In Dortmund, rund um die Jahrtausendwende, entstandein Projekt, das heute fast vergessen ist: Goool.de, der Versuch von Borussia Dortmund, eine eigene Sportartikelmarke aufzubauen. Nicht als Fan-Spielerei, sondern als wirtschaftlich ernst gemeintes Tochterunternehmen des Vereins – mit dem Ziel, sich ein zusätzliches Standbein im wachsenden Markt der Sportbekleidung zu sichern. Die Geschichte steht sinnbildlich für eine Zeit, in der viele Fußballklubs glaubten, vom Boom der „New Economy“ profitieren zu können.
Der BVB befand sich damals in einer Phase struktureller Expansion. Der Champions-League-Sieg 1997, das ausverkaufte Westfalenstadion und die zunehmende Kommerzialisierung des Profifußballs hatten den Verein dazu verleitet, über traditionelle Vereinsgrenzen hinauszudenken. Mit dem Börsengang im Jahr 2000 verstärkte sich dieser Anspruch: Dortmund wollte mehr sein als ein Sportverein, eher ein moderner Sportkonzern. In dieser Atmosphäre entstand die Idee, mit Goool.de eine eigene Ausrüstermarke aufzubauen. Die Überlegung dahinter: Wenn große Sportartikelhersteller mit Trikot- und Merchandisingverkäufen erhebliche Umsätze erzielen, warum sollte ein Verein wie der BVB dieses Geschäftsfeld nicht selbst besetzen? Hinzu kommt: Als Sportkonzern wollte der BVB wirtschaftlich möglichst unabhängig von der sportlicher Leistung seiner Lizenzspielermannschaft werden. Geld sollte verdient werden – egal, wie viele Tore Rosicky, Koller und Ewerthon gerade schießen.
Goool.de wurde daraufhin tatsächlich als selbstständige Tochtergesellschaft gegründet, mit eigenen Designs, eigener Corporate Identity und einem professionellen Online-Shop. Zwischen 2000 und 2004 trat die Marke sogar als offizieller Ausrüster der BVB-Profimannschaft auf. Das Projekt war damit weit mehr als ein Marketingexperiment – es sollte die Grundlage für ein dauerhaftes wirtschaftliches Standbein bilden, möglicherweise sogar mit Perspektive außerhalb des Vereinsmarkts.
Und zeitweilig gelang es sogar, auch andere Fußballvereine mit Sportbekleidung von Goool.de auszustatten. Dies waren jedoch unterklassige Vereine, beispielsweise den SCB Viktoria Köln, dem ehemaligen SCB Preußen Köln, aus der Oberliga Nordrhein in 2002 oder Kickers Offenbach aus der Regionalliga Süd beziehungsweise 2. Bundesliga vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2008 sowie der SG Dynamo Dresden aus der Regionalliga Nord und der 2. Bundesliga vom 1. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2005. Für kurze Zeit war goool.de auch im Eishockeysport und im Curling vertreten. Die deutsche Eishockeynationalmannschaft trug von Oktober 2003 bis Mai 2005 außerhalb des Spielfeldes Kleidung von goool.de; der EHC Dortmund in den Jahren 2006/2007. Der Deutsche Curling-Verband wurde vom 1. April 2004 bis zum 30. Juli 2005 von goool.de ausgestattet.
Doch bald zeigte sich, dass das Projekt trotz allem im hochkompetitiven Sportartikelmarkt kaum Fuß fassen konnte. Goool.de war zwar sichtbar präsent, doch Markenbekanntheit und Vertriebsnetz blieben begrenzt. Auch wenn die Produkte technisch funktional waren und keine dokumentierten Qualitätsprobleme vorlagen, gelang es der Marke nicht, sich gegen etablierte Hersteller zu behaupten. Der Plan, nennenswerte Marktanteile zu erobern, erwies sich angesichts der Konkurrenzstrukturen als unrealistisch. Goool.de blieb ein Nischenanbieter – stark an den BVB gebunden und außerhalb Dortmunds nur punktuell wahrnehmbar. Wer hätte es ahnen können?
Der Anspruch, Adidas und Nike international Konkurrenz zu machen, passt auf jeden Fall zum Bild, das der BVB zu dieser Zeit abgab: Größenwahnsinn im Ruhrgebiet. Die Konsequenz: Parallel dazu verschärften sich die wirtschaftlichen Probleme des BVB. Mitte der 2000er Jahre geriet der Verein infolge hoher Personalkosten, Fehlinvestitionen und insgesamt ungesunder Finanzstrukturen in eine schwere Krise, die ihn 2005 an den Rand der Insolvenz brachte. Die verantwortlichen Geschäftsführer Dr. Gerd Niebaum und Michael Meier, die auch Gool.de verantworteten, mussten daraufhin zurücktreten. Ihre Nachfolger, vor allem Hans-Joachim Watzke, überprüfte alle Tochtergesellschaften und Geschäftsfelder. Goool.de war nicht der Auslöser der Krise, befand sich aber unter den Aktivitäten, deren wirtschaftlicher Nutzen den Erwartungen nicht entsprach. Der Vertrieb wurde zurückgefahren, und 2008 wurde der operative Betrieb eingestellt. Die Gesellschaft wurde umfirmiert und in die BVB-Strukturen integriert – ein stilles Ende für eine ambitionierte Markenidee.
Heute erinnern sich nur wenige an Goool.de. Und gerade darin liegt ein Hinweis auf die Rolle dieses Projekts: Es war ein Produkt seiner Zeit, Ausdruck eines enormen Expansionswillens und wirtschaftlichen Optimismus. Es zeigt, wie stark Fußballvereine damals daran glaubten, ihre Marken in neue Märkte tragen zu können – und wie schwierig es ist, wenn sportliche Expertise plötzlich in unternehmerische Felder übersetzt wird, die jahrzehntelanges Know-how erfordern. Goool.de steht somit weniger für ein spektakuläres Scheitern als für die Einsicht, dass nicht jede Vision, so verständlich sie aus der Perspektive der Wachstumserwartung erscheint, auch dauerhaft tragfähig ist.
Doch die Idee, ein eigenes Sportunternehmen zu gründen, kehrte Jahre später in den Fußball zurück: Im November 2020 kündigte nämlich der FC St. Pauli an, dass ab der kommenden Saison die Profis des FC St. Pauli in Trikots aus eigener Produktion auflaufen werden und damit einen weiteren wichtigen Schritt zu mehr Nachhaltigkeit im Profisport gehen würden. Der Kiezverein erklärte: „Seit 2018 arbeitet der FC St. Pauli an dem Projekt, suchte alternativ aber auch nach einem Ausrüster, der Performance-Kleidung nachhaltig und transparent herstellt und fair handelt. Weil kein externer Anbieter den Kriterien des FC St. Pauli vollumfänglich gerecht werden konnte, wird der Verein die Produktion in Zukunft selbst übernehmen.“ Unter dem Motto „Alles muss man selber machen!“ formulierte der FC St. Pauli also den Anspruch, mit der Marke „DIIY“ (Do it! improve yourselfe!) die nachhaltigste Teamsportkollektion der Welt zu produzieren. Der Verein wollte damit auch dem ausdrücklichen Wunsch seiner Mitglieder entsprechen, das Thema Nachhaltigkeit weiter konsequent zu verfolgen.
Doch auch „DIIY“ verschwand schon nach drei Jahren wieder von den Trikots des FCSP: 2023 wurde mit Puma nämlich wieder eine etablierte Weltmarke neuer Ausrüster bei St. Pauli. Dennoch bezeichnet Präsident Oke Göttlich die drei Jahre mit der Eigenmarke als „eine Erfolgsgeschichte“. Der neue Vertrag mit Puma bedeute im Übrigen nicht, dass die Handelsmarke „DIIY“ gelöscht wird. Stattdessen lizenziert Puma die Marke über die gemeinsame Vertragslaufzeit. Geplant war, dass punktuell gemeinsame Produkte wie etwa Sondertrikots auf den Markt gebracht werden. „Unsere nachhaltigen Ziele wären ohne einen großen Partner gar nicht oder nur mit einem sehr hohen unternehmerischen Aufwand realisierbar gewesen“, sagt der Präsident und ist der Überzeugung: Erst die Gründung der eigenen Marke habe seinen Verein wieder für einen großen Partner wirklich interessant gemacht. Puma wiederum verpflichtete sich zu einer möglichst nachhaltigen Produktion der St. Pauli-Trikots.
Trotzdem: Auch diese Eigenmarke verschwand bald de Facto wieder und die immensen selbstauferlegten Ansprüche an Nachhaltigkeit bei Umwelt- und Arbeitnehmer*innenschutz mussten etwas zurückgefahren werden. Die bittere Realität bestätigte sich wie bei Goool.de: Gegen die Machtmarkt großer Sportartikelhersteller kommt selbst ein erfolgreicher Fußballverein, auch mit großen Werten, einfach nicht an. Schade eigentlich.
