Die Worte, mit denen Kevin Trapp sich von Eintracht Frankfurt verabscheidete, klangen reflektiert und wertschätzend. „Auf dem Höhepunkt“ wolle er gehen, den Verein werde er immer im Herzen tragen, nach der aktiven Karriere vielleicht zurück kehren und überhaupt mache er sich um die Torwartposition bei der Eintracht keine Sorgen, der Job sei bei Kaua Santos, an den Trapp seinen Stammplatz letzte Saison zwischenzeitlich nach einer Verletzung bereits verloren hatte, in den wortwörtlich besten Händen. Aber: Letzte Saison verletzte sich auch Kaua Santos selbst – ein Kreuzbandriss im April. Danach stand Trapp wieder im Tor. Santos könnte trotzdem zum Saisonstart wieder fit sein. Ein Comeback quasi in Rekordzeit. FanLeben.de nimmt das zum Anlass, zu erklären, was es mit Kreuzbandrissen auf sich hat. Teil eins unser Reihe: Medizincheck.

Kreuzbandrisse sind im Fußball ein gefürchtetes Thema. Wer sie erleidet, muss meist monatelang pausieren, viele fürchten sogar das Ende ihrer Karriere. Auch Eintracht Frankfurts junger Torhüter Kaua Santos erlebte diesen Albtraum. Nach einer schweren Knieverletzung stand der Verdacht im Raum, dass er lange ausfallen würde. Doch nach eingehenden Untersuchungen folgte die überraschende Nachricht: Santos muss nicht operiert werden. Stattdessen wird er konservativ behandelt – und hat dadurch die Chance, schneller zurückzukehren.

Sein Beispiel zeigt, dass Kreuzbandverletzung nicht gleich Kreuzbandverletzung ist und dass die Therapieentscheidungen differenziert getroffen werden müssen. Um zu verstehen, warum Santos ohne Operation auskommt, lohnt ein Blick auf die Anatomie des Knies und die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten.

Vorderes und hinteres Kreuzband – nicht dasselbe

Das Knie wird durch zwei Kreuzbänder stabilisiert, ein vorderes und ein hinteres. Das vordere Kreuzband verhindert, dass das Schienbein nach vorne rutscht, und stabilisiert besonders bei schnellen Richtungswechseln und Drehbewegungen. Ein Riss führt fast immer zu deutlicher Instabilität, weshalb sportlich aktive Patienten in der Regel operiert werden. Das hintere Kreuzband hingegen stabilisiert das Schienbein nach hinten. Verletzungen hier sind seltener und heilen deutlich besser, oft auch ohne Operation.

Genau das war bei Kaua Santos der Fall. Seine Verletzung betraf das hintere Kreuzband und erwies sich nach MRT und klinischer Untersuchung als nicht so schwerwiegend, wie zunächst befürchtet. Gemeinsam mit einem portugiesischen Spezialisten entschied sich der Verein für eine konservative Therapie. Für Santos bedeutet das eine Ausfallzeit von vier bis fünf Monaten. Nach einer Operation wären es bis zu neun gewesen.

Wie die Diagnose gestellt wird

Ob operiert werden muss oder nicht, hängt von einer präzisen Diagnostik ab. Ärzte prüfen zunächst mit speziellen Stabilitätstests, ob das Schienbein ungewöhnlich nach vorne oder hinten verschiebbar ist. Ein MRT klärt, ob das Band vollständig oder nur teilweise gerissen ist und ob weitere Strukturen im Knie betroffen sind. Gerade Meniskus- oder Knorpelschäden haben erheblichen Einfluss auf die Therapieentscheidung. Auch der Unfallmechanismus liefert Hinweise: Während Rotationsbewegungen beim Fußball typisch für vordere Kreuzbandrisse sind, entsteht eine hintere Verletzung oft durch einen kräftigen Stoß gegen das Schienbein, wie beim klassischen „Dashboard“-Trauma im Autounfall.

Konservative Therapie – Training statt Operation

Eine konservative Behandlung bedeutet keineswegs einfach Schonung. Vielmehr geht es darum, durch gezieltes Training Muskulatur und Koordination so aufzubauen, dass sie die Funktion des verletzten Bandes kompensieren. Zunächst gilt es, Schwellung und Schmerzen zu reduzieren und die volle Beweglichkeit zurückzuerlangen. Danach wird der vordere Oberschenkelmuskel gezielt gestärkt, da er das Schienbein stabil nach vorne zieht und so das hintere Kreuzband entlastet. Bestimmte Orthesen helfen in den ersten Wochen, die Stellung des Schienbeins günstig zu halten. Mit der Zeit kommen sportartspezifische Übungen hinzu: Landungen, Richtungswechsel und Stop-and-go-Bewegungen werden schrittweise trainiert, bis das Knie wieder stabil bleibt.

Der Vorteil dieser Behandlung liegt darin, dass Operationsrisiken wie Infektionen oder Narbenbildungen vermieden werden. Außerdem kann die Rückkehr zum Sport deutlich schneller erfolgen. Allerdings bleibt bei manchen Patienten eine Restinstabilität zurück, die langfristig zu weiteren Verletzungen führen kann. Besonders problematisch ist es, wenn das Knie immer wieder wegknickt, denn dann steigt das Risiko für Meniskus- und Knorpelschäden.

Operation – neues Band, lange Reha

Die Operation ist vor allem beim vorderen Kreuzband Standard. Dabei wird das gerissene Band durch eine körpereigene Sehne ersetzt, meist aus der Kniescheibensehne, den Beugesehnen oder dem Quadrizeps. Jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile: Während die Patellasehne sehr stabil ist, kann sie Schmerzen vor der Kniescheibe verursachen, Hamstring-Sehnen schonen diesen Bereich, benötigen aber sorgfältigen Muskelaufbau, und der Quadrizeps-Sehnenersatz gilt als Kompromiss. Manchmal wird die Rekonstruktion durch zusätzliche Eingriffe ergänzt, wenn eine starke Rotationsinstabilität besteht.

Der große Vorteil einer Operation ist die Stabilität, die für Sportarten mit schnellen Richtungswechseln entscheidend ist. Auch das Risiko weiterer Meniskus- oder Knorpelschäden wird gesenkt. Demgegenüber stehen Operationsrisiken und eine lange Reha von sechs bis zwölf Monaten. Für junge, sportlich ambitionierte Spielerinnen und Spieler ist die OP dennoch oft der einzige Weg, dauerhaft auf hohem Niveau aktiv zu bleiben.

Kriterien für die Entscheidung

Ob operiert wird oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab: von der Art des Kreuzbandrisses, dem Schweregrad, dem Alter und Aktivitätsniveau des Patienten sowie von Begleitverletzungen. Während ein vorderer Kreuzbandriss bei einem jungen Leistungssportler fast immer operiert werden muss, kann ein hinterer Kreuzbandriss ohne zusätzliche Schäden oft konservativ behandelt werden. Auch die individuelle Kompensationsfähigkeit spielt eine Rolle: Manche Athleten können Instabilitäten gut ausgleichen, andere knicken schon im Alltag weg.

Der lange Weg zurück

Unabhängig von der Therapie ist eine konsequente Rehabilitation entscheidend. Zeitangaben wie sechs oder neun Monate sind nur grobe Richtwerte. Wichtiger sind überprüfbare Meilensteine: volle Streckung, schmerzfreies Knie, symmetrische Kraftverhältnisse zwischen beiden Beinen und sichere Bewegungsmuster bei Sprüngen und Landungen. Viele Reha-Programme verlangen heute, dass die verletzte Seite mindestens 90 Prozent der Kraft und Funktion der gesunden Seite erreicht, bevor an Wettkampfsport gedacht werden darf. Auch die psychische Komponente spielt mit hinein: Vertrauen ins Knie und die Angst vor einer erneuten Verletzung beeinflussen maßgeblich, ob der Schritt zurück auf den Platz gelingt.

Kreuzbandriss vorbeugen – so geht’s

Am besten ist es natürlich, wenn eine Verletzung gar nicht erst passiert. In den vergangenen Jahren haben Sportmediziner Programme entwickelt, die das Risiko von Kreuzbandrissen deutlich senken können. Das bekannteste ist das FIFA-11+-Programm. Es besteht aus einer Kombination von Lauf-, Kraft- und Balanceübungen sowie Sprung- und Landungstraining. Eingebaut ins Aufwärmen dauert es rund 20 Minuten und ersetzt das klassische Warmlaufen. Studien zeigen, dass Teams, die das Programm zwei- bis dreimal pro Woche durchführen, bis zur Hälfte weniger schwere Knieverletzungen haben.

Wesentlich ist die Schulung der richtigen Landetechnik und der Rumpfstabilität. Schwächen im Hüft- und Rumpfbereich sind einer der wichtigsten Risikofaktoren für Kreuzbandrisse. Wer lernt, Sprünge sauber abzufangen, das Knie nicht nach innen wegknicken zu lassen und die Muskulatur gezielt anzuspannen, senkt das Verletzungsrisiko erheblich. Auch Hobbyfußballer profitieren, wenn sie diese Übungen regelmäßig einbauen. Für Torhüter lohnt es sich zudem, spezifische Drills für Sprung- und Landungssituationen zu ergänzen, da viele Verletzungen genau in diesen Momenten passieren.

Präventionsprogramme sind nicht nur Verletzungsschutz. Sie verbessern gleichzeitig Athletik, Beweglichkeit und Explosivität. Wer stabiler landet, sicherer läuft und schneller reagiert, steigert auch seine Leistung auf dem Platz. Entscheidend ist die Disziplin: Nur wer das Programm dauerhaft in sein Training integriert, baut eine Art Versicherung für sein Knie auf.

Was Hobbyfußballer daraus lernen können

Der Fall von Kaua Santos zeigt, dass Kreuzbandverletzung nicht gleich Kreuzbandverletzung ist. Ein hinteres Kreuzband kann oft ohne Operation heilen, wenn konsequent und fachkundig therapiert wird. Ein vorderes Kreuzband hingegen erfordert in den meisten Fällen eine Operation, wenn man sportlich aktiv bleiben möchte. Für Freizeitfußballer bedeutet das: Die richtige Therapie hängt von individuellen Zielen, der Schwere der Verletzung und der persönlichen Situation ab. Wichtig ist immer eine sorgfältige Diagnostik und eine ehrliche Einschätzung, ob man mit einem konservativ behandelten Knie die gewünschte Belastung dauerhaft aushalten kann.

Für Kaua Santos bedeutet die konservative Behandlung die Chance, schneller wieder auf dem Platz zu stehen und seiner Mannschaft zu helfen. Für Hobbyspielerinnen und -spieler liefert sein Beispiel vor allem eine Botschaft: Auch schwere Diagnosen müssen nicht automatisch das Ende bedeuten. Mit der richtigen Therapie, konsequenter Reha, Geduld und einem guten Präventionsprogramm ist die Rückkehr zum Fußball möglich – und manchmal sogar mit besserer Stabilität und Körperkontrolle als zuvor.

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Von admin