„Als es damals um das Traineramt ging, verhielten sich die Leute in Kloten sehr korrekt. Sie wollten mich auf dem Eis sehen, wie ich ein Training leite“, erinnert sich Jeff Tomlinson. „Sie waren trotz meiner Krankheit begeistert von dem, was sie sahen, und es klappte. Für Kloten war es natürlich mit viel Risiko verbunden. Aber sie wussten, glaube ich, auch nicht, wie schlimm es war.“
Worum es geht? Jeff Tomlinson, der unter vier Jahre für die Eisbären Berlin spielte und später die Düsseldorfer EG, die Nürnberg Ice Tigers und wieder die Eisbären coachte, ist vor fast fünf Jahren fast vollständig erblindet. Ein Sehnervinfarkt. Er sagt: „Die Diagnose war eine Katastrophe. Ein solches Gefühl hatte ich so noch nie. Ich hatte grosse Existenzängste. Was soll ich jetzt machen, dachte ich mir, ich fühlte mich noch jung. Schwierig zu beschreiben, wie es ist mit diesen Gefühlen und Gedanken, das wünsche ich wirklich niemandem.“ Zu diesem Zeitpunkt stand er bei den Rapperswil-Jona Lakers aus St. Gallen hinter der Bande, die er in die höchste Eishockey-Liga der Schweiz geführt hatte
Tomlinson trifft in dieser Zeit eine Entscheidung: Er will Coach bleiben. Wenn auch eine Liga tiefer, in der zweitklassigen Swiss League, beim EHC Koten. Außer seiner Familie weiht er darum nur seinen neuen Klub und seine Spieler in die Diagnose ein – und alle halten dicht. Die Öffentlichkeit erfährt fünf Jahre lang, bis der Kanadier seine Biografie vorlegt und sich damit freiwillig outet, nichts von seiner Erkrankung. Warum hat er das gemacht? Und: Wie ging das?
Beginnen wir mit dem Warum. Tomlinson sagt: „In dieser Situation brauchte ich das, ich brauchte die Aufgabe. Ich suchte einen Sinn im Leben. Ich wusste nicht, was einer macht, der nichts sieht. Meine Frau sagte, ich solle das machen.“ Aber sagt auch: „Es war viel Risiko für Kloten, man stelle sich vor, es wäre sportlich nicht gelaufen, und dann stellt sich heraus, dass sie einen blinden Trainer haben. Es war gut, dass sie nicht wussten, wie schlimm es ist. Niemand merkte, wie schlimm es wirklich ist.“
Und wie ging es? Mit viel Unterstützung des Vereins: „Wir brauchten zwei Assistenztrainer und holten auch noch einen Torhütertrainer. Niemand in der Swiss League hatte so einen grossen Staff.“ Hinter der Bande stand Tomlinson zudem ein großer Bildschirm zur Verfügung, auf dem er wichtige Szenen noch einmal nachschauen konnte. Außerdem half Humor: „In Kloten habe ich es jeweils versucht, mit Humor zu nehmen, wenn ich beispielsweise in einen Pfosten gelaufen bin. ‚Der Pfosten kam unerwartet‘, sagte ich dann zum Beispiel.“
Inzwischen arbeitet Jeff Tomlinson nicht mehr als Eishockey-Trainer, der Aufstieg mit Kloten war die Kröhnung. Stattdessen engagiert er sich Berater für den Schweizer Eishockey-Nachwuchs. „Meine Expertise wird weiter gehört“, sagt er.
In seinem Buch: „Blindes Vertrauen“ schreibt Tomlinson aber auch, wie schwer es ihm fiel, sich an die Diagnose zu gewöhnen. Sogar Suizidgedanken habe er gehabt, mit Hilfe seiner Familie aber überwunden. Und dennoch: „Am schwierigsten ist es für meine Frau, die ganze Last liegt bei ihr. Sie hat erst gerade einen Schrank bestellt und sie musste ihn selbst aufbauen. Das Schlimmste für mich ist Weihnachten, wenn die Kinder dann Legos geschenkt bekommen. Ich kann ihnen nicht helfen, etwas aufzubauen.“
Warum Tomlinson all das jetzt in einem Buch veröffentlicht? „Ich will nicht mehr ein Schauspieler sein, alle sollen die Wahrheit kennenlernen.“ Nach dem Bekanntwerden der Nachricht, hat er natürlich viele Nachrichten bekommen. Auch klar: „Sehr emotionale.“ Einen normalen Tag war der Tag des Outings dennoch, wie der Coach mit einem Zwinkern verrät: „Ich habe Kaffee getrunken und bin spazieren gegangen.“ Er ist froh, sich nicht mehr verstecken zu müssen: „Ich kann jetzt authentisch sein.“
Authentisch – und ein Vorbild. Dafür, wie man trotz schweren Diagnosen dennoch Mut fasst. Und dafür, wie der Sport inklusiver werden kann.