Immer wieder geraten besondere Vereine in tiefe Krisen, stürzen ab und die Fußballwelt fragt sich: Wie konnte es dazu kommen? In Deutschland geht es vielen Traditionsvereinen so. Doch darüber wird an vielen Stellen schon ausführlich diskutiert. Hier auf FanLeben.de schauen wir deswegen ins Ausland und widmen uns in detaillierten Recherchen der bitteren Realität von Vereinen, die wir im internationalen Fußball heute vermissen. Im ersten Teil der Serie ging es um Vitesse Arnheim, im zweiten Teil folgte Bursaspor, im dritten der FC Malaga, im vierten Wacker Innsbruck, im fünften Sheffield Wednesday, im sechsten die Western City Wanderers, im siebten die Bolten Wanderers und im achten beschäftigten wir uns mit Manchester United. Heute geht es um einen Verein, der nur augrund eines schlimmen Unfalls Teil dieser Rubrik wurde. Es geht nach Brasilien – und jetzt los mit dem Text!
Fast auf den Tag genau neun Jahre nach dem Absturz von Flug Lamia 933 am 28. November 2016 kehrt Chapecoense zurück in die erste brasilianische Liga!
Der 28. November 2016 ging dabei als einer der grausamsten Tage in die Fußballgeschichte ein: Auf dem Weg zum Final-Hinspiel der Copa Sudamericana in Medellín (Kolumbien), dem ersten internationalen Endspiel, für das sich Chapeconese jemals qualifizieren konnte, war der Charterflieger des Teams kurz vor der Landung mit leergeflogenen Treibstofftanks an einem Berghang zerschellt. Es starben insgesamt 71 der 77 Menschen an Bord. Darunter 19 Spieler, 14 Teammitglieder, neun Personen aus der Klubführung und 20 mitgereiste Journalisten.
Das Pokalfinale wurde daraufhin natürlich abgesagt. Dennoch war das Stadion in Medellín am eigentlich vorgesehen Spieltag bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Anhänger von Atlético Nacional sangen die Vereinshymne Sempre Chapecó (Für immer Chapecó) von Chapecoense. Es waren 90 Minuten Fußballstimmung, ohne dass ein Ball rollte, vielleicht einer der größten Momente der jüngeren Sportgeschichte. Auf jeden Fall ein Tag, der jede*n daran erinnert hat, was diesen Sport ausmacht. Am 2. Dezember 2016 dann erklärte der südamerikanische Fußballverband CONMEBOL auf Wunsch von Atlético Nacional Chapeco zum Sieger der Copa Sudamericana 2016. An Chapecoense als Titelträger werden demnach zwei Millionen US-Dollar ausgeschüttet. Als Fair-Play-Auszeichnung wurden Atlético Nacional eine Million US-Dollar zugesprochen.
Schauen wir aber erst einmal kurz zurück auf die vorherige Geschichte dieses Vereins, der tragische Berühmtheit erlangte: Der Verein Associação Chapecoense de Futebol wurde am 10. Mai 1973 in der Stadt Chapecó, im Westen des brasilianischen Bundesstaates Santa Catarina, gegründet. Er ist das Produkt der Fusion von zwei kleineren örtlichen Klubs: Independiente und Atlético Chapecoense. Vier Jahre nach Vereinsgründung gewann Chapecoense seinen ersten Titel: Im Endspiel um die Staatsmeisterschaft von Santa Catarina besiegte man Avaí FC aus Florianópolis mit 1:0. 1978 trat Chapecoense erstmals auf dem höchsten Level des brasilianischen Vereinsfußballs an. Man beendete die Spielzeit auf Platz 51, ein Jahr später stieg man als 93. wieder ab. Nach 1979 schaffte es der Verein drei Jahrzehnte lang nicht mehr, in die Série A zurückzukehren. Erst 2013 kehrte man zurück. Seitdem spielt Chapeconese in der ausgebauten Arena Condá, die knapp 20.000 Fans Platz bietet.
Aber zurück zur eigentlichen Geschichte: Von Fans weltweit erfuhr der Verein nach dem Unglück nämlich eine gigantische Welle an Solidarität: Schon drei Tage nach dem Unfall wurde ein erhöhter Mitgliederandrang beim Verein festgestellt. Interimspräsident Ivan Tozzo gab am 1. Dezember 2016 an, dass es „in den letzten 24 Stunden mehr als 13.000 Anfragen außerhalb Chapecós“ gegeben habe.
In der Meisterschaftsrunde 2016 hätte der Klub am letzten Spieltag am 11. Dezember noch ein Spiel gegen Atlético Mineiro bestreiten müssen. Doch am 1. Dezember 2016 erklärte der Präsident von Mineiro, dass sein Klub nicht zu diesem Spiel antreten wird. Gleichzeitig boten unzählige Vereine und Spieler ihre Unterstützung an. Unter anderem die boten sich die bereits zurückgetretenen Fußballer Ronaldinho und Juan Román Riquelme als neue Spieler an. Außerdem boten ganz konkret sämtliche brasilianischen Erstligaklubs an, Chapecoense kostenfrei mit Leihspielern für die Saison 2017 auszustatten. Außerdem wurde der Antrag gestellt, den Klub drei Jahre lang vor sportlichen Abstiegen zu schützen. Dieses Angebot aber lehnte Chapecoense ab.
Und so kam es, wie es kommen musste: Nachdem das neue Team am 7. März 2017 im Spiel um die Staatsmeisterschaft von Santa Catarina gegen den EC Internacional ihren ersten Sieg nach der Katastrophe feiern undm 7. Mai 2017 das Finale der Campeonato Catarinense de Futebol de 2017 gewinnen und dadurch zum ersten Mal den Titel der Staatsmeisterschaft verteidigen konnte, musste Chapecoense 2019 als Tabellenvorletzter in die Série B absteigen. Auf den direkten Wiederaufstieg folgte 2021 der erneute Abstieg und drei Jahre lang der Kampf gegen den Absturz in die Drittklassigkeit. Immerhin konnte 2020 noch einmal die prestigeträchtige Staatsmeisterschaft gewonnen werden. Zwischen 2022 und 2024 wurde Chape dann jedoch bloß zweimal 15. und einmal 16. in der zweiten brasilianischen Liga und landete damit nur knapp vor den Abstiegsrängen 17 bis 20. Umso überraschender kam die sensationelle Rückkehr in die Série A in dieser Saison. Die Ausgangslage hätte dabei am letzten Spieltag der Saison kaum dramatischer sein können: Hinter Meister Cortiba FC, der sicher als Aufsteiger fest stand, spielte sich ein Sechskampf um die verbliebenen drei Aufstiegsplätze ab.
Und dramatisch war es dann auch bis zur letzten Sekunde: Chapecoense führte zwar gegen Atlético Goianiense durch einen Elfmeter schon seit der Nachspielzeit der ersten Hälfte und war damit prompt auf einen Aufstiegsplatz gesprungen. Doch ein Gegentreffer oder die Ergebnisse in den anderen Stadien hätten alles wieder ändern, den Aufstieg absagen können. Club Athletico Paranaense hatte zum Beispiel alles in der eigenen Hand und setzte sich durch einen Sieg sicher auf dem zweiten Platz fest. Dahinter waren Criciúma EC und Goiás EC mit zwei Punkten Vorsprung auf Chape eigentlich in der besseren Ausgangsposition. Doch beide verloren jedoch ihr Saisonendspiel und fielen damit in der Blitztabelle hinter Chapecoense (3.) und Clube do Remo (4.) zurück. Bei einer eigenen Niederlage wäre Chape letztlich sogar auf Rang sieben abgerutscht. Doch Chapeconse hielt das 1:0 über die gesamte Spielzeit und setzte sich damit auf Aufstiegsplatz drei fest – die Rückkehr in die erste Liga ist perfekt!
Es folgte eine wilde Party, auf den Rängen – und ganz bald auch auf dem Spielfeld, das die Fans unmittelbar nach dem Schlusspfiff fluteten. Besonders emotional war der Wiederaufstieg von Chapecoense aber natürlich vor allem für die einzigen drei überlebenden Spieler des Flugzeugunglücks. Neben dem ehemaligen Torhüter Jakson Follman, dessen rechter Unterschenkel amputiert werden musste, meldete sich Abwehrspieler Neto in den sozialen Medien zu Wort: „Wir sind zurück in der Série A, wir sind zurück an dem Ort, an dem wir immer gewesen sind, wir sind zu unserem Wesen zurückgekehrt, nämlich zu kämpfen und uns bis zum Schluss nicht aufzugeben“, schrieb der Brasilianer bei Instagram und führte aus: „Ein Trikot, das eine Geschichte von Kampf, Glauben, Mut, Hingabe und großer Bescheidenheit in sich trägt, konnte nicht außerhalb der Elite des brasilianischen Fußballs bleiben. Glückwunsch an die Vereinsführung, den Trainerstab, die Spieler und alle Mitarbeitenden des Klubs zu diesem Erfolg.“ Abschließend gedachte er auch seiner verstorbenen Freunde, Mitspielern und den weiteren Opfern: „Für immer‚ vom Zeugwart bis zum Präsidenten.“
Übrigens: Wenn Chapecoense in der nächsten Saison den zehnten Jahrestag des Unglücks in der ersten Liga antreten wird, könnte es zudem ein Wiedersehen mit dem dritten überlebenden Spieler geben. Der frühere Kapitän Alan Ruschel spielt mit 36 Jahren derzeit noch bei Juventude EC in der Série A, allerdings läuft der Vertrag des Linksverteidigers am 31. Dezember aus, ob er verlängert wird, ist noch unklar. Auch eine Rückkehr zu Chape ist möglich.
Fest steht: Anders als nach dem letzten Aufstieg will sich der Klub aus dem Süden Brasiliens auch langfristig im Oberhaus festsetzen und den Opfern der Tragödie damit eine besondere Ehre erweisen. Fußballfans weltweit drücken dabei die Daumen!
