Ein Transfer für mehr als eine Millionen Euro? Bis vor exakt 50 Jahren war das im Fußball noch unvorstellbar. Dann wechselte der Italiener Giuseppe Savoldi aus Bologna zum SSC Neapel – für genau diese Summe. Und nur ein Jahr später kam der Millionen-Wahnsinn auch in Deutschland an: Der 1. FC Köln verpflichtete Roger van Gool.
Seitdem sind siebenstellige Ablösesummen im Fußball alltäglich und kletterten beständig. Heute sind selbst dreistellige Millionensummen längst etabliert. Den ersten 100-Millionen-Transfer umgerechnet in deutsche Währung gab es dabei heute vor exakt 24 Jahren – zugegeben noch in DM: Denn für umgerechnet rund 150 Millionen Mark wechselte der damals 29-jährige Zinedine Zidane von Juventus Turin zu Real Madrid. Seine Frau wollte umziehen, berichtete er. Finanziert hatte Real den Transfer übrigens durch die Immobiliengeschäfte, die Real-Präsident Florentino Perez anleierte: Das zentral gelegene alte Trainingszentrum wurde verkauft, Perez entwickelte es mit luxuriöser Wohn- und Geschäftsbebauung, Real zog dafür an den Stadtrand – und machte dabei ein dickes Plus. Das merken wir uns.
100 Millionen Euro – um diese Summe ging es dann erstmals beim Wechsel von Cristiano Ronaldo von Manchester United zu Real Madrid. Doch die Galaktischen wollten diese galaktische Schallmauer damals noch nicht durchbrechen und drückten die fixe Ablösesumme für den Portugiesen nach zähen Verhandlungen auf knapp über 90 Millionen Euro. Erst als Gareth Bale 2013 von den Tottenham Hotspurs in die spanische Hauptstadt wechselte wurden erstmals über 100 Millionen Euro als Fixbetrag bezahlt. Die einhellige Meinung aller Kommentator*innen seinerzeit: Wahnsinn.
Denn die Bundesliga zum Beispiel war von solchen Summen selbst damals noch kilometerweit entfernt. Als der FC Bayern nach dem verlorenen Champions League „Finale doahm“ 2012 im arbeitsstarken 6er Javi Martinez das fehlende Puzzleteil für den Triumph ein Jahr später in London ausmachte, machten die Bayern den Basken nämlich zum Rekordtransfer der Bundesliga – für, aus heutiger Sicht gerade Mal, 40 Millionen Euro.
Bis hierhin hatten sich die Ablösesummen trotzdem noch mehr oder weniger moderat oder zumindest im Verhältnis zu Inflation und Umsatzvolumen im Fußball entwickelt.
Dann aber kamen die Kataris nach Paris: 2017 machten die neuen PSG-Bosse Neymar, damals noch beim FC Barcelona, als Wunschspieler aus. Das Problem: Barca wollte nicht verkaufen und Neymar hatte, wie in Spanien üblich, eine, aus Sicht von Verein, Spieler und Branchenkennern, astronomische Summe als Ausstiegsklausel in seinem Vertrag stehen: 222 Millionen Euro. War PSG egal. Sie zogen die Ausstiegsklausel, auch wenn sie wussten, dass Neymar nicht den entsprechenden sportlichen Gegenwert versprach, weil sie über externes Kapital verfügten und schnell wachsen wollten – sportlich, aber vor allem als Marke. Apropos: Weil es für Markenwachstum auch die vielversprechendsten französischen Spieler brauchte, holte PSG 2017 auch noch Kylian Mbappe für 180 Millionen Euro, obwohl der bis dahin gerade Mal 16 Tore in 41 Spielen erzielt hatte. Mit seinem ablösefreien Wechsel zu Real Madrid letztes Jahr bescherte Mbappe Paris damit übrigens das größte Transferminus in der Fußballgeschichte. Nochmal: Glückwunsch.
Einen ähnlichen Boom erlebten die Ablösesummen auch durch den Einstieg der VAE bei Manchester City oder den saudischen Staatsfond in der saudischen Liga Saudi-Arabiens, eben immer dann, wenn Fußball-fremdes Kapital in den Markt geworfen wurde, um an bestimmten Standorten unnatürlich schnell Entwicklungsprozesse abzuschließen. Im Zweifel auch ohne, dass sich das gegenrechnet. Weil es eben nicht nur um die Entwicklung eines Vereins, sondern um Sportwashing geht. Überall sonst kletterten die Ablösesummen weiter in natürlichen Schritten. Die Bayern zum Beispiel holten ihren ersten 100-Millionen-Euro Profi erst 2013 – Harry Kane.
Doch diese externen Eingriffe in den Fußballmarkt blieben nicht unbemerkt. Die UEFA wollte sie eindämmen und führte deswegen 2014 das sogenannte Financial Fair Play ein. Die Idee war simpel: Es sollte die Integrität des Wettbewerb vor Fußball-fremden Geld geschützt und die finanzielle Stabilität der Klubs zu gesichert werden. Vereine dürfen deswegen nur begrenzte Verluste machen und von ihren Besitzern ausgleichen lassen. Außerdem müssen sie ihre Bilanzen offenlegen. Verstöße können zu Geldstrafen, Transfersperren oder dem Ausschluss von internationalen Wettbewerben führen.
Das Problem, wie so oft bei UEFA-Regeln, es funktioniert nicht richtig. Beispiel Manchester City: Dem Klub wird seit 2014 vorgeworfen, wichtige Sponsoringverträge mit Tochterunternehmen oder Investoren aus Abu Dhabi bewusst überteuert angesetzt zu haben, um damit verdeckte Eigenkapitalzuflüsse in ihre Einnahmen zu mischen – und so ihre Financial Fair Play Bilanz aufzubessern. Der erste Zehnjahresvertrag mit Etihad Airways sah so zum Beispiel Zahlungen bis zu 70 Millionen Euro pro Saison vor. In internen E-Mails aus der Zeit heißt es jedoch, dass in Wahrheit nur etwas mehr als ein Zehntel davon direkt von der Fluggesellschaft stammte – den Rest zahlte laut dem Dokumenteinschätzungen die Abu Dhabi United Group, also die City-Eigentümer selbst. Auch der Spiegel berichtete, dass Sponsorenzahlungen wie ein „geschlossener Kreislauf“ organisiert wurden: Gelder flossen von Abu‑Dhabi‑Firmen zu Manchester City und wurden dann in Berichtszahlen als Einnahmen verbucht – trotz enger Verflechtung mit den Besitzern. Eine offensichtliche Regelumgehung. Besonders krass: Manchmal gab City an, Sponsorenverträge sogar im Saisonverlauf nachverhandelt zu haben – immer dann, wenn zum Beispiel ungeplante Neuverpflichtungen und Gehaltsanpassungen notwendig wurden. Offensichtlicher ging es eigentlich nicht. Trotzdem sanktionierte die UEFA Manchester City nicht. Tja.
Ein funktionierender Wettbewerb ist aber nur dann möglich, wenn alle Regeln auch für alle gelten. Und sportliche Integrität gibt es nur in einem geschlossenen System.
Bei der Aufmerksamkeit, die der Fußball international erfährt, ist es natürlich gerechtfertigt, dass Ablösesummen und Spielergehälter steigen – auch über die (bereinigte) Inflation hinaus. Immerhin wächst der Fußballmarkt besonders stark. Aber Fußball-fremde Investoren an einzelnen Standorten bringen das System ins Ungleichgewicht. Zwar hat der Einstieg der Saudi-Liga nicht zu explodierenden Transfersummen auf der ganzen Welt geführt, aber natürlich die Inflation befeuert. Und den Wettbewerb verzerrt, weil die – meistens – europäischen Klubs, die ihre Spieler nach Saudi-Arabien verkauften, völlig überhöhte Ablösesummen verdient haben, die eben keinen sportlichen Gegenwert hatten.
Deswegen muss das Financial Fair Play verbindlich umgesetzt werden – und zwar weltweit. Weil Fußball-fremdes Geld eben auch von anderen Kontinenten kommen kann.
Und damit das Wachstum darüber hinaus wieder natürlich erfolgen kann, wäre eine vorrübergehende Gehalts- und smarte Ablösenobergrenze sicher sinnvoll.
Und das sollte am besten von unabhängigen externen Stellen kontrolliert werden, weil FIFA und UEFA nun einmal immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Vereinen und Investoren stehen werden. Das schadet ihrer Integrität als Regelhüter zumindest dann, wenn es ums Geld geht.
All das wäre wichtig für den Fußball. Denn der Fußball hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Der aber kann er nicht gerecht werden, wenn er immer mehr für Sportwashing missbraucht wird. Ein eindeutiges Financial Fair Play schließt das zwar nicht vollkommen aus, erschwert es aber massiv.
Denn niemand bestreitet, dass Zinedine Zidane sein Geld wert war. Wäre doch gut, wenn man den Jahrestag seines Rekordtransfers nutzen würde, damit man das in Zukunft wieder über jeden Spieler sagen beziehungsweise immerhin an rein sportlichen Kriterien festmachen kann.