Es ist doch ein spektakulärer Wechsel, mit dem Merle Frohms heute die Schlagzeilen im Frauenfußball dominiert: Beim VfL Wolfsburg aussortiert, jetzt die Unterschrift bei Real Madrid – und zwar als potenzielle Stammspielerin.
Zugegeben, der Ligabetrieb in Spanien steht der deutschen Frauenbundesliga noch etwas nach und vor allem da, wo die Männer als die Galaktischen gelten, haben sie die Förderung des Frauenfußballs schockierend lange vernachlässigt. Aber trotzdem: Dazu, dass Merle Frohms heute ihren Wechsel von der Wolfsburger-Bank ins Tor von Real Madrid bekannt geben konnte, einen Vertrag bis 2028 unterschrieben hat, kann man der ehemaligen Nationaltorhüterin nur gratulieren.
Beim amtierenden spanischen Vizemeister, bei Frauen und Männern übrigens, trifft Frohms nicht mehr auf Melanie Leupolz, die mit ihrem Vertragsende am 30.06. ihre Karriere beendet. Dafür kommt auch Sara Däbritz zu den Königlichen – von Olympique Lyon, dem wohl bedeutensten Verein im Frauenfußball überhaupt. Und auch auf Linda Caicedo wird Frohms treffen. Sie besiegelte das deutsche Ausscheiden bei der WM 2023 gegen Kolumbien mit ihrem Treffen zum 1:2-Endstand.
Der Wechsel von Frohms ist auch deswegen spannend, weil die spanische Liga sich rasant entwickelt. Vor wenigen Jahren noch weit unter dem Radar, gehört zum Beispiel der FC Barcelona heute schon zu den besten Frauen-Teams der Welt – und das, wie bei den Männern, mit zahlreichen Eigengewächsen auf Schlüsselpositionen. Eine beeindruckende Entwicklung.
Real Madrid hinkt da noch etwas hinterher.
Kein Wunder: Bis 2020 wurde bei Real gar kein Frauenfußball gespielt. Frustriert darüber gründete Alfred Ulloa, ein Unternehmer und langjärhiges Vereinsmitglied von Real Madrid, darum sogar einen eigenen Verein: Madrid CFF, den Frauenfußballclub Madrid. Seine Mannschaft spielt, angelehnt an das köngliche Vorbild, ebenfalls in weiß, auch das Logo ist dem von Real angelehnt. 2014 zog mit der selben Idee Ana Rossell Granados nach. Granados, ehemalige Profifußballerin und eben auch Mitglied von Real Madrid, war wie Ulloa frustriert darüber, dass ihr Herzensklub immer noch keine Frauenabteilung gründen wollte. Anders als Ulloa ging es ihr jedoch weniger um den raschen sportlichen Erfolg, sondern vor allem um die nachhaltige Entwicklung: Sie gründete vor allem Jugendmannschaft, erst später kamen die Seniorinnenteams hinzu. Ihr Weg und ihre Behäbigkeit überzeugten 2020 dann auch Real, das ihren Verein übernahm und als Frauenfußballabteilung in den Gesamtverein eingliederte. Alfred Ulloa löste Madrid CFF in der Folge jedoch nicht auf, seine Mannschaft spielt darum bis heute erstklassig und misst sich darum regelmäßig mit dem historischen Original.
Aber ist dieser Weg, dass die bekannten Männermarken des Weltfußballs sich aufmachen, auch den Frauenfußball zu dominieren, tatsächlich der richtige?
Das wird auch in Deutschland diskutiert. In den Hochzeiten des deutschen Fußballs, in den 1990er und 200er Jahren, dominierten reine Frauenteams die Liga – und auch die europäischen Wettbewerbe. Turbine Potsdam, der FCR Duisburg und vor allem der FFC Frankfurt sicherten sich nicht nur selbst Titel, sondern brauchten auch Welt- und Europameisterinnen sowie Olympiasiegerinnen für Deutschland hervor. Der FCR Duisburg schloss sich später, nach mehreren Umbenennungen und Insolvenzen, dem MSV an, der FFC Frankfurt ist heute Teil von Eintracht Frankfurt und nach dem zweiten Abstieg von Turbine Potsdam aus der Frauenbundesliga, wo das Team letzte Saison nur einen Punkt holte, spielt mit der SGS Essen in der kommenden Saison nur ein reiner Frauenverein in der höchsten Spielklasse.
Dafür stiegen auch in Deutschland Vereine, die bis dahin nur Männerfußball boten, in den Frauenfußball ein. Doch nur der VfL Wolfsburg war zeitweise, in den 2010er Jahren, auch international erfolgreich. National wurden die Wölfe inzwischen aber wiederum vom FC Bayern überholt, der jedoch auf europäischer Bühne titellos ist. Dabei ist der FC Bayern auch im Frauenfußball ein Traditionsverein: Bereits 1967 sollen sich Spielerinnen der Münchener für die Abteilungsgründung zusammengeschlossen haben, 1970 folgte dann drei Monate vor dem offiziellen Ende des Frauenfußballverbots im DFB die offizielle Gründung. 1970 – diese Zahl zeigt die Ignoranz und auch die Missgunst der Männer gegenüber dem Frauenfußball, die ja bis heute nicht vollständig verschwunden sind.
Einen anderen Weg als bei Barcelona, Madrid oder Wolfsburg geht man wiederum bei Olympique Lyon. Auch dort wird, wie erwähnt, seit Jahrzehnten erfolgreich Frauenfußball gespielt. Bislang spielten die Frauen dabei unter dem selben Namen und im selben Trikot wie die Männer. Doch jetzt setzen sich die Frauen ab: Ab der neuen Saison werden die Rekordmeisterinnen nämlich nicht mehr als Olympique Lyon feminin auflaufen, sondern unter dem Namen OL Lyonnes. Während der erste Teil für Olympique Lyon steht, ist der zweite Teil des Namens angelehnt an das französische Wort „lionnes“, Löwinnen. Um die Verbundenheit zu Lyon zu symbolisieren, wird das „i“ jedoch durch das „y“ aus dem Stadtnamen ersetzt. Künftig wird die Mannschaft auch nicht mehr mit dem gewohnten OL-Logo auflaufen, sondern bekommt ein neues Wappen mit roter Löwin mit Falle am Hals sowie einer gelbgoldenen Krone. Neben optischen Aspekten wird sich aber auch inhaltlich einiges für die Lyonnes ändern. Bislang trainiert die Frauen-Mannschaft an einem Ort mit den Herren, die Jugendteams trainieren auf einem separaten Campus. In Zukunft sollen die Jungs aber zu den Herren umziehen, die Frauen werden ein neues „Performance Center“ auf dem bisherigen Jugendgelände für die weiblichen Profis, die Reserve und die Jugendteams erhalten. Hintergrund dieses Umbruchs ist der Einstieg in der Investorin Michelle Kang, welche die Frauenabteilung aus der Gesamtorganisation herauskauft – ohne 50+1-Regel ist das in Frankreich möglich. Kang sagt: „Es ist mehr als nur ein neuer Name und ein neues Logo. Es geht darum, neu zu definieren, was für den Frauenfußball möglich ist.“ Damit steht sie idell unzweifelhaft näher an der SGS Essen als an Real Madrid.
Übrigens: Nationalspielerin Jule Brand wechselt in diesem Sommer nach Lyon – wie Merle Frohm kommt sie aus Wolfsburg, wo sie jedoch unangefochtene Stammspielerin gewesen ist. Das untermalt einmal mehr, wie sehr der deutsche Frauenfußball international an Anschluss verloren hat. Zwar kommen immer mehr „Männer-Vereine“ ins System und verdrängen damit die traditionsreichen Frauen-Klubs. Aber weil andere europäische Ligen aufschließen oder den Frauenfußball mit mehr Geld oder strategischen Plänen nachhaltig entwickeln, klafft trotzdem eine riesen Entwicklungslücke. Auch weil Frauenfußball bei Vereinen wie Köln, Leverkusen oder Wolfsburg einfach immer an zweiter Stelle steht. Den Wolfsburgerinnen wurden sogar schon Meisterfeiern verboten, weil ihre männliche Kollegen im Abstiegskampf feststeckten.
Es ist ein Dilemma. Denn einerseits braucht es die von Kang beschriebene eigenständige Identität im Frauenfußball, damit dieser sich aus dem Schatten der Männer herausentwickeln kann. Andererseits verfügen die taditionellen Männervereine über ein Netzwerk von Sponsoren und Fans sowie über eine funktionierende Infrastruktur. Und: Auch viele Mädchen haben ein Lieblingsteam aus dem Männerfußballkosmos. Warum sollte ein Mädchen nicht den Traum verfolgen können, irgendwann im selben Trikot zu spielen wie zum Beispiel Dortmunds Julian Brandt? Der BVB startete übrigens noch später als Real Madrid mit dem Frauenfußball: 2021 liefen zum ersten Mal elf Frauen in den schwarz-gelben Trikots auf. Dafür übernahmen die Dortmunder, anders als andere Männer-Klubs, keine bestehende Frauenfußballabteilung eines anderen Vereins, sondern gingen in der Kreisliga in den Start. Diese Entscheidung hatte man nach einer Umfrage unter den Fans getroffen, die diesen Weg als BVB-like befanden. Seitdem stiegen die BVB-Frauen jedes Jahr auf, zuletzt in die drittklassige Regionalliga.
Für eine wirklich nachhaltige Entwicklung ist wahrscheinlich, wie so oft, ein Mittelweg der richtige. Leuchtturmvereine wie die Bayern, Eintracht Frankfurt oder in Zukunft auch Borussia Dortmund bringen Aufmerksamkeit für den Frauenfußball. Doch reine Frauenteams wie die SGS Essen, die über die beste Nachwuchsabteilung im deutschen Frauenfußball verfügt, sind existenziell für die Talentförderung und das Entwicklen einer eigenen Identität.
Doch im bestehenen System werden sie von den Männerriesen, die finanziell ganz andere Ressourcen mitbringen, zunehmenden verdrängt. Der deutsche Frauenfußball braucht darum ein eigenes Fincial Fair Play bzw. ein Solidarsystem: Profivereine, deren Frauenmannschaft mehr als eine Liga unter der Herrenmannschaft spielt, sollten in einen Solidartopf einbezahlen, aus dem die Frauenabteilungen gefördert werden. Damit nimmt man die Spätzünder in die Pflicht und fördert die Diversität im Frauenfußball mit dem Ziel auch international wieder anschlussfähig zu werden – damit Frohms, Däbritz und Brand in Zukunft in der Bundesliga bleiben möchten und hier auch international Titel gewinnen können. Auch wenn Real Madrid zum Karriereausklang in der Zwischenzeit natürlich ziemlich legendär ist.