Schmähgesänge gehören zum Fußball. Kein Stadionbesuch, bei dem die gegnerische Mannschaft oder der Fußball nicht ihr Fett wett bekommen. Aber wie pöbelt man richtig beziehungsweise anständig? Zu diesem Thema veranstaltete der FC St. Pauli jetzt – kein Scherz – einen offiziellen Kampagne rund um das letzte Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach.
Zugegeben: Grund zu schimpfen hatten die Pauli-Fans rund um das Frust-Spiel gegen die Fohlen sicher – das fand auch Trainer Alexander Blessin nach dem Spiel: „Mir fehlen die Worte. Wir haben uns etwas anderes vorgestellt und wollten die Energie vom Dienstag mitnehmen. Wir haben oft über billige Tore gesprochen, aber das größte Problem war, dass wir heute verschiedene Denkweisen hatten. Wir sind rausgeschossen in Positionen, wo wir das nicht hätten tun dürfen. Auch nach dem 0:1 habe ich nicht das Gefühl gehabt, dass wir im Pressing die richtigen Ansätze hatten. Gladbach hatte zu viele Möglichkeiten, hat es gut gespielt, aber wir sind auch nicht in die Zweikämpfe reingekommen. Das ist hart und bitter. So kann es nicht weitergehen in dieser Situation.“ Aber warum braucht es bitte einen eigenen Workshop?
Weil der Kiezklub damit ein Zeichen setzten wollte. Und zwar ein verdammt wichtiges: Emotionen gehören zum Fußball, Sticheleien gegen den Gegner und Frust bei umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen auch, aber bitte diskriminierungsfrei. Es gibt in den allermeistern Stadien längst einen anti-rassistischen und anti-sexistischen Grundkonsens, wer rassistisch oder frauen- beziehungsweise LGBTQIA-feindlich auffällt, wird mit einem Stadionverbot bestraft und – wenn der Verdacht einer Straftat naheliegt – sogar angezeigt. Mit dem Drei-Stufen-Plan sieht der DFB sogar Maßnahmen bis zum Spielabbruch vor, wenn, wie am vergangenen Woche im Stadion von 1860 München, Affenlaute oder ähnliches gegen Spieler zu hören sind. Aber für oder gegen Diskriminierungsform sind Fußballfans bislang zu wenig sensibilisiert: Ableismus, also Be_hindertenfeindlichkeit. Ableismus, fachlich formuliert, ist also die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen oder aufgrund von Lernschwierigkeiten.
Dabei kennt wohl jeder Fan Beispiele für ableistische Beleidigungen im Fußballkontext. Der Schiedsrichter wird nach einer vermeintlichen Abseitsstellung gefragt, ob er blind sei, der Mittelstürmer, der schon wieder das Tor nicht trifft, als behindert bezeichnet und der Abwehrspieler, der im entscheidenden Zweikampf zu spät kommt als Idiot. All diese bis heute gängigen vermeintlichen Kurven-Schimpfwörte sind darum diskriminierend. Vielen Fans ist das aber nicht bewusst, glaubt zumindest St. Pauli-Geschäftsführer Wilken Engelbracht: „Sprache prägt unser Miteinander und es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, welche Wirkung sie haben kann.“
Beim Spiel gegen die Fohlenelf wurde deswegen unter anderem auf Werbebanden, Plakaten und auf social Media Sichtbarkeit für das Thema geschaffen. Auch in dem Fans neue Schimpfworte vorgeschlagen wurden – zum Beispiel: Dödelkopp, falscher Fuffziger, Pappnase oder Flachzange – alle über offizielle Kanäle des Kiezklubs kommuniziert. Geschäftsführer Engelbracht: „Gemeinsam wollen wir zeigen, dass man seine Leidenschaft für den Fußball und klare Worte leben kann, ohne andere auszugrenzen.“
