Vor Ort Besuch auf einer Bezirkssportanlage am dritten Advent. Es ist Kreisliga-Fußball, aber in einem gehobenen Umfeld: An einer ruhigen Seitenstraße, umringt von einem Park, an dem auch der Bürgerschützenverein und ein Tennisclub ansässig sind, liegt der Kunstrasenplatz der Spielvereinigung Gerthe, gegründet 1911. Darauf ist man hier stolz. Erst spielen hier heute die Männer, dann die Frauen. Statt eines selbstgebauten Vereinsheims steht neben dem Platz aber ein möblierter Container, dem die Vereinsmitglieder jedoch einen Namen gegeben haben: Dieter-Most-Begegnungszentrum, gefördert wurde die Einrichtung von der Bochumer Sparkasse, die damit vor allem die Nachwuchsarbeit im Stadtteil unterstützen wollte. Und Namenspatron Most, bis heute im erweiterten Vorstand der Spielvereinigung engagiert, ist selbst Ehrengeschäftsführer der Jugendabteilung. Ein älterer Herr, nämlich Dieter Most, sitzt in dem nach ihm benannten Container, vor ihm ein Bier. Dem Namen der Einrichtung macht er damit schon mal alle Ehre. Doch sein Blick ist dabei nicht auf den Kunstrasenplatz, sondern auf den großen Fernseher gerichtet, der im Begegnungszentrum an der Wand hängt. Darauf läuft wiederum das Endspiel der Handball-EM der Damen. Begegnen tut man dem Namenspatron dennoch: Denn Most schaut immer wieder auf und spricht jeden Gast direkt an, der sich im Container-Vereinsheim umsieht.

Besonders stolz sind sie hier und ist auch Most auf einen Abdruck eines Sportfotos aus dem Jahr 1954. Denn es zeigt den wohl berühmtesten Sohn ihres Vereins: Gerhard Harpers, den sie hier aber nur bei seinem Spitznamen „Gerdi“ nennen. Auf dem Foto an der Wand führt Harpers engagiert einen Zweikampf, als deutscher Nationalspieler, im Länderspiel gegen England, im Londoner Wembleystadion. Fast wäre der „linke Läufer“, heute würde man sagen: Schienenspieler, Teil der Weltmeister-Mannschaft von 54 geworden und heute auch außerhalb von Bochum-Gerthe unvergessen. Aber es kam anders.

Und zwar so: Harpers wurde als eines von sechs Kindern einer Bergarbeiterfamilie geboren, bereits mit sechs Jahren begann er hier in Gerthe Fußball zu spielen. Über seinen Werdegang während der Kriegsjahre ist nichts bekannt; es ist aber zu vermuten, dass sein Vater als Bergmann unabkömmlich war und somit nicht an die Front musste. Er selbst absolvierte eine Lehre als Dreher und spielte als Heranwachsender beim großen Nachbarn, dem VfL Bochum. 1947 ging es von dort aus weiter zum SV Sodingen, einem Verein aus Herne in unmittelbarer Nachbarschaft seines Wohnorts Gerthe gelegen und eine nahezu reine Betriebsmannschaft der Zeche Mont Cenis. Damals war der SV Sodingen einer der besten Vereine der Region. 1950 stieg Harpers mit seinen Grün-Weißen in die 2. Liga, 1952 weiter in die Oberliga West auf. Bereits 1953 hatte er derart auf sich aufmerksam gemacht, dass er zu einem ersten A-Länderspiel eingeladen wurde. Außerdem bekam er im Sommer dieses Jahres Angebote, zu Wacker Innsbruck oder Sampdoria Genua zu wechseln. Aber Harpers, ein sehr bodenständiger Mensch,wollte im Ruhrgebiet zu bleiben und verzichtete deswegen auf die Verlockungen der insbesondere in Italien deutlich besseren Verdienstmöglichkeiten für Vertragsfußballer. Mit der Sodinger „Knappenmannschaft“, über die der legendäre Weltmeister-Trainer Sepp Herberger wegen ihres kompromisslosen Kick-and-Rush-Stils und dem unbedingten Einsatzwillen aller Akteure sagte, sie sei „die einzige deutsche Elf, die englisch spielt“, gelang Harpers dafür immerhin 1954/55 der zweite Platz in der Oberliga und damit die Qualifikation für die anschließende Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Besonders erwähnenswert ist dabei sicherlich das 2:2 gegen den seinerzeit übermächtigen 1. FC Kaiserslautern. Das Spiel musste wegen des gigantischen Zuschauerinteresses sogar in die Schalker „Glück Auf Kampfbahn“ verlegt werden. 80.000 Fans versuchten ins Stadion zu kommen, 55.000 sahen dem Spiel schlussendlich tatsächlich zu. Was für ein Erlebnis!

Trotzdem verließ Hapers Sodingen 1956 dann doch und wechselte zu Fortuna Düsseldorf , wo man ihm einen Arbeitsplatz in einer Brauerei verschafft hatte. Bei den Rheinländern wurde er aber nicht wirklich glücklich, war zudem auch von Verletzungen geplagt und beendete nach einem Wadenbeinbruch 1959 seine Karriere als Vertragsspieler. Nicht aber, ohne seine Karriere noch für eine Spielzeit in Gerthe ausklingen zu lassen.

Zwischen 1953 und 1955 bestritt Hapers darüber hinaus sechs A- und vier B-Länderspiele. Und klar: Für die Weltmeisterschaft 1954 war er damit ein heißer Kandidat, doch Bundestrainer Herberger strich ihn in letzter Minute aus dem deutschen Aufgebot und ersetzte ihn durch Ulli Biesinger. Die Gründe dafür waren jedoch nicht in erster Linie in „Gerdis“ Leistungen auf dem Rasen zu suchen. Vielmehr war es wohl so, dass der lebenslustige und manchmal vorlaute Außenläufer nicht unbedingt den Vorstellungen von Disziplin entsprach, auf die Sepp Herberger großen Wert legte. Harpers selbst ergänzte später, dass „der Arbeiterverein und seine Spieler beim DFB keine Lobby hatten“. So erinnert sich übrigens auch Dieter Most.

Später arbeitete Gerhard Harpers für das Sozialamt in Recklinghausen und nebenher als Trainer im Amateurfußball. Vor allem seiner Spielvereinigung Gerthe, das berichten Dieter Most und die Fotos an den Wänden gleichermaßen, blieb er dabei über all die Jahre treu, half im Nachwuchs, war Pate diverser Veranstaltungen und besuchte nicht zuletzt auch fast jedes Heimspiel seines Heimatvereins. Im Mai 2026 starb Gerdi Harpers im Alter von 88 Jahren.

Ein Ausflug nach Bochum-Gerthe lohnt sich dennoch bis heute. Weil man hier ganz nebenbei viele spannende Anekdoten aus der Fußballgeschichte ausgraben kann. Und gerade so etwas macht diesen Sport doch so wunderbar – oder nicht?

Unser Newsletter: 1x die Woche exklusive Inhalte kostenlos in Dein Postfach holen:

Von admin