Immer wieder geraten besondere Vereine in tiefe Krisen, stürzen ab und die Fußballwelt fragt sich: Wie konnte es dazu kommen? In Deutschland geht es vielen Traditionsvereinen so. Doch darüber wird an vielen Stellen schon ausführlich diskutiert. Hier auf FanLeben.de schauen wir deswegen ins Ausland und widmen uns in detaillierten Recherchen der bitteren Realität von Vereinen, die wir im internationalen Fußball heute vermissen. Im ersten Teil der Serie ging es um Vitesse Arnheim, im zweiten Teil folgte Bursaspor, im dritten der FC Malaga, im vierten Wacker Innsbruck, im fünften Sheffield Wednesday, im sechsten die Western City Wanderers und im siebten die Bolten Wanderers. Heute – eigentlich überfällig – beschäftigen wir uns mit Manchester United.
Manchester United zählt zu den traditionsreichsten und erfolgreichsten Klubs des Weltfußballs. Seit der Gründung 1878 (damals als Newton Heath) prägten die „Red Devils“ die englische Fußballgeschichte – mit 20 Meistertiteln, 12 FA Cups und drei Triumphen im Europapokal der Landesmeister beziehungsweise in der Champions League. Unter Sir Alex Ferguson erlebte der Verein seine goldene Ära, dominierte über zwei Jahrzehnte den englischen Fußball und feierte 1999 das legendäre Triple aus Liga, Pokal und Champions League.
Aber seit dem Ende eben dieser Ära von Sir Alex Ferguson sucht Manchester United irgendwie nach sich selbst. Sportlich geht es steil bergab, eine richtige Klub-Identität ist nicht mehr zu spüren. Vor knapp zwei Jahren holte die Glazer-Familie, die seit 20 Jahren die Geschicke des Klubs bestimmt, darum mit Sir Jim Ratcliffe, der den Chemierisen Ineos zu einem Weltkonzern gemacht hat, einen neuen Teilhaber mit ins Bott. Ratcliffe, übrigens gröhlender Brexit-Anhänger, der später seinen Geschäftssitz jedoch doch lieber ins Zollgebiet der EU verlegte, sollte den Verein reformieren und umstrukturieren. Zu behäbig und kostenintensiv sei er geworden. Und man kann sagen was man will: Umgekrempelt wird ManUnited gerade. Aber wie…
In den vergangenen Monaten wurden bei Manchester United nämlich mehrere Sparprogramme aufgesetzt, intern „Transformation Plan“ genannt. Medienberichten zufolge sind im Umfeld des Klubs bereits Hunderte Stellen weggefallen – zunächst rund 250, nun sollen in weiteren Wellen bis zu 200 weitere Arbeitsplätze gestrichen werden. Die Zahl der Beschäftigten, die Manchester United verlassen mussten, liegt damit wohl bei rund 450. Offiziell spricht der Klub, ganz Wirtschafts-like und damit passend zu Sir Ratcliff, von einer notwendigen „Modernisierung“ seiner Abläufe.
Doch der Sparkurs zeigt sich nicht nur in Personalabbau. Während auch in diesem Sommer – mal wieder – rund 250 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben wurden, ist die Schließung der Mitarbeiterkantine in Old Trafford natürlich besonders sympolträchtig. Auch das kostenlose warme Mittagessen gehört der Vergangenheit an. Statt Curry, Pasta oder Salatbuffet gibt es künftig nur noch Obst – eine Maßnahme, die dem Verein nach internen Schätzungen rund eine Million Pfund pro Jahr einsparen soll. Auch im Trainingszentrum Carrington wird das Angebot deutlich reduziert: Für Nicht-Spieler gibt es künftig lediglich Suppe und Brot.
Hinzu kommen Kürzungen bei Zuschüssen und Boni. Interne Förderungen und Vergünstigungen – etwa kostenfreier Zugang zu Heimspielen, Reisekosten-Übernahmen bei Auswärtsspiele oder Rabatte bei Klub-Events – wurden teils gestrichen oder gekappt. Selbst Traditionsinitiativen wie die Vereinigung ehemaliger United-Spieler müssen auf Zuwendungen verzichten. Ein anonymer Mitarbeiter kommentierte die Entwicklungen so: „Man kann Kosten senken, ohne die Menschen zu demütigen. Die Art und Weise, wie das hier passiert, hinterlässt viel Bitterkeit.“ Die örtliche Dienstleistungsgewerkschaft spart deswegen nicht an Kritik. Sie schreibt: „Die Kürzungen treffen nicht die Millionäre auf dem Rasen, sondern jene, die das Vereinsleben überhaupt möglich machen.“
Doch noch krasser ist die Situation im United-Nachwuchs. Um hier Kosten zu senken, trägt der Klub viele Spiele nicht mehr auf dem offiziellen Vereinsgelände, sondern auf öffentlichen Sportplätzen aus, wo er selbst nicht für die Infrastruktur zuständig ist. Außerdem gibt es keine eigene Wäscherei mehr, wie beim lokalen Amateuerverein waschen jetzt die Eltern der Spieler und Trainer die Trikots und Trainingsklamotten selbst. Okay, hier könnte man sagen, dass das vielleicht pädagogisch wertvoll ist. Aber es wird ja noch viel absurder: Einem Bericht von „The Athletic“ zu Folge herrschen bei den Red Devils teils chaotische Zustände im Nachwuchsleistungszentrum. Dreckige Toiletten, nicht entleerte Mülleimer und ein katastrophaler Zustand der weiteren, oft ja auch für die pädagosiche Arbeit genutzten Räume sind weitere Begleiterscheinung des drastischen Sparkurses des Klubs. Nochmal: Das ist der englische Rekordmeister von dem wir hier reden, ein Unternehmen im Milliarden-Wert. Bei einem Ligaspiel der U13 gegen Everton musste die Mannschaft sogar den Gast aus Liverpool nach Stutzen fragen, weil das Team nicht genügend eigene Socken zur Verfügung hatte.
Das ist nicht mehr Manchester United. Zugegeben: Das denken viele Manchester-United-Fans schon seit knapp 20 Jahren, als die Glazer-Familie den Verein übernahm. 2008 gründeten darum ja auch einige ManUnited-Anhänger*innen den Fan-owned Club „FC United of Manchester“, der seitdem zwar unterklassig spielt, in dem sie aber ihre Werte, die auf der Geschichte des Orginal-Klubs basieren, weiter verwirklichen können. Nichtsdestoweniger, davon sind viele in und um Manchester überzeugt, hat der Ratcliff-Einstieg den Klub noch weiter entkernt. Der Manchester United Supporters Trust, ein Fanzusammenschluss, kommentierte jüngst und ziemlich treffend in einem Statement: „Wir verstehen die Notwendigkeit, den Klub wirtschaftlich neu aufzustellen. Aber wenn Loyalität und Fürsorge geopfert werden, verliert United etwas, das kein Geld ersetzen kann.“ Und Andy Mitten, der den Klub seit vielen Jahren eng begleitet und viele Maßnahmen für „The Atlantic“ aufdeckte, ergänzt: „Manchester United war immer stolz auf seinen Umgang mit Mitarbeitern. Diese Maßnahmen sind ein Bruch mit der Tradition.“
Mit einer neu-gewonnen Tradition konnte Manchester United damit übrigens trotzdem nicht brechen: Der Saisonstart ist auch in diesem Jahr gehörig in die Hose gegangen. Sieht der Verein sich selbst sich eigentlich in den berüchtigten Top vier der Premier League, findet er sich auf der Tabelle auf Platz zehn wieder – sechs Punkte hinter Tabellenführer Arsenal und sechs Punkte vor den Abstiegsrängen.