Wenn die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft heute um 21 Uhr bei der Europameisterschaft in der Schweiz gegen Schweden antritt, ist das ihr 551 Länderspiel. Eine andere deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft kommt hingegen nur auf ein einziges Spiel: Die Frauenfrußball-Nationalmannschaft der DDR. Passend zum Länderspiel heute Abend erinnert FanLeben.de an den 9. Mai 1990.

Denn manchmal schreibt der Fußball rund um einzelne Spiele ganz besondere Geschichten – absurd oder bewegend. Auf FanLeben.de rekonstruieren wir diese Geschichten und halten so die Erinnerung am Leben. Nachdem wir bislang über das Spiel Barbados und Grenada 1994, bei dem beide Mannschaft unbedingt ein Eigentor erzielen wollten, über die Rückkehr von Erzgebirge Aue auf die internationale Bühne und die torreichste Begegnung aller Zeiten berichtet haben, folgt nun also die etwas andere Einstimmung auf das EM-Spiel heute Abend.

Warum die DDR-Frauen nur ein Länderspiel bestritten? Um das zu verstehen, muss man die Geschichte des DDR-Sports verstehen. Frauenfußball war in der DDR, anders als in der Bundesrepublik, offiziell zwar nie verboten, doch gefördert wurde er nie. „Frauenfußball war keine olympische Disziplin. Wenn wir gesagt hätten, wir holen Gold, wäre es einfach gewesen. Aber so hatten wir Probleme“, erklärt Bernd Schröder, der Anfang der 70er Jahre an der Gründung von Turbine Potsdam beteiligt gewesen war und den Verein anschließend über 40 Jahre lang entscheident prägte – mehr als 30 davon als Cheftrainer. Der DDR-Sport war aufgrund seiner propagandistischen Bedeutung im Wettstreit der politischen Systeme zwischen Ost und West stark auf olympische Erfolge ausgerichtet und ohne Aussicht auf Medaillen blieb Frauenfußball da folglich eine Randerscheinung.

Dabei gab es in der Gesellschaft durchaus ein großes Interesse an den Fußball-Frauen, wie sich Bernd Schröder erinnert: „Von Anfang an hatten wir das Gefühl, dass wir angekommen sind in der Bevölkerung. 1.800 bis 2.000 Zuschauer kamen zu den Spielen. Das war ehrlich, bodenständig.“

Trotzdem dauert es noch bis 1979 bis der DDR-Fußballverband einen organisierten Vereinswettbewerb im Frauenfußball an den Start brachte: Die DDR-Bestenermittlung – keine Liga, ein Turnier. Zwei Jahre später gewann Turbine Potsdam diesen Wettbewerb erstmals. In der Folge wurde die Mannschaft in der DDR zu den Sportlerinnen des Jahres gewählt, was das Potenzial des DDR-Frauenfußballs noch einmal unterstrich. Turbine Potsdam um Trainer Schröder, auch das wird noch wichtig, war von da das unangefochtene Spitzenteam. Den Titel „DDR-Bester“ gewann Turbine von 1981 bis 1986 weitere fünf Mal. Zur Saison 1987/88 dann auch der politische Durchbruch: Die Sportfunktionäre der DDR gaben endlich grünes Licht für eine eigene Liga. Das war es dann aber auch – eine A-Nationalmannschaft oder DDR-Jugendteams gab es weiter nicht. Erstmal.

Denn im Sommer 1989 feierte dann nicht nur die DDR ihr 40-jähriges Bestehen, sondern die Fußballerinnen der Bundesrepublik auch ihren Ersten Europameister-Titel. Klar, dass die DDR das nicht auf sich sitzen lassen konnte. Man beschloss also auch in Ost-Berlin die Begründung einer Frauenfußball-Nationalmannschaft. Womit wir wieder bei Turbine Potsdam und Erfolgscoach Bernd Schröder wären, denn sofort stand fest, dass der ihr Trainer werden sollte.

Und schon ging es los: Die Spielerinnen wurden ab dem Spätsommer gesichert, im Herbst 1989 trafen sie sich für einen Trainingslehrgang. Und auch das erstes Länderspiel wurde terminiert: Im Mai 1990 sollte es in Potsdam, immerhin der Frauenfußball-Standort der DDR, gegen die Tschechoslowakei gehen. Tja: Nachdem die DDR-Politik den Frauenfußball über Jahrzehnte vernachlässigt hatte, kam ihr dieses Mal ihr Ende in die Quere. Denn am 9. November fiel die Mauer, der DDR-Staat brach zusammen, rasch begannen Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung. Die DDR hatte also endlich eine Nationalmannschaft, nur gab es quasi keine DDR, die sie repräsentieren könnte, mehr.

Für Schröder und seine Spielerinnen gab es zwei Möglichkeiten: Absagen. Oder durchziehen und in die Geschichte eingehen. Man entschied sich für letzteres. „Ich hatte mich riesig über meine Nominierung gefreut. Dass es dieses Spiel gab, hat mich stolz gemacht. Das war eine große Anerkennung für unseren Sport“, blickt heute Heike Hoffmann, die inzwischen Lehrerin für Sport und Geschichte ist, auf das Spiel zurück. Auch Sybille Brüdgam erinnert sich: „Das war damals für uns eine aufregende Sache, weil es etwas ganz Besonderes war. Letztendlich blieb es ja dann auch einzigartig. So etwas vergisst man nicht.“

Es wurde ein Länderspiel mit allem drum und dran – auch mit dem Singen der Nationalhymnen und Trikots mit Hammer und Sichel, dem Emblem der DDR, drauf. Um die unmittelbar bevorstehende Wiedervereinigung wissend, eine durchaus paradoxe Situation. Wie auch Bernd Schröder heute findet: „Wir konnten damit nicht umgehen, dass wir plötzlich für unser Land spielen und wissen: Es ist eigentlich das letzte Mal.“

Die Geschichte des Spiels selbst ist dann schnell erzählt: Der Anpfiff erfolgte um 17:30 Uhr im mit 800 Zuschauern nur spärlich besetzten Karl-Liebknecht-Stadion. Sofort zeigte sich die spielerische Überlegenheit der Tschechoslowakinnen, die durch einen von Ivana Bulikova in der 22. Minute verwandelten Elfmeter in Führung gingen. Damit ging es in die Pause. In der zweiten Halbzeit erhöhten die Spielerinnen aus der Tschechoslowakei dann noch einmal den Druck und die DDR-Frauen legten ihre beschriebene Unsicherheit das ganze Spiel über nicht ab, sodass sie sich noch zwei weitere Gegentore durch Jana Paolettikova in der 65. Minute und 6 Minuten später durch Olga Hutterova fingen. Für Deutschland spielten: Annett Viertel, Kathrin Hecker, Petra Weschenfelder, für die in der 70. Minute Heidi Vater eingewechselt wurde, Heike Hoffmann, Sybille Lange, Carmen Weiß, die zur zweiten Halbzeit durch Heike Ulmer ersetzt wurde, Katrin Prühs, Sybille Bründgam, Katrin Baaske bzw. ab der 60. Minute Sabine Berger, Dana Krumbiegel und Doreen Meier. 14 Frauen, die Geschichte schrieben. Aber nur drei Potsdammerinnen, nachdem Beate Reuer und Ines Kulick schon in den Westen gewechselt waren und von Nationaltrainer Schröder deswegen nicht mehr berücksichtigt wurden.

Nur Katrin Baaske wurde auch nach der Wiedervereinigung noch für ein Länderspiel der gesamtdeutschen Nationalmannschaft nominiert, ohne jedoch noch einmal zum Einsatz zu kommen. Ein Sinnbild. Denn für den ostdeutschen Frauenfußball insgesamt wurde es nach der Wende schwierig. Mit dem Fall der Mauer kämpften viele DDR-Vereine ums Überleben. Leistungsträgerinnen wechselten zu Westvereinen. Und umgekehrt? Da kam keine West-Spielerin zu einer Mannschaft in den Osten. Bernd Schröder verhandelte für die Ost-Klubs später mit Hannelore Ratzeburg vom DFB immerhin ein gemeinsames Ligasystem und sicherte so den Fortbestand der Vereine. Und: Turbine Potsdam ist bis heute der einzige Fußballverein, bei Männdern und Frauen, aus der ehemaligen DDR, der seit der Wiedervereinigung eine gesamtdeutsche Meisterschaft gewinnen konnte.

Bernd Schröder ist bis heute ein kritischer Begleiter des gesamtdeutschen Frauenfußballs geblieben. Bestimmt wird er auch heute Abend zuschauen, wenn das DFB-Team auf die Schwedinnen trifft – und die spannende Geschichte des deutschen Frauenfußballs weitergeschrieben wird. Denn – und das weiß jetzt nicht mehr nur Bernd Schröder – jedes Fußballspiel macht einen Unterschied.

FanLeben.de wünscht heute Abend viel Spaß beim Spiel!

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Von admin