Immer wieder geraten besondere Vereine in tiefe Krisen, stürzen ab und die Fußballwelt fragt sich: Wie konnte es dazu kommen? In Deutschland geht es vielen Traditionsvereinen so. Doch darüber wird an vielen Stellen schon ausführlich diskutiert. Hier auf FanLeben.de schauen wir deswegen ins Ausland und widmen uns in detaillierten Recherchen der bitteren Realität von Vereinen, die wir im internationalen Fußball heute vermissen. Im ersten Teil der Serie ging es um Vitesse Arnheim, im zweiten Teil folgte Bursaspor, im dritten der FC Malaga, im vierten Wacker Innsbruck und im fünften um Sheffield Wednesday. Heute machen wir eine Ausnahme und schauen nach Split – auf einen richtig spannenden Traditionsverein und seinen Weg zurück an die Spitze. Mit Fan-Bestimmung. Es geht nach Kroatien.
Die Geschichte von Hajduk Split beginnt nicht an der Adria, sondern im fernen Prag. Dort studierten vier junge Männer aus Split um die Jahrhundertwende Medizin. Es waren die Brüder Fabjan und Luka Kaliterna sowie ihre Freunde Ivan Šakić und Petar Fabjan. Begeistert von der neuen Sportart Fußball, die in Mitteleuropa immer populärer wurde, saßen sie 1911 in einem Prager Wirtshaus zusammen – der Legende nach im U Fleků – und beschlossen, auch in ihrer Heimatstadt einen Fußballklub ins Leben zu rufen.
Am 13. Februar 1911 war es so weit: Hajduk Split wurde gegründet. Den entscheidenden Tipp für den Namen bekamen die Studenten von ihrem Universitätsprofessor. Er schlug Hajduk vor – inspiriert von den Freiheitskämpfern und Rebellen, die in den Balkanländern im Volksglauben für ihren Mut und Widerstand gegen Fremdherrschaft standen. Passend dazu entschied man sich für die Vereinsfarben weiß und blau, die das dalmatinische Meer und den Himmel symbolisieren, sowie das traditionelle rot-weiße Karomuster im Wappen, das an die kroatische Identität erinnert.
Von Beginn an war Hajduk mehr als nur ein Sportverein. In einer Zeit, in der Kroatien noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war, wurde der Klub zu einem Symbol für Selbstbewusstsein und Zusammenhalt. Schon die ersten Spiele zogen große Menschenmengen an – Fußball wurde in Split schnell zum Ausdruck von Gemeinschaft.
Die Kaliterna-Brüder prägten die frühen Jahre entscheidend: Luka war selbst Spieler und später langjähriger Funktionär, Fabjan Architekt des sportlichen Aufbaus. Unter ihrer Führung entwickelte sich Hajduk rasant zu einem der führenden Klubs der Region: Das erste Spiel von Hajduk Split, einer Mannschaft zusammengesetzt aus in Split lebenden Italienern, fand 1911 gegen Calcio Split statt. Hajduk gewann mit 9:0 (6:0), der erste offizielle Treffer wurde von Šime Raunig erzielt. Das erste internationale Spiel wurde gegen Olympique Marseille im Rahmen einer Nordafrika-Tournee gespielt und mit 3:2 gewonnen. Den ersten Meistertitel gewann Hajduk im Jahr 1927.
Als Split dann 1941 vom faschistischen Königreich Italien annektiert wurde, wollten die Machthaber den Verein für ihre Zwecke einspannen. Unter dem neuen Namen Calcio Spalato sollte Hajduk in der italienischen Serie A antreten – als Aushängeschild für die faschistische Annexion. Doch die Antwort aus Split war eindeutig: Nein. Hajduk weigerte sich, sich dem Regime zu beugen. Stattdessen versuchte der Klub, weiter in der kroatischen Meisterschaft zu spielen. Doch auch hier machte die Politik einen Strich durch die Rechnung – der zuständige Staatskommissar für Sport, selbst ein Faschist, blockierte die Teilnahme.
Doch anstatt dem Druck nachzugeben, wählten die Verantwortlichen einen anderen Weg. 1944 schloss sich Hajduk den jugoslawischen Partisanen auf der Insel Vis an. Dort wurde der Klub zur offiziellen Armeemannschaft des Widerstands und spielte Freundschaftsspiele gegen Einheiten der Alliierten, etwa gegen die britische Fußball-Armeemannschaft. Dieser mutige Schritt rettete dem Verein dabei letztlich sogar das Bestehen. Denn viele Klubs mit starker nationaler Symbolik wurden nach Kriegsende in der neu gegründeten SFR Jugoslawien aufgelöst oder verboten. Hajduk dagegen überlebte – weil er als Verein der Partisanen eine besondere Legitimität besaß.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte Hajduk Split ein erneutes politisches Angebot, dieses Mal von Josip Broz Tito, ab, nach Belgrad zu ziehen und dort als offizielle Armeemannschaft aufzutreten. Stattdessen blieb der Verein in seiner Heimat und feierte schon 1950 den ersten Meistertitel nach dem Krieg – ungeschlagen. In den 1950er-Jahren folgten weitere Titel, auch wenn Hajduk trotz der Meisterschaft 1955 nicht im neu gegründeten Europapokal der Landesmeister antreten durfte, da der real-kommunistische Verband Partizan Belgrad bevorzugte.
Die 1970er gelten als goldene Ära: Fünf Pokalsiege, vier Meisterschaften und internationale Achtungserfolge mit Halbfinal- und Viertelfinalteilnahmen in verschiedenen Europapokalen machten Hajduk weit über Jugoslawien hinaus bekannt. Auch in den 1980er-Jahren konnte der Klub mit einigen Achtungserfolgen im UEFA-Pokal und zwei nationalen Pokalsiegen an diese Tradition anknüpfen.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre schrieb Hajduk erneut Geschichte: 1991 gewann man als letzter jugoslawischer Pokalsieger das Finale gegen Roter Stern Belgrad. Kurz darauf wurde Hajduk 1992 der erste kroatische Meister und sammelte im Verlauf der Dekade drei Meisterschaften und vier Pokalsiege. Höhepunkt war das Viertelfinale der Champions League 1994/95 gegen Ajax Amsterdam. Im neuen Jahrtausend setzte Hajduk diese Serie mit weiteren Erfolgen fort, wurde dreimal Meister und fünfmal Pokalsieger, zuletzt 2004/05 Meister. International blieb der Verein seither jedoch hinter früheren Glanzzeiten zurück.
Und damit sind wir bei einem spannenden neuen Mitbestimmungsmodell angekommen, das seinen Ursprung in einer unfreiwilligen Entscheidung vor fast 20 Jahren hat. Denn mit dem ausbleibenden Erfolg stiegen in Split, wie bei so vielen Vereinen, die Schulden. 2008 wurde Hajduk nämlich als erster Verein des Landes in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der finanziell angeschlagene Klub sollte so saniert werden. Auch die Stadt wollte dabei helfen und so beschloss die Stadtversammlung am 2. Juni 2008, das Stadion Poljud im Wert von 300 Millionen Kuna in das Grundkapital der neuen AG einzubringen. Schon ein Jahr später, 2009, folgte dann eine Schuldumwandlung: Das Eigenkapital wurde erhöht und die Stadt Split übernahm mit 56,1 Prozent die Mehrheit am Verein. Zusätzlich hielt die staatliche Einlagensicherung (DAP) 9,82 Prozent, bis diese Anteile 2017 ebenfalls an die Stadt übergingen. Die übrigen Anteile befanden sich im Streubesitz von Unternehmen und Privatpersonen. Es klingt wie der Beginn einer üblichen Investorengeschichte. Aber es kommt anders.
Zwar war mit der Umwandlung in eine AG war eine klassische Vereinsmitgliedschaft nicht mehr möglich. Doch gerade die Torcida, die älteste Fangruppierung Europas, gergründet schon 1950, wollte Hajduk nicht einfach den politischen und wirtschaftlichen Interessen überlassen. Überall in Kroatien riefen Fans deswegen ab 2010 zur Unterstützung auf, stellten Stände auf und warben für eine Mitgliedschaft. Da das wie gesagt direkt nicht mehr ging, wurde 2011 die Initiative Naš Hajduk gegründet. Ihr Ziel: den Klub nach dem Vorbild des „Socios-Modells“ demokratisch und transparent zu organisieren – ähnlich der 50+1-Regel in Deutschland. Ein entscheidender Moment kam dann 2015, als der größte Teil des verbliebenen Streubesitzes an das Handelsunternehmen Tommy d.o.o. ging, das insgesamt 24,53 Prozent hielt. Nur ein Jahr später übernahm nämlich Naš Hajduk diese Anteile – finanziert über einee zehnjährige Ratenfinanzierung. Heute hält die Fanorganisation rund 30,12 Prozent der Anteile, nur noch knapp vier Prozent sind im freien Streubesitz.
Die Stadt Split ist jedoch mit gut 65 Prozent weiterhin Mehrheitseignerin. Doch bedeutend für das Hajduk-Modell ist: Sie verzichtet bewusst auf ihre Stimmrechte und überlässt Naš Hajduk die Führungsrolle. Die Fans wählen den fünfköpfigen Aufsichtsrat nach dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“. Wie bei einem klassischen Verein. Der direkt gewählte Aufsichtsrat wiederum setzt dann, wie man es von Aktiengesellschaften kennt, die Vereinsführung ein. Damit liegt die Ausrichtung des Klubs de facto in Fanhand – ein einzigartiges Modell in Europa, mit Transparenz und Mitsprache nach Kapitalisierung zurückgewonnen werden konnten. Und: Sollte Hadjduk Split einmal eine Dividende zahlen, profitiert von ihr vor allem die öffentliche Hand.
Mit diesen demokratischen Strukturen, der langfristigen Arbeit der Fans und einem Ethikkodex hat Hajduk unter Naš Hajduk deutlich an Stabilität gewonnen. Das sieht man auch an den jüngsten sportlichen Erfolgen: In den Saisons 2021/22 und 2022/23 gewann der Klub jeweils den kroatischen Pokal und wurde Vizemeister in der Liga. Aber auch symbolisch setzt der Klub Zeichen: Seit der Saison 2022/23 bestehen die Trikots aus 100 Prozent recycelten Plastikflaschen. Und im August 2021 wurde zudem (endlich!) erstmals eine Frauenmannschaft ins Leben gerufen. 2023 knackte Hajduk zudem die Marke von 100.000 Mitgliedern, Tendenz weiter stark steigend, und zählt damit zu den mitgliederstärksten Vereinen der Welt.
Der Fall Hajduk Split zeigt eindrucksvoll, wie Fußballereine von demokratischen Strukturen profitieren und wie sie trotz Fan-Kontrolle erfolgreich werden können.