Auf diesen Tag hatten die Fans und Anhänger*innen des 1. FC Köln lange hingefiebert: Nach einem wochenlangen Wahlkampf wurde auf der Mitgliederversammlung heute endlich ein neuer Vorstand gewählt. Endlich, weil damit ein kraftintensiver Wahlkampf zu Ende geht. Endlich aber auch, weil das Tischtuch zwischen dem scheidenden Vorstand um Werner Wolf und dem Verein schon lange zerschnitten gewesen war.
Das wurde spätestens bei der Mitgliederversammlung im letzten Jahr deutlich, als die Mitglieder des Effzeh Wolf und seine Vorstandskollegen Carsten Wettich und Eckhard Sauren bei der Mitgliederversammlung im letzten Jahr nicht entlastet hatten. Immerhin: Die Entlastung heute gelang. Doch Risse wurden erneut deutlich. Die Nicht-Entlastung durch die Mitglieder auf der Versammlung im vergangenen Jahr habe zu „Enttäuschung und Befindlichkeiten“ beim alten Vorstand geführt, die Kritik an der Nicht-Entlastung sei dagegen „vermessen“, sagte Fabian Schwab, Vorsitzender des Mitgliederrats beim 1. FC Köln, dem höchsten Kontrollgremium des Vereinsvorstandes. Die Zusammenarbeit mit dem Vorstand sei „schwierig, schleppend und wenig konstruktiv“ gewesen, Berichtstermine an den Mitgliederrat seien beispielsweise einseitig verschoben worden. Schwab kritisierte auch die Vertragsverlängerung im Herbst vergangenen Jahres mit dem im folgenden Mai entlassenen Sport-Geschäftsführer Christian Keller: „Das muss rückwirkend kritisch betrachtet werden.“ Grundsätzlich sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Mitgliederrat und Vorstand „nicht möglich gewesen“.
Doch auch Schwab musste Kritik einstecken. Der Mitgliederrat kündigte nämlich an, auch in Zukunft keine hybriden Mitgliederversammlungen zulassen zu wollen, wie heute, als übrigens rund 5.500 FC-Mitglieder ins Müggersheimer Stadion kamen, sollen weiterhin nur vor Ort anwesenden Mitglider unter anderem bei Vorstandswahlen abstimmen dürfen.
So richtig getroffen scheint der Mitgliederrat den Nerv der Versammlung aber auch sonst nicht zu haben. Denn bei der Vorstandswahl setzte sich anschließend, aber nach studenlanger Debatte, ausgerechnet das Team durch, dem mit Eckhardt Sauren auch ein Mitglied des alten Vorstandes angehört: Mit 64,97 Prozent (3685 Stimmen) hatte das Trio um Jörn Stobbe, Jörg Alvermann und eben Sauren die Wahl zum neuen Vorstand des 1. FC Köln gewonnen. Die konkurrierenden Teams von Wilke Stroman (25,18 Prozent, 1428 Stimmen) und Sven-Georg Adenauer (9,86 Prozent, 559 Stimmen) unterlagen klar. Weil Stobbes Team im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, war keine Stichwahl nötig.
Adenauer, in der Tat der Kanzlererbe, galt dabei als unternehmensfreundlichster und etabliertester Kandidat. Unternehmer Wilke Stroman wiederum hatte die Unterstützung von Lukas Podolski, außerdem kandidierte an seiner Seite Tugba Tekkal, ehemalige Spielerin des 1. FC Köln, Sozialunternehmerin und erste Frau, die sich um einen Platz im Präsidium des Vereins jemals beworben hatte. Sie haben darum vor allem auch auf gesellschaftliche Verantwortung und Strahlkraft gesetzt.
Das Team Stobbe wiederum war das am weitesten links stehende Team. Wie auch das Team von Stromann wollen sie die bisherige Rechtsform des Profifußballs, eine GmbH & Co KG a. A., rückabwickeln. Während Stromann allerdings eine klassische GmbH präfiert, will Stobbe für die gar keine Kapitalgesellschaft mehr, sondern Profifußball mit dem eingetragenen Verein spielen: „Wir werden auch prüfen, ob und wie ein Weg zurück in den Verein möglich ist. Wer glaubt, die Probleme könnten durch eine Umwandlung in eine GmbH einfach gelöst werden, springt zu kurz: Unser wichtigster Vermögenswert, die Markenrechte des FC, befinden sich in der Kapitalgesellschaft und gehen im Insolvenzfall verloren.“ Seine wirtschaftsrechtliche Expertise, Jörn Stobbe hat ein Start-up gegründet, welches sich mit bezahlbaren Wohnraum in der Rhein-Meteropole beschäftigt, will der neue Vorstand darum vor allem nutzen, um die Markenrechte am Effzeh möglichst schnell zurück in den Verein zu holen.
Außerdem will der neue Vorstand mehr Stehplätze im Stadion: „Um zeitnah für mehr Fans und Mitglieder den Besuch des Stadions zu erleichtern, möchten wir mit der Stadt die Möglichkeit – samt Vor- und Nachteilen – beleuchten, die südkurvennahen Sitzplätze im Unterrang in Stehplätze umzuwandeln. Ersten Schätzungen zufolge könnte diese Maßnahme pro Spiel rund 2.000 weiteren Mitgliedern einen Stadionbesuch ermöglichen und somit die Stimmung noch weiter steigern.“ Apropos Stadt: Natürlich ist auch die Zukunft des Geißbockheims, über die FanLeben.de hier bereits berichtet hat, Thema von Stobbe und Co: „Ein modernes Trainingszentrum und ein zukunftsfähiges Stadion sind die Grundvoraussetzungen für unsere Jugendarbeit und den sportlichen Erfolg“, heißt es in der Bewerbung. Und weiter: „Sobald Planungsgewissheit hergestellt ist, nutzen wir unsere umfangreiche Immobilienerfahrung, um Termin-, Kosten- und Qualitätssicherheit herzustellen. Der FC kann und darf sich kein teures Immobilien-Abenteuer leisten.“
Und auch sportpolitisch positioniert sich der neue Vorstand klar: „Die 50+1-Regel ist ein wichtiger Bestandteil unserer Fußballkultur – und sie ist in Gefahr. Wir werden uns mit voller Kraft für sie einsetzen. Denn die DFL steht vor wegweisenden Entscheidungen. Das Bundeskartellamt hat 50+1 bestätigt, aber die derzeit praktizierten Ausnahmen beanstandet. Die Liga muss also entscheiden: Die Ausnahmen abschaffen oder 50+1 rechtlich aufgeben. Hier gilt es für die Clubs, Farbe zu bekennen. Der FC kann hierbei eine Führungsrolle übernehmen: Denn die vom Bundeskartellamt geforderte Mitgliederpartizipation wird bei uns besonders gelebt. Wir können uns an die Spitze der Clubs setzen, die es mit der Vereinsdemokratie ernst meinen. Das Team FC hat hierfür die fachliche Expertise: Wir sind leidenschaftliche Kämpfer für 50+1. Wir werden uns im Ligaverband für unsere Werte stark machen.“
Auch einem möglichen Investoren-Einstieg erteilen Stobbe und seine Mitglieder eine deutliche Absage: „Wir versprechen: Mit dem Team FC wird es keine Investoren beim FC geben. Unser klares Bekenntnis gegen Investoren und jedwede Form von Anteilsverkäufen beim FC entspricht unserer Überzeugung. Investoren mögen an anderen Standorten willkommen sein, sie passen aber nicht zu unserem Verein.“ Hier sind sich jedoch alle drei Teams einig gewesen. Stobbe, Alvermann und Suren kündigen jedoch eine Internationalsierungsstrategie an: „Der Verzicht auf Investoren ist kein Wettbewerbsnachteil, sondern Markenkern und Türöffner. Denn der FC ist mitgliedergeführt. Unser FC gehört uns. Auch das ist ein Wert, eine Marke, eine DNA. Dies wollen wir für unsere Fans und Mitglieder, Sponsoren und Medienpartner global und gewinnbringend nutzen.“ Und: Unter ihnen könnten sich die Kölner St. Pauli und Schalke 04 zum Vorbild nehmen und zum Beispiel eine Infrastruktur-Genossenschaft gründen. In ihrer Bewerbung schreiben die drei – inzwischen – Gewählten: „Fremdkapital kommt nur dort in Betracht, wo sichere Gegenwerte entstehen, insbesondere bei Investitionen in Immobilien. Dann würden wir auch breiter aufgestellte Finanzierungsformen, zum Beispiel durch Genossenschaften, prüfen, die zu unserem Verein passen.“
Zur Ultra-Kultur bezieht der neue Vorstand wiederum eine differenzierte, aber doch fanfreundliche Position: „Die Fanszene unseres FC ist riesig. Sie ist bunt, heterogen und ein wichtiger Teil der FC-Familie.“ Straftaten seien indiskutabel, insbesondere wenn sie die Sicherheit Dritter bedrohen. Aber: „Unser Team setzt sich zugleich für eine Reform des Sanktionssystems von DFL und DFB ein. Es muss eine neue, faktenbasierte Diskussion im Verein und mit den Verbänden geben. Populistische Aussagen und Halbwahrheiten helfen nicht weiter.“
Womit wir beim letzten thematischen Schwerpunkt von Stobbe und seiner Team sind: Dem gesellschatlichen Engagement. „Die großartige Arbeit der FC-Stiftung wollen wir fördern und ausbauen. Unser Ziel ist es, hierbei auch das soziale Engagement unseres Vereins selbst und seiner Mitglieder noch deutlich zu steigern und sichtbarer zu machen. Es muss unser Selbstverständnis sein, uns über den Fußballplatz hinaus in unserer Gesellschaft zu engagieren. Auch das ist es, was einen mitgliedergeführten Verein ausmacht“, schreiben sie. Insbesondere die Stadtteil-Arbeit soll dabei in den Fokus rücken. Explizit benannt wird jedoch auch der Kampf gegen Antisemitismus – gerade ein ziemlich wichtiges Signal.
All das erinnert an den „Berliner Weg“ von Kay Bernstein, der 2022 zum neuen Präsidenten von Hertha BSC gewählt wurde. Auch Bernstein förderte die Identifikation, verankerte den Verein stärker in den Bezirken, prägte den Satz: „In Berlin nur Hertha, Hertha nur in Berlin“. Er scheute politische Diskussionen nicht, beispielsweise um die Frage von Investoren im Fußball, auch, weil Hertha unter seiner Führung einen Investoren-Wechsel, weg vom größenwahnsinnigen Lars Windhorst, vornahm. Und auch er rückte die eigene Infrastruktur in den Fokus: Die gute Nachwuchsarbeit sollte zum Fundament der ersten Mannschaft, das Zukaufen teurer Neuzugänge eingestellt werden. Der Berliner Weg ist seitdem durchaus erfolgreich: Hertha wirtschaftet heute besser, hat junge Spieler in die erste Mannschaft integriert, den Zuschauerschnitt verbessert. Und das obwohl die Voraussetzungen, unter denen Bernstein und nach dessem viel zu frühen Tod seine Nachfolger arbeiten, brutal schwierig sind.
Und es erinnert an den neuen HSV-Präsidenten Henrik Könecke. Menschlich will der vor allem Brücken bauen – wer, wie der im diesen Jahr neugewählte Präsident, Vorsänger der Ultras war und heute Chef im Hafen ist, kann sich ja auch auf jeden Fall in verschiedene Perspektiven hineindenken. Der HSV soll zu wichtigen gesellschaftlichen Themen Haltung zeigen, es soll HSV-Stadtteilzentren als Anlaufpunkte in allen Quatieren geben. Und auch politisch soll der HSV sich engagieren: Für mehr Unterstützung für Spitzensportler*innen – passend dazu wurde mit Laura Ludwig eine Beachvolleyball-Olympiasiegerin zu seiner Vizepräsidentin gewählt. Dritter inhaltlicher Schwerpunkt seines Wahlkampfs waren Investitionen in die HSV-Infrastruktur.
Aber die Frage, wie es mit ihren Vereinen weitergehen soll, stellen sich Fans ja auch noch an anderen Orten – oder müssen sie sich stellen. Auch bei Borussia Dortmund, wo man über Jahrzehnte eine Fanfreundschaft mit den Hamburgern pflegte und dessen Ultras heute eng mit dem FC Köln befreudet sind, beispielsweise wird im Herbst ein neuer Präsident gewählt. Amtsinhaber Reinhold Lunow wollte dabei gegen Hans-Joachim Watzke antreten, scheiterte aber an den Vereinsstatuten, die eine Kampfkandidatur verbieten – antreten darf, anders als beim Effezh nur, wer vom Wahlausschuss empfohlen wird. Und das war der bisherige Geschäftsführer, nicht der amtierende Präsident. Watzke, auch Aufsichtsratsboss der DFL, steht dabei unter anderem für die verkorkste Investorensuche der DFL und das Rheinmettall-Sponsoring beim BVB. Lunow wiederum sah diesen Deal von Beginn an kritisch, lehnt Werbung für private Rüstungshersteller, nicht aber staatliche Investitionen in Rüstung ab. Auch der Verpflichtung von Felix Nmecha stimmte er erst nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Spieler, der wegen seiner fundamentalistischen Interpretation seines christlichen Glaubens in der Kritik stand, zu. In dem Gespräch hat Lunow unter anderem von Nmecha eingefordert, dass dieser sich nicht nur von queerfeindlichen Aussagen distanziert, sondern die Vielfaltscharta von Borussia Dortmund eindeutig anerkennt. Die aktive Fanszene der Dortmunder kritisierte die Entscheidung des Wahlausschusses entsprechend scharf.
All das zeigt: Anders als in den vergangenen Jahrzehnten gibt es heute einen Wettstreit um den richtigen Weg in den Vereinen. Dass das so möglich ist, verdanken wir der demokratischen Struktur unseres Vereinswesens. Demokratie wird im Fußball so wieder sichtbarer und erlebbarer. Und da, wo sich Menschen zusammenschließen, Bewegungen aufbauen und ihre gesellschaftliche Verantwortung begreifen, treten sportlich wie sozial positive Veränderungen ein.
Im Sport sieht man das bereits. Denn der neue „Berliner Weg“ tat der Hertha wirklich gut. Der HSV scheint unter Könecke zusammengerückt zu sein. Und beim Effezh haben ich heute so viele Menschen an der Mitgliederversammlung beteiligt wie noch nie zuvor.
In einer Zeit, in der die demokratische Organisation der Politik in Deutschland aber auch weltweit von ihren Feinden angegriffen wird, kann dieses Learning nur gut sein.