Schon seit geraumer Zeit Deniz Undav rassistisch und ethnisch motiviert beleidigt. Nach dem Europa-League-Spiel des VfB Stuttgart am Donnerstagabend beim türkischen Vizemeister Fenerbahçe hätten die Anfeindungen aber „einen neuen Höhepunkt“ erreicht, teilten die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus (IAKR) und der Zentrale Menschenrechtsrat der Kurd*innen in Deutschland (ZMRK) auf Instagram mit. Undav sehe sich „seit Monaten gezielten rassistischen und ethnisch motivierten Anfeindungen ausgesetzt – insbesondere aus Teilen der türkischen Community und Fangemeinschaft“, schrieben die Organisationen. Beim Spiel gegen Fenerbahçe gab es wiederholt beleidigende Sprechchöre gegen Undav, auch Spieler der Instanbuler sollen den Nationalspieler beleidigt haben. Bislang war der Hass vor allem online über Deniz Undav hereingebrochen.

Undav ist kurdisch-stämmiger Jeside und gilt damit vielen türkischen Nationalist*innen als offenes Feindbild. Zum Kontext: Seit etwas über einem Jahr wird in der Türkei zwar über einen neuen Friedensprozess diskutiert. Die als kurdische Terrororganisation geltende PKK hat in diesem Zusammenhang im Frühjahr diesen Jahres sogar ihre Waffen niedergelegt. Im Parlament wiederum wurde eine Kommission gebildet, die Vorschläge für eine neue Kurdenpolitik erarbeiten soll. Und dennoch: „Lockerungen im Umgang mit dem Thema gibt es bisher nicht“, sagt Amke Dietert, Türkei-Expertin von Amnesty International. Auch Jesiden werden in der Türkei an vielen Stellen diskriminiert. Kurd*innen, die sich für Gleichberechtigung engagieren, wird ständig die Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen vorgeworfen. Auch gegen Undav gibt es in der Türkei das Gerücht, er sei PKK-Sympathisant. Eine Lüge.

Beim Spiel gegen Fenerbahçe wurde auch Undavs Mutter beleidigt. Außerdem zeigten viele „Fans“ im Stadion und den Kommentarspalten auf social Media das Symbol der rechtsradikalen, faschistoiden Grauen Wölfe. „In der Folge entbrannten in den sozialen Medien erneut rassistische und antikurdische Hetzkampagnen gegen den in Niedersachsen geborenen Fußballer“, schrieben IAKR und ZMRK. Undav hatte sich einst für die DFB-Auswahl und gegen Länderspiele für die Türkei entschieden. „Ich wusste, dass ich bei zwei, drei schlechten Spielen für die Türkei komplett durchbeleidigt worden wäre“, sagte Undav selbst dazu. Und hat damit wohl Recht.

Wie aber geht die Uefa mit dieser rassistischen Gewalt gegen Deniz Undav um? Die erschütternde Antwort: Sie tut gar nichts.

Der Kontinentalverband erklärt auf Anfrage: Weder im Bericht von Schiedsrichter Jakob Kehlet noch in den Ausführungen des Matchdelegierten seien die Vorfälle erwähnt, was eine Verfolgung des Themas unmöglich mache. Aber stimmt das? Es ist jedenfalls kaum zu glauben, dass ein eigens abgesandter Spielbeobachter nichts von den Auseinandersetzungen mitbekommen haben will, die selbst für alle Fernsehzuschauer*innen offensichtlich waren. Hinzu kommt, dass es ja mit den Gelben Karten für Undav und Yüksek, die im Zuge der Beleidigungen gegen Undav in der Nachspielzeit aneinander geraten waren, sogar einen spielbezogenen Anlass gegeben hätte, genauer hinzuschauen, was denn ursächlich dafür gewesen ist. Denn die Rechtspflegeordnung der UEFA erachtet neben der Einvernahme von Zeugen auch Fernseh- und Videoaufzeichnungen als zulässige Beweismittel.

Mindestens zehn Spiele Sperre sieht die Rechtspflegeordnung übrigens bei Rassismus und anderem diskriminierendem Verhalten vor. Wenn aber trotz konkreter Hinweise wie im Nachgang des Duells zwischen Fenerbahce und dem VfB keine Ermittlungen angestellt werden, erweckt das den Eindruck, dass es lediglich darum geht, Werte vor sich herzutragen, immerhin fährt die Uefa seit 15 Jahren eine „No to racism“-Kampagne – sie im Zweifel aber nicht proaktiv schützen zu wollen. Wer Werte aber bloß zur Selbstinszenierung nutzt, verrät sie.

Dafür spricht auch, dass es bei der Uefa kaum personelle Ressourcen für den Kampf gegen Rassismus gibt. Gut informierten Personen zufolge haben die in Nyon für Disziplinarverstöße zuständigen Menschen pro Saison mit einer fünfstelligen (!) Zahl an Verfahren in ihren Klubwettbewerben zu tun. So können gar nicht alle Vorgehen verfolgt werden. Die Uefa muss also zwingend ihre Rechtsabteilung aufstocken.

Für Deniz Undav kämen diese Maßnahmen aber schon zu spät. Er ist Opfer einer komplett krassen Hass- und Hetzkampagne geworden – aufgrund von Rassismus. Und das vor den Augen der Uefa. Der Kontinentalverband sollte sich schämen. Und endlich anfangen zu Handeln!

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Von admin