Tausende Fußballfans, Ultras verschiedener Vereine bildeten heute einen Demozug, der über einen halben Kilometer lang war und quer durch Leipzig zog. Unter dem Motto „Fußball ist sicher“ trafen sich die Ultras bewusst in der Stadt, in der die deutsche Fußballnationalmannschaft am Dienstag ihr nächstes Länderspiel gegen die Slowakei bestreitet. Den Demonstrant*innen ging es um Protest gegen die anstehende Bundesinnenminister*innenkonferenz, die unter anderem über härtere Sicherheitsauflagen bei Fußballspielen entscheiden will.

Und darum geht es konkret: Zukünftig soll es sogar schon bei Verdachtsfällen die Möglichkeit geben, ein Stadionverbot auszusprechen. Aus Sicht der Fans das Ende der Unschuldsvermutung. Außerdem sollen Stadionverbote zukünftig an einer zentralen Stelle gespeichert und überwacht werden. Zudem wehren sie sich gegen personalisierte Tickets und eine mögliche KI-gestützte Gesichtserkennung. Doch zunächst startete die Kundgebung mit einer Schweigeminute für verstorbene Fans. Dann kritisierte ein Redner vom Lautsprecherwagen die geltenden Pyroverbote, zu denen es Alternativen gebe, über die auch FanLeben.de bereits berichtet hat. Die Fans riefen vereint: „Repressionen machen uns nur noch stärker.“ Auf Transparenten zeigten die Fans Botschaften wie „Gegen euren Überwachungswahn!“ oder „Eure Maßnahmen töten unsere Fankultur!“ Insgesamt sprachen die Organisator*innen übrigens von 20.000 Teilnehmenden, die Polizei hingegen schätzt 8.000. Besonders wütend macht die anwesenden Fans zudem, dass die Innenminister*innenkonferenz keine Fanvertreter*innen an den Anhörungen beteiligt hat.

Dabei wäre gerade das auch eine Frage des Respekts gewesen. Denn wie sehr die Ultras das Thema bewegt, zeigt auch die Teilnehmendenstruktur der heutigen Demonstration: Dabei waren nämlich Aktive aus den verschiedensten organisierten Fanszenen in ganz Deutschland – auch solche, die sonst kaum gemeinsame Ansichten teilen. Unter anderem die Ultras des FC Bayern, von Union Berlin und der SG Dynamo Dresden beteiligten sich. Auch die sonst bitter rivalisierten Anhänger*innen vom Hallenschen FC und dem FC Carl Zeiss Jena demonstrierten gemeinsam. Große Blöcke stellten auch die Fanszenen des VfB Stuttgart, von Hertha BSC Berlin, Hansa Rostock, dem Hamburger SV, dem 1. FC Köln und dem 1. FC Kaiserslautern. „Aus Leipzig geht heute eine unmissverständliche Botschaft an die Innenministerkonferenz und die Verbände heraus: Schluss mit den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, Stopp der Pläne und Start eines offenen und faktenbasierten Dialogs zur Stadionsicherheit mit allen Beteiligten. Wir und alle Fans im gesamten Land erwarten jetzt, das sich die Innenminister nach dem heutigen Tag auf Fans und Vereine zu bewegen“, ist darum Danny Graupner vom Dachverband der Fanhilfen e. V. überzeugt. Trotzdem kam es auch zu beleidigenden Äußerungen gegen anwesende Polizist*innen, die natürlich abzulehnen sind. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hingegen sagte: „Ich kann mich über die Aufmerksamkeit für Themen der Innenministerkonferenz doch nur freuen.“ Eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung klingt anders.

Auch von der DFL kommt dabei übrigens Kritik an den Vorhaben der Innenminister*innen: „Der deutsche Profifußball ist bekannt für eine vielfältige, einzigartige Fankultur und stimmungsvolle Stadien. Das Stadionerlebnis in Deutschland ist zudem sicher. Die offiziellen Statistiken, etwa der Zentralen Informationsstelle Sporteinätze der Polizei, sowie Umfragen unter Besucherinnen und Besuchern der Stadien bestätigen dies ausdrücklich. Zudem arbeiten DFB, DFL, Clubs und alle Netzwerkpartner gemeinsam stetig und intensiv an der weiteren Verbesserung der Stadionsicherheit unter Wahrung der positiven Fankultur“, heißt es in einem Statement. In der Tat zeigen die Statistiken: Die Anzahl der verletzten Stadionbesucher*innen ist rückläufig. Die DFL darum weiter: „Die vielfältige deutsche Fankultur ist im internationalen Vergleich einzigartig. Sie gerät jedoch aktuell von zwei Seiten unter Druck. Zum einen durch die Gewaltbereitschaft krimineller Einzeltäter, zum anderen stehen infolgedessen aus der Politik Androhungen von zum Teil auch kollektiv wirkenden behördlichen Maßnahmen im Raum, die viele Fans und Unbeteiligte betreffen würden. Es wurden beispielsweise die Reduzierung bzw. Streichung von Kartenkontingenten für Gästefans oder die Verpflichtung zur Personalisierung von Tickets gefordert. Thematisiert wurde auch, dass von den Behörden Sicherheitskonzepte der Clubs nicht mehr genehmigt werden, so dass Spiele im Zweifel nicht stattfinden könnten. Aus Sicht des Fußballs sollten derartige einseitige Eingriffe der Behörden unbedingt vermieden werden, weil sie nicht auf die Täter zielen und zur Zielerreichung ungeeignet sind.“

Auch das Thema Präventition spiele in der aktuellen Debatte eine zu geringe Rolle, klagt der Ligaverband: „Ein wichtiges Mittel im Konsens mit der Politik bleibt die Prävention, gepaart mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Netzwerkpartner. Auch die von DFB und DFL zugesagte Erhöhung der Mittel für die sozialpädagogischen Fanprojekte soll dem Ausbau der Präventionsarbeit dienen. Zudem sind die in vielen Bundesländern vorhandenen Stadionallianzen bereits ein wirksames Instrument.“ Allerdings kritisieren Fanbeauftragte, dass es zur Zeit noch kein Schweigerecht in der Sozialen Arbeit gibt, was deren Arbeit erheblich beschwert, worüber FanLeben.de ebenfalls bereits berichtet hat. Übrigens: Auch das von den Innenminister*innen aversierte Mehr an Stadionverboten kommt bei der DFL nicht gut an. Im Statement heißt es dazu: „Im Hinblick auf die Einzeltäterverfolgung fordert der Fußball zudem ausdrücklich, dass ein Stadionverbot sich auf konkrete, nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht stützen muss, die in der Mitteilung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an die lokale Stadionverbotskommission ausführlich dargelegt werden müssen. Stadionverbote ‚mit der Gießkanne‘ kann es nicht geben. Ein Stadionverbot muss sich gegen Personen richten, bei denen die Besorgnis besteht, dass sie Störungen bei Fußballveranstaltungen verursachen werden. Entsprechend bedarf es beschleunigter Verfahren mit angemessenen Fristen.“

Die Fan-Kritik addressiert dabei eindeutig wichtige Themen: Eine Einschränkung der Unschuldsvermutung etwa ist eine extrem weitreichende Maßnahme, die kaum im Einklang mit dem Grundgedanken unseres Rechtsstaats begründbar sein dürfte. KI-Gesichtserkennungen lösen darüber hinaus immense Datenschutz-rechtliche Bedenken aus – keinesfalls dürfen populistische Entscheidungen gegen vermeintliche Randerlierer*innen beim Fußball als Blaupause dafür genutzt werden, gesamtgesellschaftliche Freiheitsrechte insgesamt einzuschränken. Dagegen ist Protest bitter nötig. Besonders beeindruckend am Fan-Protest ist aber auch, dass die Fans nicht nur Verschlechterungen abwehren wollen, sondern sogar mehr Rechte für sich fordern, etwa im Umgang mit Pyrotechnik. So zeigen sie eine klare, progressive Alternative zu den Ideen der Innenminister*innenkonferenz auf.

All das zeigt: Die Fans haben ein berechtigtes Anliegen und eigene, konkrete Ideen, wie für (noch) mehr Sicherheit in den Stadien gesorgt werden kann. Mindestens kann deswegen festgehalten werden, dass es vollkommen unverständlich ist, dass die Innenminister*innenkonferenz nicht zumindest einmal Fanvertreter*innen in ihre Entscheidungsfindung einbezogen hat. Das – soviel steht fest – sorgt für eine Entfremdung zwischen Fans und Politik. Und die ist auch demokratietheoretisch destruktiv. Mindest einmal in diesem Punkt würde man sich von Innenminsiter*innen mehr Weitsicht wünschen.

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Von admin