Es wirkt schon etwas paradox: Ausgerechnet bei der TSG Hoffenheim, dem Klub, der nur dank mehreren hundert Millionen Euro, die Mäzen Dietmar Hopp in den Verein investierte, überhaupt im Profifußball spielt, ist gerade ein Fanvertreter amtierender Vereinspräsident – und weil die 50+1-Regel in Sinsheim ja auch (wieder) gilt, damit formell sogar mächtiger als Dietmar Hopp.
Christoph Henssler ist 30 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Sinsheim und arbeitet in der chemischen Industrie. Er ist ein Kopf der – zugegeben: immer noch eher kleinen – aktiven Fanszene der TSG Hoffenheim, auch wenn er sich nicht als Ultra bezeichnen möchte. Dass Henssler gerade jetzt, nach dem gesundheitsbedingten Rücktritt des an ALS-erkrankten Jörg Albrecht, amtierender TSG-Präsident wurde, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Denn Henssler wird damit mitten in der neusten Eskalation des ROGON-Streits in Hoffenheim Chef. Der Beginn des Streits, die Abberufung des langjährigen Hoffenheimer Sportgeschäftsführers Alexander Rosen, hatte ihn im vergangenen Jahr überhaupt erst zu einer Kandidatur motiviert.
Kurzer Exkurs: Roger Wittmann, heute 65 Jahre alt, würde sich vermutlich als einen der erfolgreichsten Spielerberater Deutschlands bezeichnen. Nicht völlig zu Unrecht. Mit Julian Draxler gehört ein Weltmeister zu seinen Klienten, auch Jermaine Jones, Kevin Kurany oder Roberto Firmino hat(te) der Schwager von Mario Basler bereits unter Vertrag. Sein aktuell bekanntester Klient dürfte aber Joelinton sein, der bei Newcastle United spielt. Aus der Bundesliga kennt man Fisnik Asllani von der TSG Hoffenheim oder Marcel Sabitzer von Borussia Dortmund. Aber bei allem Renommee, das seine Klienten vermuten lassen, gibt es seit Jahrzehnten immer wieder auch Kritik an Wittmann. Und die geht so: Wittmann versuche zielgerichtet möglichst viele seiner Spieler bei einem Verein unterzubringen, um so möglichst viel Einfluss auf diesen ausüben zu können. Klar, wenn vier oder fünf der wichtigsten Spieler einer Mannschaft von Wittmanns Agentur ROGON kommen, hat dieser in Verhandlungen mächtige Druckmittel. Beim 1. FC Kaiserslautern wurde dem damaligen Vorstand Jürgen Friedrich sogar aufgrund horrender Berater-Honorare für ROGON die Entlastung verweigert, nachdem der Klub eine Insolvenz nur um Haaresbreite vermeiden konnte. Gleich mehrere deutsche Vereine, wie eben der 1. FC Kaiserslautern und Schalke 04, nach der unrühmlichen Nicht-Vertragsverlängerung des – wir erinnern uns – vermeintlichen Weltklassespielers Max Meyer, nahmen sich darum in der Vergangenheit bereits vor, nicht mehr oder nur noch möglichst wenig mit Wittmann zu tun zu haben.
Bei der TSG Hoffenheim gab es ähnliche Strömungen. Nicht nur die aktive Fanszene, die Wittmann vorwirft, als „Enkeltrick“-Betrüger gegenüber Hopp aufzutreten. Sondern auch interne Verantwortungsträger des Klubs. Und rund um die eskalierte die Situation zuletzt völlig: Denn im Sommer diesen Jahres kommt es wegen Wittmann zum Bruch zwischen Hopp und der Geschäftsführung der TSG Hoffenheim. Die Geschäftsführer sprachen gegen Wittmann ein Hausverbot aus, zuvor soll dieser Mitarbeiter der Geschäftsstelle bedrängt und beleidigt haben. Man wolle sich vom Spielerberater emanzipieren, eigenständig werden, hieß es.
Wittmann klagt gegen das Hausverbot. Und der Prozess wird spektakulär: Die Anwältin von Wittmann deutete während des Prozesses an, eine eidesstattliche Erklärung vorlegen zu können, wonach Wittmann die ihm vorgeworfene Beleidigung niemals ausgesprochen habe – blöd nur, dass die Anwälte der TSG-Geschäftsführung ihr zuvorkommen und eine Tonbandaufnahme vorlegen können, auf der genau diese Aussage zu hören ist. Wittmann gibt die eidesstattliche Erklärung dann doch nicht ab, bietet aber eine Unterlassungserklärung für die Zukunft an. Die lehnt wiederum die TSG ab. Also muss das Gericht entscheiden. Das Urteil: Ein Stadionverbot gegen Roger Wittmann sei kein zulässiges Mittel gewesen, er müsse Zutritt zu seiner Loge bekommen. Das Hausverbot auf dem Trainingsglände aber darf bestehen bleiben. Ein Teilerfolg – für beide Seiten. Vorbei ist die Auseinandersetzung damit aber noch nicht. Dietmar Hopp zum Beispiel bezeichnete das Hausverbot als „große Schweinerei“ und ärgerte sich, dass er dagegen „nichts machen“ habe können. Auch gegen die Geschäftsführung teilte er aus: „Eigentlich will ich keine Rolle mehr spielen, aber ich muss, weil es sonst nicht vorwärtsgeht.“ Er treffe darum „immer noch die wichtigsten Entscheidungen“. Bis auf Sportvorstand Sicker ließ er zuletzt sogar die übrigen Geschäftsführer entlassen.
Jetzt also steht Hopp einem TSG-Fan gegenüber. Wie wird Christoph Hennsler, der die Rolle nur interimistisch übernimmt, sein Amt ausfüllen? Wird er sich wegducken? Oder seinen Einfluss nutzen, um den e. V. als eigenständigen Akteur neben Dietmar Hopp zu positionieren? Es sind die vielleicht spannendsten Wochen bei der TSG Hoffenheim seitdem Dietmar Hopp da als Mäzen eingestiegen ist.
