Manchmal schreibt der Fußball rund um einzelne Spiele ganz besondere Geschichten – absurd oder bewegend. Auf FanLeben.de rekonstruieren wir diese Geschichten und halten so die Erinnerung am Leben. Nachdem wir bislang über das Spiel Barbados und Grenada 1994, bei dem beide Mannschaft unbedingt ein Eigentor erzielen wollten, die Rückkehr von Erzgebirge Aue auf die internationale Bühne, über die tragische Geschichte der torreichste Begegnung aller Zeiten, über einen Schiedsrichter und seine Zahnprothese und über die WM 1954 berichtet haben, geht es heute um ein kurioses Qualifikationsspiel zwischen Madagaskar und Mauritius. Los gehts!
Protest ist heimisch in den Stadien, das ist spätestens seit den fliegenden Tennisbällen gegen einen Investoreneinstieg bei der DFL allen erisichtlich. Doch wer denkt, dass der gelbe Ballregen die kurioseste Protestform in der Fußballgeschichte war, der irrt gewaltig. Achtung, heute geht es um Nacktheit. Wir befinden uns in Antananarivo, im Frühjahr 1972. Auf der Tribüne des Mahamasina-Stadions sitzen ein paar Tausend Zuschauer, viele barfuß, einige in den roten, weißen und grünen Farben Madagaskars. Das Spiel: ein Qualifikationsduell für den Afrika-Cup zwischen Madagaskar und der kleinen Insel Mauritius, kaum 900 Kilometer entfernt. Auf beiden Seiten Amateure, Bankangestellte, Lehrer, Polizisten – Männer, die nach Feierabend trainierten, aber für ihre Nation kämpften, als wäre es das WM-Finale. Es ging also um was.
Bis hierhin war es ein normales Qualifikationsspiel. Gerade läuft die 88. Minute. Madagaskar führt mit 1:0, Mauritius drängt auf den Ausgleich. Freistoß für die Gäste, zwanzig Meter vor dem Tor. Der Schütze läuft an, der Ball fliegt – und schlägt ein, unhaltbar, wunderschön.
Doch der Jubel erstickt im Hals: Der Schiedsrichter hat vor dem Schuss abgepfiffen. Zu früh, Sekunden zu früh. Das Tor zählt nicht.
Empörung, Fäuste, Rufe von der Tribüne. Mauritius protestiert heftig, Madagaskars Spieler zucken mit den Schultern. Der Schiedsrichter flüchtet in die Kabine, Polizisten sichern den Platz. Das Spiel endet im Chaos – und in einer Beschwerde, die beim afrikanischen Verband CAF landet.
Ein paar Wochen knickt die CAF gegenüber den Protesten ein und ordnet ein Wiederholungsspiel an, noch bevor das eigentlich anstehende Rückspiel, das wegen der anhaltenden Proteste erst einmal ausgesetzt worden war, stattgefunden hatte. Es hieß also: Gleicher Ort. Gleiche Gegner. Neue Spannung.
Diesmal dauert es bis in die Nachspielzeit, ehe Madagaskar das Spiel entscheidet – 2:1. Eine gute Ausgangslage für das Rückspiel, eigentlich. Doch Mauritius will sich nicht fügen. Auf der Rückreise beschließt der Verband, das Rückspiel zu sabotieren: Als Zeichen des Protests, so heißt es, gegen die „ungerechte Behandlung“ durch die Schiedsrichter.
Das Rückspiel in Port Louis beginnt normal, 1:1 zur Halbzeit. Dann kommt es zur wohl kuriosesten Protestaktion ever im Weltfußball: Die Mannschaft von Mauritius kehrt zur zweiten Halbzeit nicht mehr vollständig zurück. Einige Spieler bleiben in der Kabine, andere ziehen sich auf dem Platz demonstrativ aus, laufen in Unterwäsche über den Raseb, bevor auch sie das Stadion verlassen. Ein Spiel, das begann wie jedes andere, endet in nacktem Protest. Der Schiedsrichter bricht ab. Der afrikanische Verband wertet die Partie für Madagaskar. Mauritius wird disqualifiziert. Auch Madagaskar qualifiziert sich am Ende nicht für den Afrikacup, scheidet in einer der nächsten Quali-Runden aus.
Aber zuminest schrieben sie mit kuriosem Schiri-Protest Geschichte – lange bevor bei uns Tennisbälle flogen.
