Noa-Lynn van Leuven schreibt Geschichte.

Die Niederländerin ist die erste Transfrau, die ein Turnier bei der Professional Darts Corporation (PDC) gewinnen konnte. Die PDC, das für die, die Darts vor allem rund um Weihnachten und Neujahr schauen, veranstaltet unter anderem die inoffizielle Weltmeisterschaft jedes Jahr im Ally Pally. Ihr Sieg 2024 auf der Challenge Tour, der zweiten Liga des Darts, war ein Meilenstein – sportlich wie gesellschaftlich. Doch der Weg zu Anerkennung ist für van Leuven ein steiniger.

In der Women’s Series, der wichtigsten Turnierserie für Frauen im PDC-Kosmos, setzte sie ihren Erfolgskurs fort und gewann bislang sechs Titel. Auch bei der PDC-Weltmeisterschaft trat sie bereits an – regelkonform, denn das Reglement erlaubt die Teilnahme von Männern und Frauen.

Doch statt sportlicher Wertschätzung schlägt van Leuven vielerorts Misstrauen, Ablehnung oder gar offene Feindseligkeit entgegen. Der Grund: Noa-Lynn van Leuven ist eine trans Frau. Van Leuven, die übrigens gerade mal 28 Jahre alt ist, wurde als Mann geboren, unterzog sich 2014 dann aber einer geschlechtsangleichenden Operation. 2022 schloss sie ihre Transition zur Frau ab.

Im vergangenen Jahr sorgte dann jedoch Deta Hedman, eine langjährige Ikone der Frauenszene und Teilnehmerin der PDC-WM 2021, für Aufsehen, als sie sich bei einem WDF-Turnier weigerte, gegen van Leuven anzutreten. Mit den Worten: „Ich spiele bei einem Frauen-Event gegen keinen Mann„, brachte die gebürtige Jamaikanerin ihre Transfeindlichkeit damals zum Ausdruck. Auch eine Minderheit der Fans greift die Niederländerin immer wieder an. Erst am Wochenende kam es mit einer kleine Gruppe Demonstranten beim World Matchplay der Frauen in Blackpool zu einem unsportliche Zwischenfall. Eine Frau im Publikum hielt ein Transparent mit der Aufschrift: „Er ist ein Mann“ in die Höhe, eine andere trug ein Shirt mit „Rettet den Frauen-Sport“. Sie wurden rasch der Halle verwiesen.

Die PDC verteidigte Leuven in der Vergangenheit gegen diese Kritik. „Der Abschaum, der Noa-Lynn entgegengeschleudert wurde, ist völlig inakzeptabel“, erklärte zum Beispiel Matt Porter, Geschäftsführer der PDC.

Beim offiziellen Dartsweltverband, der World Darts Federation (WDF), sieht man das erschreckender Weise aber genauso wie Deta Hedman und die transfeindlichen Fans und setzte jetzt eine Regel-Änderung um. Die WDF, der offiziell bedeutendere Weltverband, dem aber am Markt von der PDC, was Zuschauerzahlen und Sponsoreninteresse angeleht, längst der Rang abgelaufen wurde, das wird noch wichtig, definiert eine Frau fortan „als eine Person, der bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde“, heißt es. Transfrauen sind demnach von Frauen-Turnieren ausgeschlossen. Van Leuven etwa dürfte damit jedoch auch nicht bei den Männern, sondern ab sofort nur noch in der „offenen Kategorie“ teilnehmen. Diese Turnier-Kategorie wurde immer neu eingeführt und steht den Athleten aller Geschlechter offen.

Der Fall zeigt: Während van Leuven mit Talent und Disziplin ihre sportlichen Erfolge erarbeitet, wird über ihre Zugehörigkeit zur Frauenkategorie debattiert – und das ausgerechnet in einem Sport, in dem das wirklich wenig Sinn ergibt. Denn beim Dart gibt es ja bereits Wettkämpfe, zum Beispiel das Turnier im Ally Pally, das mehr Zuschauer*innen hat, als jeder andere Darts-Wettkampf, bei denen ganz selbstverständlich Männer und Frauen gegeneinander antreten. Und Frauen Männer immer wieder auch besiegen. Dass es überhaupt noch reine Frauen-Turniere gibt anstatt sie ganz in die Männer-Wettbewerbe zu integrieren, ist hier darum übrigens nur ein Ausdruck von Frauenfeindlichkeit, die Sportlerinnen werden so nämlich de Facto von lukrativen Liga-Systemen ausgeschlossen. Alles, was außerhalb des Ally Pally Ruhm und Geld verspricht, bleibt ein männlicher Closed Shop. Die Transfeindlichkeit mancher wird dabei zu einem Nebenkriegsschauplatz, der von diesem wesentlichen Problem ablenkt. Das ist bitter.

Aber zurück zum eigentlichen Thema.

Denn auch in anderen Sportarten wird über den Umgang mit transgeschlechtlichen Athlet*innen gestritten. So müssen sich Leichtathletinnen ab sofort einem einmaligen Gentest unterziehen, um bei großen Meisterschaften in der Frauenklasse an den Start gehen zu dürfen. Die neue Regel gilt ab den Weltmeisterschaften in Tokio, wie der Weltverband World Athletics gestern mitteilte.

Konkret sollen die Sportlerinnen auf das SRY-Gen getestet werden. Dieser Test ist laut World Athletics ein „zuverlässigen Indikator für die Bestimmung des biologischen Geschlechts“ und soll entweder mittels eines Wangenabstrichs oder einer Blutuntersuchung durchgeführt werden. Von Athletinnen wie der zweimaligen Olympiasiegerin Caster Semenya, die als Person mit „Abweichungen in der sexuellen Entwicklung“ eingestuft wird, hatte World Athletics zuletzt bereits gefordert, dass sie ihren Testosteronspiegel durch Medikamente künstlich senken, um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können.

Die Südafrikanerin Semenya war gegen die umstrittene Testosteron-Regel juristisch bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgegangen, hatte in der letzten Instanz Mitte Juli sogar nur teilweise Recht bekommen. Trotzdem kommt es jetzt noch einmal zu einer Verschärfung. „Die Philosophie, die wir bei World Athletics hochhalten, ist der Schutz und die Förderung der Integrität des Frauensports“, sagte WA-Präsident Sebastian Coe: „Wir sagen, dass man auf Elite-Niveau, um in der Frauenkategorie anzutreten, biologisch weiblich sein muss.“ 

Coe hält die neue Vorschrift für rechtssicher – das darf, nachdem der EGMR Casrer Semenya bereits bei ihrer Klage gegen eine weniger strenge Regel Recht gab, allerdings bezweifelt werden. Davon abgesehen schafft die Regel ein generelles Klima des Misstrauens im Sport und spricht trans Personen grundsätzlich ihre Geschlechtsidentität ab. Das ist – mit Verlaub – mit dem Grundsatz der universellen Menschenwürde nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass trans Frauen im Leistungssport eine krasse Minderheit sind, keine trans Frau hat bislang eine olympische Medallie oder eine vergleichbare Auszeichnung gewinnen können. Das vermeintliche Problem für die Integrität des Sports existiert also schlichtweg nicht. Und auch die These, dass sich zukünftig immer mehr Männer als Frauen „verkleiden“ würden, um im vermeintlich einfacheren Frauensport Medallien abzuräumen, ist wirklich gar nichts anderes als Ausdruck eines transfeindlichen Weltbildes.

In Deutschland wurde angesicht der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG), das es trans Personen ermöglicht, ihren amtlichen Geschlechtseintrag nach einer dreimonatigen Wartefrist per Eigenversicherung zu änern, eine ähnliche Debatte geführt. Es bietet sich also an, zu schauen, welche Befürchtungen, mit denen Kritiker*innen gegen das SBGG argumentierte, eingetreten sind. Und Fakt ist: In Deutschland gibt es keine belegbaren, nachweisbaren Fälle, in denen Männer das Gesetz ausnutzten, um Zugang zu Frauenschutzräumen oder Frauensport zu erhalten. Alle Warnungen basieren bislang auf befürchteten Szenarien, nicht auf dokumentierten Ereignissen. Laut dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) ist kein einziger konkreter Fall bekannt, in dem vermeintliche trans Personen das SBGG missbräuchlich nutzten. Ebenso bestätigt die Frauenhauskoordinierung, dass keine Fälle dokumentiert sind, in denen vermeintliche trans Frauen Gewalt ausübten oder Schutzräume missbrauchten. Auch Amnesty International bestätigt das. Männer geben sich nicht als trans Frauen aus. Schon gar nicht regelhaft. Punkt.

Was bedeutet das für den Sport? Dass es den Handlungsdruck, den er sieht, gar nicht gibt. Die Integrität des Sports steht zumindest wegen trans Personen nicht in Zweifel, auch nicht bei Frauenwettbewerben.

Weswegen die Integrität des Sports tatsächlich in Zweifel gezogen wird: Korruptionsvorwürfe gegen World Athletics – und die gab es immer wieder: Lamine Diack, bis 2015 Präsident des Verbandes, wurde im September 2020 schuldig gesprochen, in einem System Bestechungsgelder von etwa 3,45 Millionen Euro angenommen zu haben. Damit ermöglichte er russischen Athleten trotz positiver Dopingtests weiterhin Teilnahme an Wettbewerben – darunter die Olympischen Spiele 2012. Eine interne WADA-Untersuchung deckte zudem auf, dass zwischen 2001 und 2012 rund ein Drittel der Medaillengewinner bei großen Leichtathletik-Wettbewerben auffällige Blutwerte hatten, jedoch keine Konsequenzen erfolgten. Stattdessen haben, so der Bericht, WADA-Mitarbeiter*innen die Athlet*innen erpresst und sich so ebenfalls korrumpieren lassen. 2019 gab es weitere Korruptionsvorwürfe im Zuge der Leichtathletik-WM-Vergabe nach Katar. Erst nach all diesen Skandalen benannte sich der Weltverband übrigens von IAAF in WA um.

Kann es etwa sein, dass World Athletics sein Regelwerk vor allem deswegen gegen trans Personen verschärft, um öffentlich nicht mehr über die eigene Vergangenheit sprechen zu müssen?

Und kann es sein, dass die World Darts Federation in England bewusst versucht, die dort große trans-feindliche Community anzusprechen, um sich gegen die PDC doch noch irgendwie am Markt zu behaupten?

Mit sprtlicher Integrität hätte das jedenfalls nichts mehr zu tun.

Der Fußball zeigt da an einigen Stellen tatsächlich wie es besser gehen könnte. Seit 2022 erlaubt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für Amateur- und Jugendfußball sowie Futsal, dass transgender, intersexuelle und nicht-binäre Personen selbst entscheiden dürfen, ob sie in Männer- oder Frauenmannschaften antreten möchten. Außerdem ist, ebenfalls seit 2022, im Amateurbereich das gemischte Spielen erlaubt. Heißt: Auch cis und trans Frauen dürfen in Männermannschaften mitspielen. Seitdem wurden allein in Bayern über 100 Frauen gemeldet, die in Herren-Teams spielten, insbesondere da, wo es lokal keine klassichen Frauenteams gibt. Und sie spielen übrigens ziemlich erfolgreich mit, als Stammspielerinnen, Torschützinnen. Vor allem wird so aber allen ermöglicht, im Ligabetrieb Fußball zu spielen.

Gut so. Denn Sport ist für alle da.

Unser Newsletter: 1x die Woche exklusive Inhalte kostenlos in Dein Postfach holen:

Von admin