Letztes Jahr eröffnete die deutsche Nationalmannschaft als Gastgeber die EURO 2024 gegen Schottland. Für viele Fußballfans aus Schottland ein Grund, nach Deutschland zu reisen, um die eigene Mannschaft zu begleiten. Trotz Brexit waren 10.000 Schott*innen in der Münchener Allianz Arena. Doch für 14 von ihnen sind Fußball-Reisen nach Deutschland reinste Routine. Die Männer sind eingefleischte Fans der SG Wattenscheid 09.

Wattenscheid 09 – 1974 sorgte der die Sportgemeinschaft erstmals für Schlagzeilen als sie, mit Unterstützung ihres Mäzens, dem Textilunternehmer Klaus Steilmann, den argentinischen Nationalspieler Carlos Babington ins Ruhrgebiet lockte. Im selben Jahr wurde die SGW auch Westdeutscher Meister, spielte jedoch Zweitklassig. Dann, zwischen 1990 und 1994, war die SG Wattenscheid 09 sogar Bundesligist. Uli Hoeneß schimpfte damals, vor dem Aufstieg, das sei „das schlimmste, was dem deutschen Fußball passieren“ könnte. Naja.

Doch weder 1974 noch 1990 wurden die 14 Schotten auf die SGW aufmerksam. Ihre Geschichte beginnt später, vor 20 Jahren, im Sommer 2005. Damals (und im Jahr darauf) war der schottische Queens Park FC jeweils zur Saisonvorbereitung in Deutschland unterwegs, trainierte rund um den Wattenscheider Olympiastützpunkt und im Lohrheidestadion. Natürlich reisten einige Fans mit. Und die Kneipenkultur, die sowohl das Ruhrgebiet, als auch Glasgow ausmachen, tat ihr übrigens. Wattenscheid- und Queens Park-Fans lernten sich kennen. Man besuchte zusammen Fußballspiele – in Wattenscheid und in Glasgow. Über die Jahre wuchsen persönliche Freundschaften und mit ihnen eine der spannensten Fanfreundschaften im deutschen Fußball.

Denn der Queens Park FC und die SG Wattenscheid 09 sind eigentlich ganz schön gegensätzlich. Wattenscheid spielte zwar auch lange unterklassig, strebte aber mit Mäzen Steilmann nach höherem und Profistrukturen. Der Queens Park FC hingegen ist zwar der älteste und nach den Rangers und Celtic Glasgow der erfolgreichste Fußballverein Schottlands, doch seit seiner Begründung immer ein Amateurverein geblieben – als bewusste Entscheidung. 1900 lehnte man sogar die Teilnahme an der neubegründeten schottischen Fußballliga ab. Nicht nur, dass die Spieler Profis werden sollten, auch die Existenz kleinerer Vereine sah man beim Glasgower-Klub bedroht. Und leistete aus Überzeugung Widerstand. Denn wie in Großbrittanien üblich, ziert auch das Logo des Queens Park FC neben dem Klubnamen auch ein Vereinsmotto: „Ludere causa Ludendi“ – Spielen um des Spielens Willen.

Statt von Carlos Babington und spektakulären Bundesligasiegen gegen den FC Bayern in den 90ern konnten die Queens Park Fans den 09ern darum hiervon erzählen: 1873 gründete der Queens Park FC den schottischen Fußballpokal, ein Gastspiel in Irland Ende der 1870er Jahre führte zur Gründung der irischen Nationalmannschaft, zwischen 1874 und 1876 und 1880 bis 1882 gewann man gleich zwei Mal drei Mal in Folge den schottischen Pokal. Aber auch die Art, wie wir die Fußballregeln heute kennen, prägte der Queens Park FC: Der Verein war nämlich verantwortlich für die Aufnahme von Latten an Fußballtoren, Freistößen und Halbzeiten in das Regelwerk. Seine Heimspiele bestreitet man darum auch standesgemäß im Hampton Park – dem schottischen Nationalstadion.

Auch die Rivalitäten zu gemeinsamen Gegnern übernahm man. Für die Schottland-Fans war das Eröffnungsspiel der EURO 2024 darum auch ein doppeltes Auswärtsspiel, immerhin spielt in der Allianz Arena sonst ja der FC Bayern München, dessen Fans befreundet sind mit denen des VfL Bochum, dem ewigen Lokalrivalen von Wattenscheid 09.

Aber auch eine Gemeinsamkeit kennt die Freundschaft. Denn neben den heute scheinbar übermächtigen Nachbarn Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers, kämpft auch die SGW mit anderen sportlich-überlegenden Ruhrgebiet-Teams. Doch das nimmt man mit Humor und Solidarität: Letztes Jahr würdigte Queens Park die Beziehungen nach Wattenscheid nämlich mit einer Reportage auf seiner Website. Darin heißt es: „Wie Queen’s Park befindet sich auch SG Wattenschiedzwischen zwei Fußballmächten, in ihrem Fall Borussia Dortmund und Fortuna Düsseldorf.“ Schade Bayern. Schade Bochum.

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Von admin