Manchmal schreibt der Fußball rund um einzelne Spiele ganz besondere Geschichten – absurd oder bewegend. Auf FanLeben.de rekonstruieren wir diese Geschichten und halten so die Erinnerung am Leben. Nachdem wir bislang über das Spiel Barbados und Grenada 1994, bei dem beide Mannschaft unbedingt ein Eigentor erzielen wolltendie Rückkehr von Erzgebirge Aue auf die internationale Bühneüber die tragische Geschichte der torreichste Begegnung aller Zeitenüber einen Schiedsrichter und seine Zahnprotheseüber die WM 1954 berichtet habenein kurioses Qualifikationsspiel zwischen Madagaskar und Mauritius, ein Spie mit mehr als einem Ball berichtet haben, ein ziemlich überraschendes Tor und einen Spielabbruch, von dem vor allem Rot-Sünder profitierten, berichtet haben, geht es heute darum, die Strafkarten erfunden wurden. Los gehts!

Das WM-Gruppenspiel zwischen Chile und Italien im Jahr 1962 ging als „Battle of Santiago“ in die Fußballgeschichte ein – nicht wegen sportlicher Brillanz, sondern wegen seiner Eskalation. Bereits vor dem Anpfiff war die Stimmung vergiftet. Abfällige Berichte italienischer Journalist*innen über das Gastgeberland Chile hatten die Atmosphäre aufgeheizt, die Reaktion kam von den Rängen des Estadio Nacional: Pfeifkonzerte, Schmähungen und offene Feindseligkeit begleiteten die Mannschaften von Beginn an.

Auf dem Platz entwickelte sich die Partie rasch zu einem Kampf jenseits sportlicher Grenzen. Der englische Schiedsrichter Ken Aston ließ lange laufen, konnte die Partie jedoch nicht mehr kontrollieren. Das Spiel schaukelte sich in der Folge immer weiter hoch: brutale Fouls auf beiden Seiten, zwei Platzverweise gegen Italien und schließlich sogar ein Polizeieinsatz auf dem Spielfeld, um Spieler zu schützen. Dass Chile am Ende mit 2:0 gewann, geriet angesichts der Gewalt schon fast zur Nebensache – zumindest in der historischen Bewertung der Partie. Internationale Medien sprachen jedenfalls von einer „Schande“ und verglichen das Geschehen mit einem Krieg.

Aber gerade diese Eskalation machte ein grundlegendes Problem sichtbar: Schiedsrichter*innen verfügten damals über keine klaren, international verständlichen Mittel, um Strafen eindeutig zu kommunizieren. Verwarnungen wurden mündlich ausgesprochen, Platzverweise ohne visuelle Signale vollzogen, gelbe und rote und erst recht gelb-rote Karten gab es also noch nicht – das war ein Nährboden für Missverständnisse, insbesondere bei Sprachbarrieren und aufgeheizter Stimmung. Schiedsrichter Ken Aston war von diesen Ereignissen tief geprägt. Er wollte darum Konsequenzen aus dem Schlacht-Spiel. Und die sollte er auch bekommen. Jahre später beschrieb er, wie ihn dabei eine alltägliche Beobachtung inspirierte: die Logik von Ampelfarben. Gelb steht für Vorsicht, Rot für Stopp.

Aston war nämlich nicht nur ein WM-Schiedsrichter, sondern auch FIFA-Funktionör: Mitglied der FIFA-Schiedsrichterkommission, später sogar verantwortlich für Schiedsrichterausbildung bei der WM 1966. Dadurch war er natürlich auch gut vernetzt und konnte sein Kartenkonzept innerhalb der FIFA rasch bekannt machen. Schon kurz nach der WM experimenten erste Nationalverbände darum mit visuellen Anzeigen für Verwarnungen und Feldverweise. Von einigen Verbandsbossen gab es trotzdem erstmal Widerspruch, sie warnten vor Überregulierung. Doch die Schiedsrichter*innen, die sich an den Versuchen beteiligten, waren begeistert. Und so setzte sich die Idee durch.

Damit entstand dann eines der wichtigsten Werkzeuge des modernen Fußballs: das System der gelben und roten Karten. 1966 wurde es vorgestellt, ab der Weltmeisterschaft 1970 verbindlich eingeführt. Entscheidungen waren nun sofort sichtbar, weltweit verständlich und unabhängig von Sprache. Die Folgen waren nachhaltig: bessere Spielkontrolle, stärkere Autorität der Schiedsrichter, klarere Disziplinarmaßnahmen und weniger Eskalation in kritischen Situationen.

Nochmal vier Jahre später, also zur Weltmeisterschaft 1974, wurde dann auch die gelb-rote Karte eingeführt, also der Platzverweis nach der zweiten gelben Karte. Hintergrund war die zunehmende Zahl taktischer und wiederholter Fouls. Zwischen 1970 und 1974 konnten Spieler*innen nämlich im selben mehrere gelbe Karten sammeln. Die Unfairness nahm also nicht ab. Die Aston-Idee des Ampel-Systems wurde deswegen weiterentwickelt, wer mehrfach über gelb fährt, fährt wohl eher über rot. Und heute heißt die zweite Ampelkarte darum ja auch umgangsprachlich „Ampelkarte“.

Bis heute gilt die „Battle of Santiago“ als eines der gewalttätigsten WM-Spiele aller Zeiten – und zugleich als symbolischer Wendepunkt. Chile gegen Italien 1962 war kein Fußballfest, sondern eine Warnung. Doch aus diesem Tiefpunkt zog der Sport seine Lehren. Aus Chaos entstand Ordnung, aus Ohnmacht ein System. Ken Aston hat den Fußball verändert. Seine Idee sieht jeder Fan bei jedem Spiel – auch wenn nur wenige sie auch mit seinem Namen verbinden.

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Von admin