Christian Wück ist ein Turniertrainer. Als Trainer der (männlichen) U17-Nationalmannschaft wurde er erst Europa- und dann auch Weltmeister. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte, die ihm auch als Trainer einen Namen gemacht hat. Dabei besonders: Wie er es schaffte, aus einem sehr guten Jahrgang ein hervorragend funktionierendes Team zu formen. Diese Fähigkeit, eine Einheit zu entwickeln und alle Spieler – auch die großen Einzelkönner wie Paris Brunner oder Noah Darvich – dem großen Ziel unterzuordnen, zeichnet Wücks Trainingsphilosophie aus.
Doch Christian Wück ist nicht nur ein Menschenfänger, der es schafft, Spieler für seine Philosophie zu begeistern. Seine Mannschaft haben immer auch eine klare, attraktive Spielidee. Eine, in welche der ehemalige Spieler Wück immer wieder durchschimmert. Der ehemalige Profi, der unter anderem für den KSC und den 1. FC Nürnberg auflief, fiel er durch sein enormes Tempo auf, das er oft auf dem linken Flügel zeigte. Allerdings war der heute 50-Jährige verletzungsanfällig. Kleine Anekdote: Wück war einer der ersten Fußballprofis der sich, bereits 1998, den Meniskus eines Toten hatte transplantieren lassen. Heute spielen Wücks Mannschaften einen schnellen und aktiven Fußball, verteidigen aggressiv gegen den Ball, setzen am Ball aber auf kurzes Passspiel und hohes Tempo. Das ist modern, mitreißend – und, wenn die individuelle Qualität des Teams stimmt, schwer zu schlagen. Was die Erfolgsbilanz des heutigen Frauen-Bundestrainers bei großen Turnieren erklärt.
Mit seinem Stil hat Christian Wück dabei – ähnlich wie Julian Nagelsmann bei den Männern – eine neue Euphorie bei den Frauen entfacht. Wir erinnern uns: Nach der total verkorksten WM 2023 und der Trennung von Martina Voss-Tecklenburg lag die Nationalmannschaft am Boden. Horst Hrubesch musste, wieder einmal, als Interimstrainer einspringen und das Team stabilisieren. Das gelang auch. Mehr jedoch nicht – fußballerisch stagnierte die Nationalmannschaft bis Wück dauerhaft übernahm. Was aber natürlich nicht an Hrubesch lag, sondern an dem Negativtrend vorher, der aufwendig umgekehrt werden musste und der Zeit, die es braucht, bis neue Impulse wirken.
Dabei beweist die Wück-Verpflichtung als Frauen-Bundestrainer, dass Erfolg durchaus planbar ist. Denn eigentlich war sie mit einem gewaltigen Risiko verbunden: Wück kommt immerhin aus dem Männer-Fußball, hatte vor einem Engagement als Bundestrainer kaum Berührungspunkte mit den Frauen-Fußball. Trotzdem hatte er nicht lange gezögert, seinen fußballerischen Fokus zu verlagern: „Als die Anfrage kam, habe ich nicht lange gezögert: Dieses Team zu coachen, die vorhandene individuelle Qualität der Spielerinnen weiterzuentwickeln und die Mannschaft damit auch zukunftsfähig für Erfolge zu machen, zählt zu den spannendsten und verantwortungsvollsten Aufgaben im deutschen Fußball.“ Braucht aber eben auch eine gewissenhafte Einarbeitung. Deswegen entschied Sportdirektorin Nia Künzer, die die Wück-Verpflichtung übrigens am Weltfrauentag 2024 verkündete, dass der neue Coach nicht sofort, sondern erst nach der EM-Qualifikation und nach Olympia von Hrubesch übernehmen sollte, so verschaffte sie Wück Zeit, die Nationalmannschaft zunächst als Beobachter kennenzulernen und auch die Bundesliga und andere europäische Top-Ligen, in denen deutsche Nationalspielerinnen unterwegs sind, anzuschauen. Dabei konnte Wück auch auf Hrubeschs Unterstützung zählen: „Ich schätze Christian Wück und kenne ihn bereits aus der Zeit, als ich das erste Mal für den DFB gearbeitet habe.“ Außerdem brachte Christian Wück nicht Jens Nowotny, seinen bisherigen Co-Trainer aus dem Männer-Nachwuchs, mit, sondern bekam mit Maren Meinert und Saskia Bartusiak zwei neue Co-Trainerinnen. Meinert ist dabei eine der erfahrensten Trainerinnen im deutschen Frauen-Fußball, steht seit fast einem Vierteljahrhundert an der Seitenlinie und ist eine enge Vertraute von Sportdirektorin Künzer, sorgt so zu enger Verzahnung mit dem Verband. Bartusiak wiederum, auch eine ehamlige Nationalspielerin, arbeitete zuletzt als Videoanalystin im DFB-Nachwuchs, kennt also alle Spielerinnen und ihre Potenziale bestens. Das half Wück beim Einstieg.
Aber zurück zur laufenden Europameisterschaft. Kann Deutschland sich Dank Trainer Wück in diesem Jahr große Titelhoffnungen machen – obwohl andere Mannschaft vielleicht noch etwas prominenter besetzt sind?
Einiges spricht dafür. Auch die Art, wie Christian Wück mit Rückschlägen umgeht: Bei seinen U17-Triumphen mussten Wücks Mannschaften mehrfach bis ins Elfmeterschießen, taten sich also gegen (Mit-)Favoriten erwartbar schwer. Doch sie behielt stets den längeren Atem. Das erinnert ein wenig an die Männer-WM 2014, bei der viele das kräftezehrende Achtelfinale gegen Algerien, in der sich Deutschland erst in der Verlängerung das Weiterkommen sicherte, als positiven Wendepunkt, der den Teamspirit auf eine neue Ebene hob. Aber es weckt auch am Beispiel von Paris Saint-Germain in der Champions League Hoffnung. Denn PSG zeigte in dieser Saison, wie wichtig eben dieser lange Atem ist. Denn manchmal sind es gerade die Teams, die zunächst straucheln, die am Ende triumphieren. PSG sicherte sich erst am letzten Spieltag der Ligaphase das Weiterkommen in die Zwischenrunde der Königsklasse, dominierte aber von da an den Wettbewerb. Im ersten Gruppenspiel gegen Polen tat sich Deutschland zunächst lange schwer, siegte aber am Ende mit 2:0 ungefährdet. Neben cleverer Planung ist eben auch Geduld ein entscheidender Erfolgsfaktor. Das zeigt: Wie Wücks bisherige Tuniersiegermannschaften arbeiten auch die deutschen Nationalspielerinnen fokussiert und konzentriert, lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und sind in der Lage, bis zum letzten Moment zuzuschlagen. Dafür spricht auch die Coolness der deutschen Spielerinnen, Offensivaktionen im Zweifel vorübergehend abzubrechen, wenn Wege von den Gegnerinnen effektiv zugestellt wurden, um von hinten heraus neu aufzubauen und die Gegnerinnen so vorzulocken. Seriösitiät statt Hektik – das passt.
Aber auch seine ansonsten mutige Spielidee haben die Wück-Schützlinge bestens verinnerlicht. Sie suchen mit hohem Pressing die Spielkontrolle, erarbeiten sich mit dem Ball durch cleveres Passpiel viele Chancen und können den fordernden Fußball-Ansatz Wücks locker tragen. Insbesondere die individuelle Qualität der Spielmacherinnen Linda Dallmann und Klara Bühl, von Konterspezialistin Jule Brand oder Allrounderin Sjoeke Nüsken sind hier hervorzuheben, auch wenn das Gleichgewicht zwischen Aggressivität im Pressing und Stabilität in der Verteidigung manchmal noch fehlt oder beim letzten Pass im Angriff gelegentlich noch zu lange gezögert wird. Aber wir sind ja noch am Anfang des Turniers, da sind weitere Entwicklungsschritte einkalkuliert.
Christian Wück ist ein Turniertrainer. Deutschland eine Turniernation. Und die Mannschaft ist so gut besetzt, dass ihr bei dieser Europameisterschaft alles zuzutrauen ist. Der Erfolg wäre dann aber kein Zufall, sondern hätte System.