Viel ist über die Klub WM geschrieben worden, was alles an ihr schlecht ist, welche Ausreden es gibt, sie trotzdem zu schauen. Heute aber soll es um einen weiteren Streit gehen, der dieses Tunier überschattet: Ob in den USA der erste echte FIFA Klub-Weltmeister gekrönt wird – oder ob dieser historische Titel nicht schon längst vergeben ist?
Vor jedem Spiel von Infantinos laufendem WM-Produkt vertreten die Fans von Palmeiras Sao Paulo dazu eine klare Meinung: Bei allen Gruppenspielen und beim heutigen Viertelfinale gegen Botafago haben die Fans nämlich jeweils ein Banner ausgebreitet, auf dem „First Club World Champion 1951“ zu lesen ist. Auch der Verein selbst sieht sich als erster Klub Weltmeister – immer schon: Auf den grünen Palmeiras-Trikots prangt darum über dem Wappen ein fünfzackiger roter Stern, der ebendies symbolisiert, den Sieg bei der „Copa Rio“ von 1951, dem Turnier, das offiziell „Torneio Internacional de Clubes Campeões genannt“ wurde. Zu Deutsch: Internationales Turnier für Meistervereine. „Palmeiras, Weltmeister“, titelte eine brasilianische Zeitung folgerichtig am Tag nach dem Finalsieg gegen Juventus Turin.
Das aber passt nicht zum Spin von FIFA-Boss Infantino. Der hat nicht nur seinen eigenen Namen gleich zwei Mal in den Pokal, den das Sieger-Teams des Tuniers bekommen wird, eingravieren lassen, sondern bei der Ankündigung der neuen Klub WM auch von einem „Big Bang“, zu Deutsch: Urknall, für den Vereinsfußball gesprochen. Diesen Satz würde ein vergleichbares Vortunier, formulieren wir es freundlich, etwas relativieren.
Die Kontroverse um den WM-Titel von Palmeiras ist dabei zwar nicht neu, aber von der FIFA pünktlich zum Tunierstart wieder in den Fokus gerückt. Und zwar so: In einem PDF-Dokument, das den Teilnehmerklubs der Klub WM zuging, setzte die Fifa den Palmeiras-Titel von 1951 unter die Rubrik „Interkonföderationen“-Pokale. Eine Degradierung. Pameiras protestierte, die FIFA zog das Dokument wieder zurück.
Aber wer hat denn nun Recht? Ist die Idee eine internationale Vereinsmeisterschaft auszutragen tatsächlich ein genialer Geistesblitz von Gianni Infantino gewesen, auf der in der über 100-jährigen Geschichte des Weltverbandes vorher niemand gekommen ist? Nein, findet Fernando Galuppo. Galuppo hat zwei Jobs: Einmal arbeitet er als Historiker an der Universität von Sao Paulo, dann noch arbeitet er für Palmeiras. Er weiß: Schon in ihren Gründungstagen sei die FIFA darum bemüht gewesen, einen internationalen Klubwettbewerb auszurichten. Aber weil es zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum möglich war, zu einem solchen Tunier anzureisen, habe man es erst einmal nicht umgesetzt. Erst im Nachgang der traumatischen Niederlage Brasiliens gegen Urugay im Finale der der Heim-WM 1950, die als „Maracanaço in die Fußballgeschichte einging, kam die Idee wieder auf den Tisch. Und wurde 1951 sogar umgesetzt: auf Antrag des brasilianischen Verbandes, mit Autorisierung der Fifa.
An dem Turnier in Rio nahmen dann acht Mannschaften teil: Palmeiras als Gastgeber des Austragungsorts São Paulo auch Vasco da Gama aus Rio de Janeiro, Juventus Turin, Austria Wien, Nacional de Montevideo aus Urugay, Sporting Lissabon, der OGC Nizza und Roter Stern Belgrad. Gespielt wurde mit FIFA-Bällen, nach FIFA-Regeln und unter Aufsicht des FIFA-Exekutivkomitees. Scheint also in der Tat nicht wirklich inoffiziell gewesen zu sein.
1952 folgte sogar noch eine Neuauflage, wieder gewann ein weiterer brasilianischer Verein, Fluminense aus Rio. Danach ging das Turnier „in den Winterschlaf“, wie Historiker Galuppo es formuliert. Rund um das Jahr 2000 wollte die FIFA dann wieder eine Klub WM zu etablieren. Palmeiras verfasste darum ein 122-seitiges Dossier und übersandte es als Buch gebunden an die FIFA als Nachweis, dass die Copa Rio von 1951 als Weltmeisterschaft angesehen werden muss.
Dann passierte erstmal nichts. Ziemlich lange. Sieben Jahre, um genau zu sein. Erst 2007 hatten sie bei der FIFA das Palmeiras-Papier gelesen und eine Antwort verfasst. Dann aber schrieb der damalige FIFA-Generalsekretär an den damaligen Präsidenten des brasilianischen Fußballverbandes: „Nach einer detaillierten Untersuchung haben wir die Freude anzukündigen, dass die FIFA mit Ihrem Vorschlag einverstanden ist, die Copa Rio 1951 als die erste offizielle Klub-WM zu akzeptieren.“ Mit Freude auch noch. Wie schön. Das klingt doch schon mal gut.
Aber es wird noch besser: Am 7. Juni 2014 gab es nämlich dann noch eine Tagung des FIFA-Exekutivkomitees in São Paulo. Und da entschied es erneut, einem Antrag des brasilianischen Verbandes stattzugeben, die „1951 von Palmeiras gewonnene“ Copa Rio als „ersten weltweiten Fußballwettbewerb“ anzuerkennen. Auch Brasiliens damaliger Sportminister Aldo Rebelo – ein bekennender Palmeiras-Fan – teilte in jenen Tagen öffentlich mit, dass ihm die Akte des Weltverbandes offiziell zugegangen sei. „Die Entscheidung der Fifa ehrt den siegreichsten Klub Brasiliens des 20. Jahrhunderts“, feierte Rebelo. Da sollte man meinen: Thema durch.
Aber nicht bei der FIFA. Als Gianni Infantino FIFA-Präsident wurde, änderte er die Sicht der FIFA nämlich. 2019 – da plante er das neue Tunier schon, die Austragung musste aber Pandemie-bedingt verschoben werden – erklärte er nämlich, alle Tuniere vor 1960 nicht mehr als anzuerkennen. Einfach so. Aus heutiger Sicht für seinen Argumentationsstrang aber natürlich ganz praktisch. „Es war langsam Zeit, dass jemand eine WM für Klubmannschaften erfindet!“, sagte Infantino nämlich dieser Tage in Manhattan laut New York Times und meinte, ausweislich der Gravuren in der Trophäe, in erster Linie wohl sich selbst. Ganz praktisch: Die Klub WM wird gerade ja immerhin in dem Land in dem der Begriff „alternative Fakten“ erfunden wurde.
Palmeiras wird heute übrigens als einziger der 31 Klub WM-Teilnehmer von einer Frau als Präsidentin repräsentiert: Leila Pereira. Sie sagt zu alle dem: „Geschichte lässt sich nicht tilgen. Für uns und für alle, die die Geschichte des Fußballs kennen, ist Palmeiras, jawohl, Weltmeister!“
Aber hey: Dafür Gianni Infantino ist immerhin der erste FIFA-Präsident, der seinen Namen gleich zwei Mal in einen Pokal eingravieren lies.