch wenn Lunow gegen Watzke verliert, bleibt ein positiver Effekt. Denn anders als in den vergangenen Jahrzehnten gibt es heute einen Wettstreit um den richtigen Weg in den Vereinen. Dass das so möglich ist, verdanken wir der demokratischen Struktur unseres Vereinswesens. Demokratie wird im Fußball so wieder sichtbarer und erlebbarer. Und da, wo sich Menschen zusammenschließen, Bewegungen aufbauen und ihre gesellschaftliche Verantwortung begreifen, treten sportlich wie sozial positive Veränderungen ein.

In einer Zeit, in der die demokratische Organisation der Politik in Deutschland aber auch weltweit von ihren Feinden angegriffen wird, kann dieses Learning nur gut sein.

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Von admin