Auf den ersten Blick klingt es wie eine schöne Geschichte.
Da ist der in die Jahre gekommene Stürmer, Marko Arnautovic, 36 Jahre alt, der zum Abschluss der Karriere einen Nostalgie-Wechsel vollzieht.
Marko Arnautovic, geboren in Wien, Vater Serbe, sagt von sich, er sei seit seiner Kindheit großer Fan von Roter Stern Belgrad. Und er sagt das nicht erst, seitdem sein Wechsel nach Serbien jetzt seit ein paar Tagen feststeht. Immer wieder hat er während seiner gesamten Karriere damit kokettiert, irgendwann einmal für Zvezda zu spielen. Sein Lieblingsspieler von Roter Stern Belgrad, so Arnautovic, sei dabei immer Dragan Džajić gewesen, der heutige Vizepräsident. Und Sinisa Mihajlović, ein kürzlich verstorbener serbischer Fußballtrainer, der unter anderem als Nationaltrainer international Beachtung fand, ist nicht nur eine weitere Zvezda-Legende, sondern auch ein Förderer Arnautovic. Ihm, berichtete der österreichische Nationalspieler einmal, habe er versprochen, irgendwann in seiner Karriere einmal für Roter Stern Belgrad zu spielen. Und so glaubt man Marko Arnautovic seine Worte, nachdem sein Wechsel offiziell bekannt geworden ist: „Ich habe mir einen Traum erfüllt.“
Für zwei Jahre hat der Stürmer in der serbischen Hauptstadt unterschrieben. Arnautovic soll in diesen beiden Jahren laut übereinstimmenden Medienberichten dabei rund fünf Millionen Euro netto verdienen, damit wird der Stürmer zum bestbezahlten Spieler in der Vereinsgeschichte des Hauptstadtklubs. Was es auf den ersten Blick zu einer noch schöneren Geschichte macht – zumindest für Marko Arnautovic.
Und auch im Verein freuen sich alle auf den neuen Star. „Er ist ein Spieler, wegen dem die Leute ins Stadion kommen“, sagt zum Beispiel Generaldirektor Zoran Terzic über Arnautovic. „Ich bin fest davon überzeugt, dass alle unsere Spieler mit Marko um 30 Prozent besser sein werden als bisher.“ Wie auch immer er die 30 Prozent berechnet haben will. Laut dem Klubchef sei im Rahmen des Deals jedenfalls auch vereinbart worden, dass Arnautovic nach den Ende seiner aktiven Karriere bei Roter Stern arbeiten werde.
Die Regestrierung des Österreichers erfolgte jedenfalls am Montag, zeitgerecht, so dass Arnautovic im Zweitrunden-Rückspiel der Champions-League-Qualifikation nächsten Dienstag (29. Juli) zu Hause gegen Lincoln Red Imps aus Gibraltar eingesetzt werden kann. Das Hinspiel am Dienstagabend absolviert das Team von Trainer Vladan Milojevic hingegen noch ohne ihn. Aber Arnautovics neues Trikot, Rückennummer 89, sein Geburtstag, ist im Belgrad-Fanshop schon erhältlich. Und beliebt. Neben dem Spieler und den Klub-Verantwortlichen freuen sich also auch die Fans schon auf ihren neuen Starstürmer. Sportlich jedenfalls kann es damit direkt bestens losgehen.
Soweit also, so gut.
Jetzt aber kommen wir zum zweiten Blick. Und der trübt das Bild.
Mehr noch: Mit Arnautovics Wechsel zu Roter Stern Belgrad bekommt Österreichs-Nationaltrainer Ralf Rangnick ein Putin-Problem!
Ralf Ragnick hat im Vorfeld von Arnautovics Wechsel stets betont, dass es für ihn wichtig sei, dass sein Stürmer-Star Spielzeit bei seinem neuen Arbeitgeber erhält und er eine Unterstützung bei der Zukunftsentscheidung helfen werde, sofern man ihn fragt. Ob es ein Gespräch zwischen den beiden vor der Einigung mit Roter Stern Belgrad gab, ist nicht bekannt. Was dafür bekannt ist: Roter Stern Belgrad ist schon für das Ende einer Nationalteam-Karriere verantwortlich. Als Aleksandar Dragovic 2021 nach Serbien wechselte, wurde er nicht mehr in den Teamkader unter Ralf Rangnick einberufen und musste somit nach 100 Länderspielen das Trikot unfreiwillig einpacken. Dragovic freut sich trotzdem über den Zuwachs für Zvezda, auch wenn er Arnautovics sportliche Qualität eigentlih als zu hoch einschätzt: „Bei allem Respekt – er kann in dieser Liga bis 45 spielen.“ Einerseits soll die serbische Liga darum auh für Ragnick nicht attraktiv genug sein…
…andererseits eckt der serbische Hauptstadt-Klub gerade auch politisch ganz schön an: Hauptsponsor von Roter Stern Belgrad ist Gazprom, russisches Staatsunternehmen und ausdrücklicher Unterstützer des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Zur Erinnerung: Gazprom sponsorte auch Schalke 04, bis der Klub aus Gelsenkirchen den Deal nach Beginn des Krieges einseitig kündigte. In Belgrad entschied man sich für einen anderen Weg: Im Sommer 2022 bestritt Roter Stern Belgrad sogar ein Testspiel in Russland – am 3. Juli 2022 in Sotschi gegen Zenit St. Petersburg. Das Spiel fand ungeachtet des Kriegs in der Ukraine und der UEFA-Sanktionen gegen russische Klubs statt. Die serbische Fankultur und Teile der Klubführung zeigten sich zudem öffentlich teilweise extrem Putin-solidarisch: Fans skandierten „Russland, Russland“ bei Ligaspielen, und Klubvertreter wie Arnautovics Idol Dragan Džajić äußerten sich immer wieder kritisch über eine angeblich „antirussischen Stimmung in Europa“.
So klingt der Transfer weniger nach Kindheitstraum und deutlich mehr nach Sportwashing.
Kleiner Einschub: Für Roter Stern Belgrad hatte das Skandal-Spiel in Sotschi übrigens keine Konsequenzen – obwohl es gegen offizielle FIFA- und UEFA-Sanktionen verstoßen hat. Das macht FIFA und UEFA in ihrem Engagement unglaubwürdig. Und zwar nicht nur in ihrem Engagement für den Frieden. Auch an anderen Stellen, an denen sich die Verbände politisch engagieren, zum Beispiel im Kampf gegen Rassismus, über den wir auf FanLeben.de gestern berichtet haben.
Marko Arnautovic erfüllt sich mit seinem Belgrad-Wechsel also nicht nur einen Traum, er bedroht auch einen anderen: Nächstes Jahr findet die Fußballweltmeisterschaft in Kanada, den USA und Mexiko statt. Österreich hat eine gute Chance, sich zu qualifizieren. Etwas, dass noch nie gelungen ist, seitdem Arnautovic für die Nationalmannschaft spielt. Die Teilnahme an einer WM-Endrunde ist der sportliche Traum des Routiniers. Dass er sich auch ihn erfüllen kann, ist mit seinem Wechsel deutlich unwahrscheinlicher geworden.
Und bei allem Verständnis für seine persönliche Situation: Das ist zurecht so. Denn – ganz abgesehen davon, wie wichtig es ist, politisch glaubwürdig gegen den Angriffkrieg Russlands einzustehen, auch wenn allein das schon seinen Ausschluss mehr als rechtfertigen würde – auch für Ragnick wird die Weltmeisterschaft nächstes Jahr das letzte große Turnier werden. Da braucht er die besten Spieler. Da braucht er keine Diskussionen über eine mögliche Nähe seines Teams zum Putin-Regime.
Man hätte sich darum für Marko Arnautovic gewünscht, dass er bei seinem Wechsel stattdessen einen echten Volltreffer gelandet hätte.