In den kommenden fünf Jahren werden in Deutschland rund 200.000 Betriebe vererbt.
Und wenn Betriebe vererbt werden, dann häufig – na klar – an Sohn oder Tochter.
Oft geht das gut. Politiker*innen und Wirtschaftsverbände sagen wohl keinen Satz öfter als den, dass Familienunternehmen „das Rückgrat unserer Wirtschaft“ sind.
Manchmal aber geht es auch schief. Und dann fällt unter den Kolleg*innen sehr oft dieser Satz: „Der neue Chef ist vor allem eins – von Beruf Sohn.“
Im Fußball sind Familienunternehmen eine Seltenheit. Bei Manchester United dominiert seit dem Tod von Malcom Ratcliff seit Jahren dessen Erbengemeinschaft – ziemlich unerfolgreich. In Deutschland holte Ralph Hasenhüttl seinen Sohn Patrick als Co-Trainer zum VfL Wolfsburg. Beide sind in der Autostadt mittlerweile wieder Geschichte.
Doch das erfolgreichste Familienunternehmen im Weltfußball war in den vergangenen Jahren die Familie Ancelotti. Vater Carlo, der wohl erfolgreichste Trainer in der Geschichte, holte seinen Sohn Davide 2012 als Fitnesstrainer zu PSG. Er begleitete ihn in gleicher Funktion 2013 zu Real Madrid. Seit Carlos Wechsel zum FC Bayern 2016 ist Davide sogar als Co-Trainer in verantwortlicher Position im Team seines Vaters und assistierte ihm seitdem auch beim SSC Neapel, beim FC Everton, wieder bei Real Madrid und zuletzt für zwei Spiele bei der brasilianischen Nationalmannschaft.
Viele Fans kennen das: Papa nimmt einen mit zum ersten Spiel – und später jubelt man gemeinsam in der Kurve. So ist das auch bei den Ancelottis. Naja – etwas anders.
Denn Davide Ancelotti wurde so unter anderem zweifacher Champions League Sieger, einmal Klubweltmeister, zwei Mal spanischer und einmal deutscher Meister.
Eine beachtliche Karriere. Die so nicht zu erwarten gewesen wäre, denn ein erfolgreicher Spieler war Davide Ancelotti nicht. Zwar wurde er in der Jugend beim AC Mailand ausgebildet. Doch den Durchbruch als Profi schaffte er nicht. Im Seniorenbereich spielte er nur unterklassig bei Borgomanero. 2009, schon mit 20 Jahren, gab er als Spieler auf und strebte stattdessen eine Trainerkarriere an.
Der Verdacht liegt nah: Papa Carlo ermöglicht Sohn Davide einen Traumjob und ohne den erfolgreichen Vater wäre der Spross heute nicht im Profifußball. Aber stimmt das?
Der ehemalige englische Nationalspieler Alex Iwobi, der mit den Anchelottis beim FC Everton zusammengearbeitet, sieht das anders. Er sagt: „Davide ist mehr sein Sohn, der mit uns spricht, und er hat großen Einfluss auf Entscheidungen während des Spiels.“ So äußern sich viele Wegbleiter Davides: Er habe einen guten Draht zu Spielern, weil er, allein aufgrund seines Alters, näher an ihnen dran ist als sein Vater. Auch bringe er moderne und innovative Trainingsmethoden mit ein. Er könne zudem ein laufendes Spiel sehr gut lesen und erkennen, welche Impulse es, zum Beispiel durch Einwechselungen, es braucht, um es zu Gunsten der eigenen Mannschaft zu verändern.
Noch weiter geht Javi Martinez, langjähriger 6er des FC Bayern. Er dreht sogar die Frage um: Wäre Vater Carlo ohne Sohn Davide heute noch Toptrainer? Martinez‘ Antwort: „Davide vervollständigt Carlo und hilft ihm, die Entwicklung des Fußballs zu verstehen. Davide ist unglaublich: vorbereitet, ernsthaft, ein großartiger Mensch, wie sein Vater.“ Klingt nach überzeugtem Generationenwechsel im Hause Ancelotti statt nach Verlegenheitsjob Sohn.
Darauf hofft man auch beim amtierenden brasilianischen Meister Botafogo aus Rio de Jainero. Der Klub, gerade bei der Klub WM ausgeschieden, liegt in dieser Saison in der Liga nur auf einem enttäuschenden achten Platz. Deswegen wird jetzt der Trainer gewechselt – Ancelotti kommt. Aber eben nicht Vater Carlo, der weiter die Selecao trainiert, sondern Sohn Davide – zum ersten Mal als Cheftrainer. Und das mit immernoch erst 35 Jahren.

John Textor, Mehrheitsaktionär von Botafogo, freut sich auf „modernen und offensiven Fußball“, wie man ihn genau so in Textors Netzwerk spielen lassen möchte, aber auch darüber, dass die Verbindung zur brasilianischen Nationalmannschaft zu verbessern. Denn Davide wird Carlo Ancelotti da bei Bedarf weiter als Co-Trainer unterstützen. Das kann Botafogo natürlich helfen, das Netzwerk verbessern und Spieler in Sichtfeld bringen. Das wiederum senkt das Risiko zum ambitionierten Meister einen jungen Trainer zu holen, für den es die erste Station als Cheftrainer ist. Denn klar ist auch: Ohne die Vita, die Davide Ancelotti nur als Carlos Sohn haben kann, würde er diese Chance gerade nicht bekommen.
Und so stellt man sich einen gelungenen Generationenwechsel, im Fußball wie in der freien Wirtschaft, vor: Der Vater bildet ganz in Ruhe aus und wenn der Sohn übernimmt, bleibt der Vater als Rat- und Ideengeber, aber auch als Absicherung im Hintergrund verfügbar.
Für Davide Ancelotti ist das eine echte Chance. Für Botafago aber eben auch. Das kann eine echte Erfolgsgeschichte werden. Auf dem Papier spricht zumindest alles dafür.
Und auf dem Trainersessel im Fußball ist das ja auch echt schön. In der freien Wirtschaft hingegen könnte es – ganz Fußball-like – bessere Lösungen geben: Wenn es statt dem Sohn zum Beispiel die Mannschaft als Kollektiv löst. Aber das ist eine andere Geschichte…