Die Karriere von Jean-Marc Bosman wäre heute sicher eine, die nur Fußball-Feinschmecker*innen in Erinnerung bleiben würde, hätte der Mann nicht vor 30 Jahren einen Rechtsspruch ausgelöst, der den Fußball revolutionierte. Im Dezember 1995 wurde das sogenannte Bosman-Urteil verkündet, wie es dazu kam und was es aussagt: Dazu gleich. Erstmal zur Karriere von Jean-Marc Bosman.

Der defensive Mittelfeldspieler Bosman stammt aus Lüttich und begann seine Fußballkarriere bei Standard Lüttich. Zwischen 1980 und 1988 absolvierte er 74 Spiele für den Verein, in denen ihm drei Tore gelangen. Danach wechselte er innerhalb Lüttich zum RFC. Bis bis Juni 1990 spielte er in 25 Spielen für den RFC Lüttich in der ersten belgischen Liga. Wobei ihm auch ein weiterer Treffer gelang. Doch dann kam es zu einem einem Streit mit der Vereinsführung, der erst für Jean-Marc Bosman und später eben auch für Fußballprofis in aller Welt alles veränderte. Und das kam so: Im Zuge des Konflikts wurde ihm vom RFC nur ein neuer Vertrag mit dem monatlichen Gehalt von umgerechnet 880 Euro statt von bisher umgerechnet 3500 Euro angeboten. Das eskalierte den Konflikt wie erwartet weiter und Bosman, der bis dahin als ausgesprochen vereinstreuer Spieler galt, wollte deswegen jetzt den Verein wechseln. Der französischen Zweitligisten USL Dunkerque war auch an ihm interessiert. Doch der RFC Lüttich setzte die Ablösesumme auf gerade für diese Zeit noch vollkommen überhöhte 800.000 US-Dollar, rund 600.000 Euro, fest, die der französische Zweitligist weder bezahlen konnte, noch wollte. Daraufhin weigerte sich der RFC Lüttich, Bosman die Freigabe für seinen zweiten Vereinswechsel als Profifußballer zu erteilen.

Was nun? Für Jean-Marc Bosman ging es immerhin um seine berufliche Existenz als Profifußballer. Denn klar war: Beim RFC Lüttich hatte er unter der damaligen Vereinsführung keine Zukunft mehr. Er musste also handeln – oder aufgeben. Und letzteres kam für ihn nicht in Frage. Zumal Bosman – das zeigt das später getroffene Urteil – mit seiner Haltung ja sogar im Recht gewesen ist.

Und seine juristische Position war diese: Mit der klar überhöhten Ablöseforderung schränkte der RFC Lüttich seine Arbeitnehmerfreizügigkeit, die allen Arbeitnehmer*innen in der Europäischen Union zusteht, ein. Also reichte Bosman zunächst gegen seinen Verein und den belgischen Fußballverband eine Klage auf Schadensersatz ein. Im November 1990 entschied das zuständige belgisches Gericht, Bosman könne tatsächlich sogar ablösefrei zum französischen Zweitligisten USL Dünkirchen wechseln. Der belgische Fußballverband legte dagegen aber wenig überraschend Berufung ein. Doch auch in der Revisionsverhandlung bestätigten die Richter am 15. Dezember 1990 den ablösefreien Wechsel Bosmans. Gleichzeitig rief das Gericht aber auch den Europäischen Gerichtshof an, eine einheitliche Regelung zur freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der EU zu schaffen. Spätestens jetzt war klar: Dieser Fall wird historisch.

Aber zuerst gab es einen Nebenkonflikt: Denn die UEFA zweifelte öffentlich die Zuständigkeit des EuGH für den Fußball an. Die EU-Richter*innen ließen sich davon aber nicht beeindrucken und so begann im Juni 1995 das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Die UEFA versuchte dabei wiederum mit Unterstützung des Weltfußballverbandes FIFA, durch einen offenen Protestbrief die Urteilsfindung zu beeinflussen.

Doch auch hiervon ließ sich das Gericht nicht beeindrucken – im Gegenteil: Der EuGH fällte am 15. Dezember 1995 die Entscheidung, dass er nicht nur auch innerhalb des Fußball zuständig sei, sondern auch, dass Fußballer*innen innerhalb der EU als „normale“ Arbeitnehmer*innen gelten und damit auch über die entsprechenden Schutzrechte wie die Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit verfügen. Der Gerichtshof verbot alle Forderungen nach Zahlung einer Ablösesumme für den Wechsel eines Spielers innerhalb der EU nach Vertragsende. Auch die in einigen Ländern geltenden Regelungen, nach denen nur eine bestimmte Anzahl von Ausländern in einer Mannschaft eingesetzt werden durften, wurden – soweit EU-Spieler betroffen waren – für rechtswidrig erklärt. Ablösefreie Wechsel wie der von Robert Lewandowski vom BVB zum FC Bayern hätte es also ohne Jean-Marc Bosman wohl niemals gegeben.

Übrigens: Auch andere Sportarten prägte Bosman mit seinem Prozess. Die Ausländerregelungen beispielsweise im Eishockey mussten ebenfalls gelockert werden. Spieler aus skandinavischen Ländern durften nicht mehr auf das Ausländer-Kontingent pro Team angerechnet werden. Viele Spieler aus Schweden, Finnland und Norwegen kamen so in die DEL.

Doch für Bosman selbst hat sich sein Einsatz nicht gelohnt. Er kehrte zwar im Januar 1992 nach Belgien zurück, fand jedoch keinen Profi-Verein mehr, der ihn unter Vertrag nehmen wollte. Erst neun Jahre nach Prozessbeginn bekam Jean-Marc Bosman rund 780.000 Euro Entschädigung für dieses vorzeitige und unfreiwillige Karriereende, das immerhin den Fußball revolutionierte, zugesprochen. In der Folge erlitt er Scheidungen, Alkoholproblemen und Depressionen. Heute lebt Bosman zurückgezogen in seiner belgischen Heimat von Sozialhilfe und finanzieller Unterstützung der Spielergewerkschaft FIFPro. Rückblickend habe das Urteil nicht nur „meine Karriere, sondern auch mein Privatleben zerstört. Liebe, Zufriedenheit, Lebensqualität – alles weg. Es hat mich zu viel gekostet“, resümierte er.

Dafür stärkte das Urteil die Verhandlungsposition der Spieler gegenüber ihren Vereinen nachhaltig. Dadurch das Spieler*innen nun nach auslaufen ihres Vertrages ablösefrei wechseln dürfen, sind zum Beispiel Handgelder beziehungsweise Unterschriftsprämien längst üblich geworden. Davon profitieren aber natürlich vor allem etablierte Spieler, eigentlich vor allem potenzielle Topspieler, um die sich stets mehrere Vereine reißen und die entweder die Aussicht auf sportlichen Erfolg dramatisch steigern oder aber absehbar einen immensen Wiederverkaufswert haben. Die Wahlfreiheit des vertragsgebenen Vereins ist jedoch auch für Spieler*innen in den unteren Ligen spannend, sie sind durch das Urteil freier geworden und auch ihre Vereine müssen mehr unternehmen, um die Kicker*innen an sich zu binden. Aber auch finanzstarke Klubs wurden durch das Bosman-Urteil in ihrer Macht gestärkt: Sie können abgebende Vereine bei Transfers nunmehr stärker unter Druck setzen, da diese nur bis zum Auslaufen von Spielerverträgen und eben nicht mehr auch darüber hinaus eine Ablösesumme kassieren können.

Kurzum: Die von Bosman erhoffte Umverteilung in die Breite der Profifußballer blieb aus. Auch das Bosman-Urteil stärkt vor allem diejenigen, die auch ohne Bosman-Urteil bereits mächtig am Fußballmarkt gewesen sind. Bosman selbst schlussfolgert deswegen heute, dass andere, nicht aber er selbst, von seinem Kampf profitiert hätten. Er spricht sich für weitere Änderungen des Systems aus, einschließlich Gehaltsobergrenzen und einem Draft-System, resümiert aber, er „würde nicht mehr vor Gericht ziehen“.

Das war sie, die Geschichte eines Mannes, der als Fußball im Gerichtssaal berühmt wurde, den Sportmarkt für immer prägte und doch selbst kein Teil mehr davon ist.

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Von admin