Ein Tor hat gefehlt – naja, ein Tor und ein gewonnenes Elfmeterschießen. Und trotzdem: Das Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft im EM-Halbfinale gegen Spanien war knapp und unglücklich. Unglücklich auch für eine fußballerische Liebesgeschichte, die so zumindest auf dem Platz unvollendet bleibt: Denn würden die deutschen Frauen heute Abend im Finale auf die englischen Lionesses treffen, würde Torhüterin Ann-Kathrin Berger gegen ihre Verlobte Jessica Carter treffen. Über rassistische Angriffe auf sie während der Europameisterschaft und den Umgang ihrer Mitspielerinnen damit hat FanLeben.de hier berichtet.
Ein solches Duell wäre im Frauenfußball nichts ungewöhnliches. Anders als im Männerfußball gibt es bei den Frauen viele offen-queere Spielerinnen. Die deutsche Nationalspielerin Lea Schüller erklärt diesen Unterschied so: „Dass Frauen Frauen lieben, ist bei uns in der Bundesliga und im Nationalteam völlig natürlich. Bei den Männern ist das ganz anders, vielleicht weil die Aufmerksamkeit höher ist.“ Dabei ist es doch überall, auch überall im Sport, absolut erstrebenswert, dass jeder so sein kann, wie er ist, jeder lieben kann, wen er will und niemand Angst davor haben muss, deswegen beleidigt oder benachteiligt zu werden.
Doch Homophobie und Queerfeindlichkeit sind – vor allem bei Männerspielen – immer noch bittere Realität in deutschen Stadien. In der ersten Meistersaison ihres Klubs beschäftigten sich die Fans von Bayer Leverkusen zum Beispiel nicht nur mit dem erfolgreichen Fußball ihrer Mannschaft, sondern leider auch mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das trans Personen ermöglicht, den Geschlechtseintrag in ihren Ausweisdokumenten zu korrigieren. Auf einem Zaunbanner schrieben sie: „Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur 2 Geschlechter.“ Wem zum Feiern nach der Meisterschaft nichts besseres einfällt, als Humbahumbatätära, sollte sich wirklich nicht als Kulturexperte aufspielen.
Aber leider hört es da ja nicht auf. Auch bei Hansa Rostock, Dynamo Dresden, dem 1. FC Nürnberg und sogar bei Hertha BSC wurden in den letzten Jahre queerfeindliche und homophobe Spruchbänder gezeigt. Bei den Berlinern ein Einzelfall, der auf erbitterten Widerstand in der eigenen Kurve traf. Doch die Mehrheit der Ultras bei den anderen Klubs tolerierte mindestens diese diskriminierenden Meinungsäußerungen. Dass Spieler im Männerfußball sich nicht outen, liegt also sicher nicht nur an der Aufmerksamkeit, die auf ihnen liegt, sondern auch an dem Umfeld, in dem sie arbeiten. Auch im Jahr 2025 ist es der Mehrheit der Fans nicht gelungen, ein offenes und unterstützendes Umfeld zu schaffen.
Mehrheit der Fans? Unter anderem eine Studie der Leeds Beckett Universität von 2021 zeigt, dass sich über 80% der deutschen Fußballfans wünschen, dass Spieler offen queer sein dürfen. Viele queere Fans berichten zudem, dass sie im Stadion vorsichtig sein müssen, wie offen sie ihre Identität zeigen – eine FanQ-Studie berichtet sogar, dass mehr als jede*r Zweite*r schon mindestens einmal Queerfeindlichkeit im Stadion erlebt hat. Doch die FanQ-Studie von 2023 zeigt auch, dass über 60% der Fußballfans das Engagement von DFB und DFL gegen Queerfeindlichkeit für unzureichend halten.
Deswegen setzen viele queere Fußballfans seit Jahren auf Selbstorganisation: Konkret setzt sich Netzwerk Queer Football Fanclubs (QFF) seit zwei Jahrzehnten dafür ein, dass queere Menschen im Fußball nicht am Rand stehen, sondern Teil der aktiven Fankultur sind – sichtbar, empowert und laut.
Gegründet wurde das Netzwerk im Jahr 2006 in Köln. Es entstand als Reaktion auf die damals noch geringere Sichtbarkeit von queeren Fans in den Kurven – und auf eine Stadionkultur, in der homophobe Beleidigungen, diskriminierende Sprechchöre und sexistische Ressentiments weitgehend normalisiert waren.
Heute vereint QFF über 25 Fanclubs aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und England. Die Mitglieder reichen von traditionsreichen Bundesliga-Fanclubs wie den Stuttgarter Junxx (VfB Stuttgart) oder QUEERPASS Bayern (FC Bayern München), Andersrum rut-wiess (1. FC Köln), den Regenbogenadlern (Eintracht Frankfurt) und den RegenbogenKnappen (Schalke 04) bis hin zu Gruppen aus der Regionalliga oder internationalen Fanprojekten wie den Letzi Junxx (FC Zürich, Schweiz) oder Roze Règâhs (ADO Den Haag, Niederlande).
Die QFF ist dabei kein Verein im rechtlichen Sinne, sondern ein Netzwerk mit einem klaren politischen Anspruch. Das Netzwerk ist dabei ehrenamtlich und basisdemokratisch organisiert und wird von einem Sprecher*innenrat lediglich koordiniert. Die Mitgliedsfanclubs entsenden Vertreter*innen zu regelmäßigen Plenumstreffen, die halbjährlich stattfinden. Dort werden Positionen abgestimmt, Strategien entwickelt und gemeinsame Aktionen geplant. Die QFF agieren unabhängig von DFB, DFL oder UEFA, kooperieren aber projektbezogen mit Fanprojekten, Antidiskriminierungsinitiativen, CSD-Veranstaltern und gelegentlich auch mit den Vereinen oder ihren Fanbeauftragten.
Ein besonders öffentlicher und im wahrsten Sinne sichtbarer Erfolg des Netzwerks war seine maßgebliche Rolle im Vorfeld der EM 2021 bei der öffentlichen Debatte rund um die Beleuchtung der Allianz Arena in Regenbogenfarben. Das war passiert: Im Juni 2021 forderten Politik und Zivilgesellschaft, das EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn in München mit einer Regenbogenbeleuchtung der Arena zu versehen, als Zeichen gegen das LGBTQ-feindliche Gesetz Ungarns. Doch die UEFA verbot die geplante Beleuchtung. Die Queer Football Fanclubs organisierten daraufhin in kurzer Zeit ein breites Bündnis mit anderen Fan-Initiativen, CSD-Organisationen und weiteren politischen Gruppen. Die Szene um QFF sorgte dafür, dass rund 40 Stadien, Rathäuser und anderen Wahrzeichen in Deutschland und Europa stattdessen in Regenbogenfarben leuchteten – darunter Berlin, Frankfurt, Köln, Amsterdam, Brüssel, Wien und viele mehr. Auch viele Fans im Stadion setzten Zeichen. Und nicht nur Fans: Auch Nationalspieler Leon Goretzka formte nach seinem Tor gegen Ungar ein Herz aus seinen Händen. Das Fazit der QFF: „Wir zeigen, dass Vielfalt im Fußball nicht nur toleriert, sondern gefeiert werden sollte!“
Das ist richtig gut.
Aber es entbindet die Mehrheit der Fans nicht aus ihrer Verantwortung. Denn dafür zu sorgen, dass Stadien Orte sind, an denen alle willkommen sind und jeder, vom Spieler bis zum Fan, so sein kann, wie er ist, ist ja nicht die Aufgabe queerer Faninitiativen, sondern die Aufgabe von uns allen. Und insbesondere von denen, die selbst keine Diskriminierung erfahren. Denn diskriminierungsfrei leben beziehungsweise fußballschauen zu können bedeutet Macht und diese Macht gilt es zu nutzen, um auch allen anderen ein besseres Leben beziehungsweise Fußballschauen zu ermöglichen, sonst wird diese Macht nämlich missbraucht. So einfach ist das. Fortschritt für bestimmte Gruppen mussten bislang zwar immer von diesen Gruppen selbst und gegen eine priviligierte Mehrheit erkämpft werden – aber für die priviligierte Mehrheit ist das ja ganz schön peinlich.
Die Queer Football Fanclubs haben deswegen auch Forderungen an alle anderen Fußballfans formuliert. Sie lauten:
- Verankerung von Antidiskriminierungsklauseln im Fan- und Stadionkodex, um queerfeindliches Verhalten konsequent zu ahnden.
- Schaffung eines geschützten Raums für queere Fans im Stadion, z. B. durch sichere Fanbereiche und Fanprojekte mit explizitem Queerfokus.
- Transparenz und Kommunikation: Offene Dialogformate zwischen Stadionbetreiber, Verein und queeren Fanorganisationen.
- Aktive Einbindung queerer Fangruppen in Fanarbeit und Stadionkultur – über reine Symbolaktionen hinaus.
Aber vor allem:
- Regelmäßige und sichtbare Unterstützung queerer Fans durch Regenbogenaktionen im Stadion, nicht nur zu besonderen Anlässen. Und unnachgiebiger Widerspruch immer da, wo gegen diese Punkte verstoßen wird.
Daran muss sich jeder Fußballfan messen lassen. Dafür sollte jeder Fußballfan auf der Tribüne wie die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft auf dem Rasen kämpfen – bei jedem Spiel.
Damit überall im Fußball auch die Liebe siegen kann.
Und sei es nur über den Hass. (Wenn zum Beispiel ein Tor und ein erfolgreiches Elfmeterschießen für mehr gefehlt hat.)