„Ein Zeichen setzen“, das forderte Energie Cottbus-Trainer Claus-Dieter Wollitz nach einem rassistischen Vorfall beim Spiel zwischen 1860 München und seiner Mannschaft. Im städtischen Stadion an der Grünwalder Straße hatte zuvor ein Anhänger der Löwen einen Spieler von Energie Cottbus, Justin Butler, rassistisch beleidigt: Die Person machte Affenlaute.
Justin Butler alamierte daraufhin den Schiedsrichter, Konrad Oldhafer: „Ich selber hatte keine Wahrnehmung davon. Ich habe dem Spieler gleich signalisiert, dass wir das Thema sehr ernst nehmen.“ Oldhafer holte die Kapitäne beider Mannschaften zu sich und besprach mit ihnen das weitere Vorgehen. Das ist in den DFB-Statuten dabei ziemlich eindeutig geregelt: Es gibt einen Drei-Stufen-Plan. Stufe eins sieht dabei eine Lautsprecher-Durchsage vor, in dem die Stadionbesucher*innen aufgefordert werden, rassistische Gewaltrufe zu unterlassen. In Stufe zwei folgt eine Spielunterbrechung von bis zu zehn Minuten, in der die Mannschaften das Spielfeld verlassen, um ein Zeichen zu setzen. Und in Stufe drei würde, wenn die ersten beiden Stufen kein Ende des diskriminierenden Verhaltens bewirkt haben, das Spiel abgebrochen.
Schiedsrichter Oldhafer eskalierte dabei gestern jedoch direkt in Stufe zwei – und das mit Erfolg: Nach einer Stadiondurchsage reagierte das gesamte Gründwalder Stadion mit „Nazis raus“-Sprechchören, während der folgenden Spielunterbrechung identifizierten umstehende Fans den Anhänger, der die Affenlaute gemacht hatte und übergaben ihn dem Ordnungsdienst, der wiederum die Polizei alamierte. „Nachdem wir die Mitteilung bekommen haben, dass der betroffene Zuschauer, der angeblich diese Geräusche gemacht haben soll, ausfindig gemacht wurde und aus dem Stadion verbannt wurde, habe ich mit Justin Butler gesprochen“, rekonstruiert Oldhafer die Ergnisse. Er habe ihn gefragt, ob er sich in der Lage fühle, das Spiel fortzusetzen. Als der Angreifer dies bejahte, pfiff der Schiedsrichter wieder an.
Nach rund zehn Minuten konnte das Spiel dann also störungsfrei fortgesetzt werden. Cottbus-Stürmer Justin Butler erhielt dabei von allen anwesenden Fans beider Vereine großen Applaus. In einer offiziellen Mitteilung erklärt auch 1860 München: „Aufgrund des schnellen Einschreitens von Spielern des FC Energie und des TSV 1860, umstehenden Fans sowie der Fanbetreuung der Löwen konnte der Zuschauer ausfindig gemacht und der Polizei übergeben werden.“ Man bemühe sich um eine Aufarbeitung und werde den Zuschauer mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zur Rechenschaft ziehen. 1860 stehe für Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz.
Butlers Mitspieler Axel Borgmann sagte nach dem Spiel: „Es ist traurig, dass es immer wieder Thema ist.“ Das Spiel sei „dann auch zweitrangig. Uns geht es darum, als Mannschaft geschlossen als Vertreter der Gesellschaft hinter unserem Spieler zu stehen. Es kommt immer und immer wieder vor, das ist traurig und schade. Ich bin froh, dass der Fan identifiziert und aus dem Stadion geholt wurde.“ Cottbus-Trainer Wollitz berichtete, dass das Löwen-Präsidium sich auch bei ihm entschuldigt habe: „Sie brauchen sich nicht entschuldigen, aber ich empfinde das sehr angenehm.“ Er habe „zum Schiedsrichter gesagt, er kann das Spiel abbrechen, um ein Zeichen zu setzen. Wir sind der Verlierer, das Ergebnis war 2:0 (am Ende 3:0, d. Red.). Einfach mal ein Zeichen setzen, wir reden immer, aber keiner handelt. Das ist traurig für den Spieler und traurig für 60 München.“ Der Schiedsrichter hielt sich jedoch an den Stufen-Plan.
Und setzte damit de Facto das größere Zeichen. Das Problem am Drei-Stufen-Plan des DFB ist ja auch nicht, dass er nicht wirken könnte, sondern viel mehr, dass er nicht konsequent angewendet wird. Wenn er, wie gestern, zur Anwendung kommt, kann er das anti-rassistische Bewusstsein aller Stadionbesucher*innen schärfen, oft kommt es, auch wie gestern, sogar zur Zivilcourage unter den umstehenden Anhänger*innen. Es ist furchtbar, dass es den Drei-Stufen-Plan gestern brauchte, aber es gut, dass er so eindrucksvoll funktioniert hat.
Deswegen ist umso wichtiger, darüber zu reden, dass er oft nicht angewandt wird. Und zwar insbesondere auch in Regionen, in denen es von existenzieller Bedeutung wäre, dass der Fußball sich eindeutig weltoffen positioniert. Ein Beispiel: Anfang September fand die erste Runde des Erzgebirgspokals statt. Aber als es in der Partie des SV Auerhammer nach einem 2:2 nach Verlängerung zum Elfmeterschießen kommen sollte, sah sich die Mannschaft aus Aue gezwungen, die Partie abzubrechen. Denn zuvor war es immer wieder zu „massiven rassistische Äußerungen seitens der Heimfans“ gegen einen ihrer Spieler gekommen – ohne, dass der Schiedsrichter eingegriffen hätte.
Der Vorsitzende des SV Auerhammer, Konrad Schlegel, bestätigte der „Freien Presse“ aus Chemnitz den Vorfall. „Ich war selbst mit dabei“, sagte er. Das Entsetzen über die rassistische Gewalt einiger Heimfans ist groß. „Ich habe auf Fußballplätzen schon viel erlebt. Aber so etwas noch nie.“ Fast über das komplette Spiel über sei SVA-Stürmer Samiou Tchagbele aufgrund seiner Hautfarbe beleidigt worden. „Und zwar aufs Übelste“, sagte Schlegel.
Leider kein Einzelfall. Neben Tchagbele, der aus der Elfenbeinküste kommt, gehören zwei Spieler mit vietnamesischen Wurzeln zum Kader der Auerhammer. Schlegel berichtet deswegen, dass es regelmäßig zu rassistischen Anfeindungen gegen sein Team komme: „Leider haben wir schon öfter solche Anfeindungen erleben müssen“. Nie sei daraufhin der Stufen-Plan des DFB angewandt worden. Diesmal habe sich die Mannschaft deswegen entschlossen, ein Zeichen zu setzen. „Weil die unerträglichen Beleidigungen von Zuschauerseite einfach nicht aufhören wollten“. Kapitän, Trainer und Funktionsteam hätten dem Linienrichter vorher angekündigt, dass die Mannschaft den Platz geschlossen verlasse, wenn die Beleidigungen nicht aufhörten. „Leider kam es im Elfmeterschießen erneut zu massiven rassistischen Äußerungen seitens der Heimfans“, schilderte Schlegel die Ereignisse. Das Ergebnis sei zweitrangig. „Das Signal war uns wichtiger“, stellt Schlegel klar.
Immerhin: Im Anschluss an das Spiel dokumentierte auch der Schiedsrichter die rassistischen Vorfälle im offiziellen Spielberichtsbogen. Nur der SV Fortuna Niederwürschnitz, dessen Anhänger*innen die menschenverachtenden Schmähgesänge zu verantworten haben, relativiert den Vorfall. Mario Kinder, Fußball-Chef des SV Niederwürschnitz, will allerdings nichts von den Beleidigungen mitbekommen haben, weil er zu weit entfernt gestanden habe. „Aber für die Zuschauer können wir leider nichts, das ist schwer zu verhindern“, sagte er. Schwer zu verhindern – vielleicht. Aber doch klar zu verurteilen. Und auch Konsequenzen neben klarer Worte liegen eigentlich auf der Hand: Sozialarbeit, Stadionverbote, regelmäßige Kampagnen. Wiederholungstaten sind nämlich sehr wohl zu verhindern, aber nur mit Problembewusstsein. Und das gibt es bei Niederwürschnitz scheinbar nicht. Besonders bitter: Noch immer steht nicht fest, ob die Mannschaft des SV Auerhammer für ihr mutiges Handeln belohnt oder bestraft wird – leider möglich, dass das örtliche Sportgericht die Partie für Niederwürschnitz wertet. Hätte der Schiedsrichter korrekt nach dem Drei-Stufen-Plan gehandelt, bestünde diese Gefahr nicht.
Fassen wir zusammen: Auch im Fußball kommt es immer wieder zu rassistischer Gewalt. Der DFB hat für die konkrete Situation eigentlich einen richtigen Plan, wendet diesen aber nicht konsequent an. Die Mehrheit der Fußballfans ist zu Zivilcourage bereit. Das zeigt, wie wichtig einerseits Fansozialarbeit, andererseits aber auch ein Verband, der demokratischen Fans bedingungslos den Rücken stärkt und sich niemals wegduckt ist. Kurzum: Es bleibt verdammt viel zu tun.
