Eigentlich unterrichtet er. Wenn Anders Torstensson an der Seitenlinie steht, wirkt er wie jemand, der seine Spieler genauso führt, wie er einst seine Schüler unterrichtete: ruhig, methodisch, analytisch. Dass der hauptberufliche Lehrer Mjällby AIF an die Spitze der Allsvenskan geführt hat, ist eine Geschichte, wie sie sonst nur der Märchenabteilung des Fußballs einfällt. Der Verein aus dem 1.400-Einwohner-Ort an der schwedischen Ostseeküste steht kurz davor, Meister zu werden – und das ohne Großinvestor, ohne Starensemble, dafür mit Struktur, Vernunft und viel Wissenschaft.

Vom Beinahe-Bankrott zum Titelanwärter

Noch 2016 drohte dem Klub der Absturz in die Viertklassigkeit – und wohl die Insolvenz. Heute fehlen Torstenssons Mannschaft nur noch ein Sieg oder ein Ausrutscher des Verfolgers Hammarby IF zum ersten Titel der Vereinsgeschichte. Dass Mjällby diesen Weg genommen hat, ist bemerkenswert: 1939 gegründet, pendelte der Verein jahrzehntelang zwischen den Ligen. Erst 2019 kehrte er dauerhaft in die Allsvenskan zurück – diesmal mit einem klaren Plan.

„Wir haben unsere Kosten unter Kontrolle gebracht, erzielen zwar eines der niedrigsten finanziellen Ergebnisse der Liga, aber haben auch mit die niedrigsten Kosten“, erklärte Klubchef Jacob Lennartsson, einst Jugendleiter während der Krise, im Juli der BBC. Grundlage für den Erfolg sind intelligente Transfers und gründliches Scouting. Aus einem Defizit von rund 400.000 Euro wurde ein Überschuss von 2,6 Millionen Euro, der Umsatz liegt laut Kicker inzwischen bei neun Millionen.

Spielwissenschaft statt Zufall

Der eigentliche Motor hinter der taktischen Revolution sitzt jedoch auf der Bank neben Torstensson: Co-Trainer Karl Marius Aksum. Seit seiner Verpflichtung im Januar 2024 hat sich das Spiel des Teams radikal verändert. Mjällby stellt inzwischen nicht nur die beste Defensive, sondern auch die zweitbeste Offensive der Liga – 47 Tore, nur 17 Gegentore in 26 Spielen. Aksum ist dabei der „Kopf hinter Mjällbys offensivem Spielstil“ und Hauptgrund für die vielen Tore. Offensivspieler Elliot Stroud bestätigt das im Gespräch mit der BBC: „Früher dachte man bei Mjällby an lange Bälle und Einwürfe. Defensiv waren wir immer stark, aber letzte Saison kam ein neuer Co-Trainer mit großartigen offensiven Ideen.“

Der Norweger, der selbst nie Profi war, promovierte über „Visuelle Wahrnehmung im Elite-Fußball“ und hat sich wissenschaftlich auf das Verhalten der Augen von Spielern spezialisiert. „Niemand hat sich so intensiv mit den Augenbewegungen von Fußballern beschäftigt wie ich. Diese Fähigkeit ist im modernen Fußball entscheidend, weil die Spieler sich schneller bewegen und der Druck wächst. Man muss ständig die Umgebung im Blick behalten“, sagte er dem englischen Sender. Das gelte besonders für Mittelfeldspieler, die Informationen aus allen Richtungen aufnehmen müssten.

Prinzipien statt Playstation

Mit seinen Methoden formte Aksum die Spieler zu „besseren Passgebern und besseren Akteuren in Offensive und Defensive“. Die Mannschaft baut ihr Spiel nun von hinten auf, kontrolliert Ballbesitz, rückt geschlossen nach – ohne starren Plan. Aksum: „Kein Playstation-Coaching, wir geben den Spielern Prinzipien mit auf den Weg, aber niemals die genauen Lösungen. Sie müssen die Entscheidungen treffen.“

Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigen die Zahlen: Stroud, Herman Johansson und Abdoulie Manneh trafen jeweils siebenmal – kein Torjäger steht über dem Kollektiv. Mjällby baut so seinen Angriff nicht um einen einzigen Stürmer herum auf. Stattdessen setzen sie auf dynamische Bewegungen der Mittelfeld- und Flügelspieler, um Tore zu schießen. Es ist ein kollektiver Ansatz, der nicht auf einem einzigen Zielspieler basiert.

Fußball zwischen Grillabenden und Gleichgewicht

Vielleicht liegt der Erfolg aber auch an der Atmosphäre. Viele Spieler wohnen gemeinsam in einer Art Wohnheim. „Wenn wir nichts zu tun haben, grillen wir, kochen zusammen oder hängen ab“, erzählt Stroud der BBC. Torstensson, der Lehrer, fördert diesen Teamgeist – mit pädagogischem Instinkt und Bodenhaftung.

Am Strandvallen, dem 7.500 Plätze fassenden Stadion direkt neben Campingplatz und Ostsee, zeigt sich, wie eng Fußball und Gemeinschaft in Mjällby verwoben sind. Seit Mai 2024 ist der Klub zu Hause ungeschlagen. Es ist ein Ort, an dem Wissenschaft und Wärme, Disziplin und Improvisation zu einer unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte verschmelzen – orchestriert von einem Lehrer, der verstanden hat, dass auch im Profifußball Lernen nie aufhört.

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Von admin