In den USA ist ein neonazistischer Anhänger von Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung getötet worden. BVB-Profi Felix Nmecha hat sich dazu öffentlich geäußert – und der Familie des Getöteten kondoliert. Er hoffe, so der Spieler auf Instagram, dass dieser „seinen Frieden bei Gott“ finde. Im Folgenden griff der 4-malige deutsche Nationalspieler außerdem alle an, die nicht um ihn trauerten: Ihre Gleichgültigkeit zeige, wie dringend die Welt Jesus brauche, denn es sei „das pure Böse“ nicht um einen Menschen zu trauern. Den letzteren Teil hat er inzwischen wieder gelöscht. Und dennoch: Ein Bundesliga-Spieler der um einen amerikanischen Neonazi trauert? Geht’s noch?!
Dass Nmecha meinen seinen öffentlichen Aussagen handfeste Skandale auslöst, ist im BVB-Umfeld nichts Neues. Bereits im Februar 2023 teilte Nmecha einen Beitrag des US-amerikanischen Rechtsextremisten Matt Walsh, der offen gegen LGBTQ*- und Transrechte auftritt. Kurz darauf veröffentlichte der BVB-Profi einen weiteren Post, in dem die Pride-Community mit dem Teufel gleichgesetzt wurde. Immer wieder stoßen Nutzerinnen zudem auf Inhalte, die vom Instagram-Profil Nmechas mit „Gefällt mir“ markiert wurden und queerfeindliche Aussagen mit religiösen Begründungen untermauern. Jüngst, während der Klub-WM in den USA, sorgte ein TikTok-Video für Aufmerksamkeit: Darin ist zu sehen, wie Nmecha offenbar das Buch „Understanding the Purpose and Power of Women. God’s Design for Female Identity“ des Autors und Predigers Myles Munroe liest. Munroe selbst bezeichnete die LGBTQ-Community einst als „Vergewaltigung der Bürgerrechtsbewegung“ und erklärte, Frauen seien „Rohmaterial“, das Männer nach Belieben „formen“ könnten. Im Buch selbst geht es um die zugeschriebene Rolle der Frau gemäß der evangelikal geprägten Interpretation Gottes. So werden Frauen nicht als eigenständige, autonome Individuen beschrieben, sondern primär als „Unterstützerin“ des Mannes. Nmecha äußert sich zu diesem Vorfall nicht.
Ein kurzer Einschub: Evangelikale stellen eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Protestantismus dar, die die Bibel häufig wortwörtlich auslegt. Viele dieser Gruppen vertreten daher queer- und frauenfeindliche Positionen – gleichgeschlechtliche Liebe wird in Anlehnung an bestimmte Bibelstellen als „Sünde“ bezeichnet. Den Kontext ignorieren sie. Außerdem gehen sie davon aus, dass alles, was auf der Welt passiert, von Gott vorherbestimmt ist. Ist jemand also arm, ausgegrenzt oder krank, dann sei das Gottes Wille. Menschenverachtend. Problematisch wird es aber insbesondere dann, wenn evangelikale Bewegungen versuchen, ihre religiösen Überzeugungen politisch durchzusetzen, wie es etwa in den USA zu beobachten ist. Nmecha ist Teil von evangelikalen Strukturen und Netzwerken.
Weil die Haltung von Felix Nmecha bereits vor seinem Wechsel nach Dortmund bekannt war, stieß der Wechsel da auch sofort auf Kritik. BVB-Präsident Reinhard Lunow und -Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke führten deswegen mehrere Einzelgespräche mit dem Spieler, um sicherzustellen, dass er doch zum Wertekodex von Borussia Dortmund passt. Ihr Ergebnis: Täte er. Die sich wiederholenden Entgleisungen zeigen: Krasser kann man nicht daneben liegen.
Felix Nmecha ist damit im Profifußball kein Einzelfall – im Gegenteil: Er gehört einer organisierten Struktur an, „Ballers in God“. Die Organisation „Ballers in God“ wurde 2015 vom ehemaligen Profifußballer John Bostock ins Leben gerufen und zählt auf Instagram mittlerweile über 600.000 Follower*innen. Dort wird unter anderem erklärt, wie man ungläubige Mitspieler gezielt missionieren könne: Besonders verletzte oder unter Stress stehende Spieler sollen angesprochen werden, um sie vom Glauben – oder direkt von „Ballers in God“ – zu überzeugen. Dieses Vorgehen folgt einem psychologisch-manipulativen Muster, das typisch für sektenähnliche Strukturen ist. Neben Nmecha gehören inzwischen auch die Dortmunder Spieler Duranville und Chukwuemeka zur Gruppe. Bostock und Nmecha, das zeigen gemeinsame Fotos, stehen dabei auch persönlich im Austausch. Der Gründer besuchte, mutmaßlich auf Einladung des Spielers, sogar Spiele von Borussia Dortmund – ohne, dass der Verein sich dazu irgendwie geäußert hätte.
In Deutschland existieren aber noch weitere Initiativen, die gemeinsam mit aktuellen und ehemaligen Profifußballer*innen missionieren. So verfolgt etwa auch das Projekt „Fußball mit Vision“ das Ziel, jungen Menschen den christlichen Glauben näherzubringen. Dafür besucht der Verein Schulen, verteilt Bibeln oder tritt in Fußballvereinen auf. Zur Europameisterschaft 2024 startete „Fußball mit Vision“ zudem eine Kampagne, die Glaubenszeugnisse, Andachtsbücher, Autogrammkarten und sogenannte „Kickerbibeln“ umfasste. Unterstützung erhielt die Aktion unter anderem von der Freikirche Köln. Diese war in der Vergangenheit durch queerfeindliche Positionen aufgefallen: So bezeichnete Pastor André Töws in einer Predigt Homosexualität als „Sünde“. Zu den regelmäßig auftretenden Predigern gehört auch der Bremer Pastor Olaf Latzel. In einer Rede im Jahr 2019 bezeichnete er Teilnehmer*innen des Christopher Street Day als „Verbrecher“ und stufte Homosexualität als „Degenerationsform der Gesellschaft“ ein. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Volksverhetzung ein. Das Verfahren wurde im August 2024 gegen eine Geldauflage in Höhe von 5.000 Euro eingestellt.
Im Fokus stehen aber nicht nur Profis, sondern auch Nachwuchsspieler. Bernd Breitmaier, den Hannover 96 auf seiner Internetseite immer noch für den Aufbau des dortigen Nachwuchsleistungszentrum dankt, ist inzwischen selbst evangelikaler Prediger. Während die evangelikale Organisation „Gods Power Germany“ in den sozialen Medien ihrerseits mit christlichen Fußballprofis eine junge Zielgruppe anspricht. Gründer Jakes Boakye tritt in Kirchen auf, die Homosexualität ablehnen und als „pervers“ verurteilen. Zuletzt arbeitete „Gods Power Germany“ mit Nachwuchsspielern der U19 von Union Berlin zusammen.
Die Bethel Church, zu der „Ballers in God“ enge Verbindungen unterhält, formuliert ihre Strategie noch deutlicher: Sie beruft sich auf das sogenannte „Seven Mountain Mandate“ – eine theologische wie auch strategische Lehre aus charismatischen und pfingstlerischen Strömungen. Diese fordert Christ*innen dazu auf, gezielt Einfluss in sieben zentralen Bereichen der Gesellschaft zu nehmen: Bildung, Religion/Kirche, Familie, Wirtschaft, Regierung, Medien sowie Kunst und Unterhaltung. Besonders die letzten beiden Felder scheinen im Fokus von christlichen Vorfeldorganisationen wie „Ballers in God“ zu stehen.
Borussia Dortmund wirbt in seinem Stadion auf Banden für seinen Slogan „Borussia verbindet“. Dahinter sind durchlaufend wechselnde politische Botschaften zu lesen: Unter anderem „Borussia verbindet gegen Sexismus“, „Borussia verbindet gegen LGBTQIA-Feindlichkeit“, „Borussia verbindet gegen Antisemitismus“ und „Borussia verbindet Rechtsextremismus“. Doch wie glaubhaft sind diese Botschaften, wenn der Stadionsprecher nur Sekunden später Felix Nmecha von 81.000 Menschen feiern lässt, der gegen jeden dieser Sätze verstoßen hat?
Borussia Dortmund – und die anderen betroffenen Vereine – müssen zeigen, dass sie es ernst meinen mit ihrem Einsatz für Vielfalt und gegenseitigen Respekt. Spieler, die sich in radikalen Gruppierungen engagieren, sind kein Spaß, sondern eine ernsthafte Gefahr. Für die Integrität der Vereine, aber vor allem für junge Fans, die von ihnen direkt angesprochen werden. In den USA zeigt sich außerdem, wie gefährlich ihr Vormarsch sogar für eine demokratische Ordnung insgesamt sein kann. Und das bedeutet: Spieler wie Felix Nmecha dürfen, solange sie sich für sektenähnliche Strukturen engagieren, sexistische und rechtsextreme Inhalte verbreiten, nicht für sie auflaufen. Egal, wie gut sie spielen.
Denn in einem Punkt haben die ja recht: Fußball ist mehr als ein Spiel.