Manche Kommentator*innen sprechen nach den Fan-Protesten gegen eine Trainings-Hospitation von Jerome Boateng an der Seite von Vincent Kompany von einem „hausgemachten Problem“. Eine schamlose Untertreibung. Denn es geht hier darum, wie ein Verein, der sich seit Jahren damit brüstet, sich gegen häusliche Gewalt zu inszenieren, in Wahrheit immer wieder Tätern Raum gibt. Jedes Jahr am 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, leuchtet die Allianz Arena in Orange. Dazwischen aber spielten über Jahre verurteilte Frauenschläger für den FC Bayern. Oder kehren nach ihrer Spieler-Karriere als Trainer-Praktikanten zurück. Das ist keine Kleinigkeit, es ist heuchlerisch – und es ist skandalös, dass der deutsche Rekordmeister nichts unternimmt, um diese Widersprüche aufzuarbeiten. Im Gegenteil: Unmittelbar nach den Fanprotesten gegen die Boateng-Rückkehr, die Bayern-Ultras schrieben auf Transparenten, direkt hinterm Tor, so dass alle Fernsehzuschauer*innen auf der ganzen Welt sie sehen konnten: „Wer dem Täter Raum gibt, trägt ihre Schuld mit. Boateng, verpiss Dich!“, verkündeten die Bayern die Vertragsverlängerung mit Trainer Kompany und versuchten so wieder vor die Nachrichtenlage zu kommen. Dabei hat übrigens ausgerechnet Kompany Boateng nach dessen Aussage als Hospitanten eingeladen. Die eindeutige Botschaft: ‚Wir wollen uns diesem unbequemen Thema und unser eigenen Verantwortung nicht stellen‘. Die Konsequenz: Die Säbener Straße wirkt in Safespace für Täter-Schützer?
Für die, die nicht wissen, worum es geht, noch einmal die Kurzfassung: Es geht vor allem um den Fall Kasia L. Das Model hatte sich 2021, mit 25 Jahren, das Leben genommen, kurz nachdem Boateng in einem Interview in der Bild-Zeitung mit ihr abgerechnet hatte und sie in der Folge Opfer von Cybermobbing wurde. Auch sie hatte Gewaltvorwürfe gegen ihn erhoben. Ein mehrteiliger Spiegel-Podcast erzählt auf Basis der Chatverläufe Lenhardts von diesen Vorwürfen. Auch ein Strafverfahren gegen Boateng wurde eingeleitet. Doch außer Chats und Bildern von Verletzungen hatte die Staatsanwaltschaft kaum belastende Beweise gegen Boateng. Auch deswegen: Die Staatsanwaltschaft München I teilt dazu unter anderem mit, dass eine Zeugin, die sich im Januar 2025 gemeldet hatte und erklärt hatte, zu einer Vernehmung bereit zu sein, zum vereinbarten Vernehmungstermin Ende Februar 2025 „unentschuldigt nicht“ erschienen sei. Für die Ermittlungsbehörden sei die Frau nun nicht mehr erreichbar. Es wurde berichtet, dass aus dem Umfeld von Jerome Boateng Druck auf Frauen ausgeübt wurde, die potenzielle Zeugin könnte, erst Recht nach dem Tod von Kasia L., ebenfalls Opfer von existenzbedrohenden Cybermobbing werden. Bewiesen wurde das nicht. Das Verfahren gegen Boateng wurde darum eingestellt – aus Mangel an Beweisen. Boateng hat Kasia L. nach der Verfahrenseinstellung auf Instagram weiter verhöhnt, seine eigene Rolle nie kritisch reflektiert. Das allein sollte ihn eigentlich schon zur persona non grata bei einem Verein machen, der es ernst meint mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt.
Aber es sind ja nicht nur diese Vorwürfe. Jerome Boateng ist auch tatsächlich wegen häuslicher Gewalt verurteilt. Und darum geht es: Während eines gemeinsamen Urlaubs auf den Bahamas soll es zwischen Boateng und der Mutter seiner Zwillinge zu einem handfesten Streit gekommen sein. Laut Anklage soll der Fußballer seine Partnerin geschlagen, sie mit einem kleinen Glas angegriffen, gebissen und beleidigt haben. Sie erlitt dabei Verletzungen an Lippen und Auge. Boateng bestritt die Tat bis zuletzt. Im September 2021 verurteilte das Amtsgericht München I den Verteidiger wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen à 30.000 Euro – insgesamt 1,8 Millionen Euro. In der Begründung hieß es, die Aussagen der Geschädigten seien glaubhaft und durch Zeugenaussagen sowie Chatverläufe gestützt worden. Boateng ließ das Urteil anfechten. Das Berufungsverfahren vor dem Landgericht München I im Oktober 2022 führte zu einer Milderung, aber nicht zu einem Freispruch: Das Gericht reduzierte die Strafe auf 120 Tagessätze à 10.000 Euro, also 1,2 Millionen Euro, bestätigte jedoch den Schuldspruch. Der Vorsitzende Richter betonte, Boateng habe die Frau geschlagen, wenn auch nicht so schwer wie ursprünglich angenommen. Eine Revision zum Oberlandesgericht scheiterte im Jahr 2023 – das Urteil ist damit rechtskräftig. Und Jerome Boateng offiziell vorbestraft.
Und es ist eben auch nicht nur Jerome Boateng. Lucas Hernández, bis zur Kane-Verpflichtung immerhin Rekordtransfer des FC Bayern, und seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Amelia de la Ossa Lorente trugen im Februar 2017 einen heftigen Beziehungsstreit aus. In der Nacht vom 2. auf den 3. ist es dabei wohl zu heftigen Handgreiflichkeiten gekommen. De la Ossa Lorente zog Blessuren in Gesicht und Rücken davon. Sie soll jedoch auch den Fußballprofi verletzt und sein Auto zerkratzt haben. Beide wurden daraufhin festgenommen und verurteilt: Ein wechselseitiges Kontaktverbot für sechs Monate sowie Geldstrafen. Offiziell zugestellt wurde das Kontaktverbot jedoch nur ihm. Doch aufgrund einer raschen Versöhnung verstieß der Profi gegen die Vorgabe. Hernández wurde daraufhin auf den Weg in den gemeinsamen Urlaub erneut festgenommen und zu sechs Monaten Haft verurteilt – auch wenn die Haftstrafe später zu einer Geldstrafe umgewandelt wurde.
Im Juni 2017 wurde wiederum Kingsley Coman in Chessy im Département Seine-et-Marne von der Polizei wegen häuslicher Gewalt festgenommen. Coman sollte seine damalige Freundin Sephora Goignan verletzt haben und hatte die Tätlichkeiten gegen die Mutter seiner beiden Töchter auch sofort zugegeben, Goignan musste aufgrund der ihrvom damaligen Bayern-Profi zugefügten Verletztungen für acht Tage krankgeschrieben werden. Ursache der Auseinandersetzung soll ein Streit um Comans Instagram-Account gewesen sein. Später wurde auch er rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die Bayern werden auch in diesem Jahr wieder die Allianz Arena zum Tag gegen Gewalt an Frauen orange leuchten lassen. Einen Tag später wird er beim FC Arsenal antreten. An Spieltagen, so sagt man, zeigen Vereine ihr wahres Gesicht. Und das Gesicht vom FC Bayern wird an diesem Tag ein Vorstand sein, der Spieler geduldet hat, die wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurden und ein Trainer, der Jerome Boateng zurück an die Säbener Straße geholt hat. Mit dem Kampf gegen Gewalt an Frauen hat dieses Gesicht des FC Bayern wirklich gar nichts zu tun.
Was die Bayern tun müssen? Boateng absagen. Sich für die völlig misslungene Kommunikation entschuldigen. Und ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten. Klar benennen, wann sie sich falsch verhalten haben, zum Beispiel, dass es ein Fehler war, dass sie Hernandez‘ und Comans Gerichtstermine als „Privatangelegenheiten“ abgetan haben und die Spieler, obwohl sie wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurden, einfach weiter für den FC Bayern spielen durften als wäre es egal für den FC Bayern, ob Frauenschläger in ihrer Mannschaft spielen. Und am besten sollten alle an der Säbener Straße, Spieler, Trainer und Funktionäre, einen Anti-Gewalt und Anti-Sexismus Workshop besuchen und darüber sprechen. Dann kann man auch leuchtende Stadien nicht nur ernst, sondern als wichtiges Zeichen für die Sichtbarkeit dieses elemenataren Themas wahrnehmen.
