380 Kinder und Jugendliche spielen in Essen Eishockey. Das ist eine ziemlich hohe Zahl. „Das finden wir in Nordrhein-Westfalen nicht allzu häufig. Essen ist einer der wenigen Standorte mit so einer hohen Anzahl an Kindern“, erklärt Björn Breuer, Präsident des Eishockey Verbandes NRW. „Sie spielen im Nachwuchs in höheren Ligen. Wenn wir uns die Geschichte anschauen, war das nicht immer der Fall. Das verdeutlicht die sehr gute und nachhaltige Nachwuchsausbildung in Essen.“
Aber ihr Verein, die Moskitos Essen, steht vor dem Aus. Dabei ist Essen ein Traditionsstandort im deutschen Eishockey. Schon seit 1935 wird in der Ruhrgebietsstadt geskated. Die Krise ist dabei seit vielen Jahren ein kostanter Begleiter: Bereits 1968, 1975, 1976, 1983 und 1994 hatte sich der Essener Eissportclub neu gründen müssen, immer gelang es dabei, die Kontinuität der Vorgängervereine zu wahren und so eine bedeutsame Tradition aufrecht zu erhalten. 1999 wurden die Moskitos Essen sogar Bundesliga-Meister, viele Jahre spielten sie erstklassig, die Eissporthalle am Westbahnhof ist noch immer die modernste im ganzen Ruhrgebiet. In den letzten Jahren machte strebte der Verein unter seinem Vorsitzenden Thomas Böttcher sogar nach einer Rückkehr in die DEL, zumindest in die zweitklassige DEL2, jetzt aber verweigerte der Deutsche Eishockey Bund die Oberliga-Lizenz.
Das war passiert: Anfang des Jahres wurde klar, dass die Moskitos Essen rund 150.000 Euro im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung für die Jahre 2015 bis 2020 an das Finanzamt nachzahlen müssen. Mit weiteren Forderungen von bis zu einer Viertel Million Euro rechnet man. Ursprünglich hatte der Betrag sogar bei fast einer halben Millionen Euro gelegen. Schon 2020 als der heutige Moskitos-Boss Thomas Bötcher, dem gerade eine ganz pikante Rolle zuteil wird, den Vorsitz im Verein übernahm, hatten seine Vorgänger einen Schuldenberg von einer halben Million angehäuft. Irgendwie gelang es trotzdem, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Nach der laufenden Saison halfen ein Crowdfounding, ein Spendenlauf und viele weitere kreative Aktionen, um kurzfristig Kapital zu generieren.
Doch noch einen Fehler hatten Böttcher und seine Mitstreiter gemacht: Vor der letzten Saison, genauer gesagt im laufenden Lizensierungsverfahren für die Oberligaspielzeit 2014/25, gliederten die Moskitos Essen den Spielbetrieb ihrer Oberliga-Mannschaft aus dem Verein in eine GmbH aus. Damit sollte es leichter werden, neue Investoren zu gewinnen und gleichzeitig den Verein mit seiner wichtigen Nachwuchsarbeit zu schützen. Das gelang auch: Die Moskitos Essen konnten neue Sponsoren gewinnen. Doch dann meldete das Finanzamt gegenüber dem Verein die besagten Ansprüche an. Und Böttcher musste reagieren: Denn „hätten wir die Zahlungen damals nicht ordnungsgemäß und fristgerecht geleistet, hätte es die Moskitos einen Tag später nicht mehr gegeben.“ Also „sind wir hingegangen und haben Verträge mit Sponsoren unter Berücksichtigung von Compliance auf den e.V. umgeschrieben, damit die kompletten Summen auf den e. V. übergegangen sind, um ausschließlich den eingetragenen Verein zu retten“, erklärt der Vorsitzende. Das gelang auch. Aber die Spielbetriebs-GmbH wurde auf diese Weise insolvent und abgewickelt.
Klingt eigentlich wie das logischte vorgehen, kostete die Moskitos beim Deutschen Eishockey Bund, der für die Oberliga verantwortlich ist, das Vertrauen: Denn nachdem die Moskitos auch im letzten Jahr die Lizenz für den e. V. beantragten, den Spielbetrieb dann aber über die inzwischen insolvente GmbH abwickelten, musste der DEB bei der diesjährigen Lizensierung auch die Situation der GmbH berücksichtigen. In der Begründung der Lizenz-Ablehnung heißt es darum folgerichtig: „Die Grundlage für die Zulassungsentscheidung der ‚Moskitos Essen‘ für die Saison 2024/2025 war anders gelagert, als die Abwicklung des Spielbetriebs tatsächlich erfolgte. Vor diesem Hintergrund können die eingereichten Unterlagen für den Moskitos Essen e.V., mit welchen die Zulassung für die bevorstehende Saison beantragt wurde, nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im unmittelbaren Kontext der Unterlagen der ESC Moskitos Spielbetriebs GmbH & Co KG zu bewerten.„ In der Folge gab es dann eben keine Oberliga-Lizenz.
Heißt: Ein von Schulden regelmäßig fast erdrückter Verein wird mindestens bis in die viertklassige Regionalliga fallen. Doch den Regionalliga-Spielbetrieb können die Moskitos in ihrer jetzigen Form unmöglich stemmen. Seine digitale Geschichte hat der Verein dabei bereits gelöscht: Auf dem Instagram-Account der Moskitos wurden alle Beiträge entfernt. Und damit sind wir bei der pikanten Rolle die Böttcher gerade spielt: Denn Beobachter*innen werten das als ein Zeichen, dass sich im Hintergrund etwas tut, dass etwas vorbereitet wird. Vor allem bei den Fans schürt das Hoffnungen, dass kurzfristig ein neugegründeter Verein die Essener Eishockey-Tradition übernimmt. Moskitos-Chef Thomas Böttcher dementiert diesen Plan zumindest nicht: „Wir haben uns natürlich im Hintergrund auf das Szenario Neustart vorbereitet. Es wäre ja auch fahrlässig, angesichts der belastenden Nachzahlungen, die auf den ESC Moskitos e. V. zukommen, dies nicht zutun.“ Ein rechtlich eigenständiger neuer Verein soll die Eishockeytradition in Essen fortschreiben. Neu ist dieser Ansatz, wie erwähnt nicht.
Doch kann ein neugegründeter Verein dann wenigstens auch direkt in der Regionalliga weiterspielen? Immerhin hier gibt es seit gut einer Woche Gewissheit: Der Eishockeyverband NRW hat letzten Mittwoch nämlich mitgeteilt, dass ein „Verein am Standort Essen“ in der neuen Saison in der Regionalliga West starten wird. Auch die Nachwuchsmannschaften von der U7 bis zur U15 behalten ihre Startplätze in ihren Ligen. Die Tür durch die Durchführungsbestimmungen des Landesverbands war für einen neuen Essener Eisverein ohnehin immer geöffnet: Die Einteilung in eine höhere Liga könne erfolgen, sofern dies „sportlich und organisatorisch“ vertretbar sei, heißt es darin nämlich – in den Augen der Obleute und des Präsidiums war dies insbesondere wegen der Top-Nachwuchsarbeit der Essener der Fall. Die Vereine der Regionalliga West waren in die Entscheidung, Essen zur neuen Saison zuzulassen, nämlich ebenfalls bereits mit eingebunden. In einer Videokonferenz mit den Klubs wurden zwar Bedenken geäußert, diese jedoch gemeinsam ausgeräumt, teilte der EHV NRW mit: „Ein Veto aus dem Kreis der Vereine wurde nicht erhoben.“
Denn der Landesverband stellte sich bei der Entscheidung die Frage nach der Perspektive der Kinder und Jugendlichen, wenn er die erste Mannschaft nur zur Bezirksliga zugelassen hätte. In diesem Fall hätten viele Nachwuchsspieler dem Westbahnhof wohl den Rücken zugekehrt. „Das sind Aspekte, die wir berücksichtigen mussten: Wo würden die Kinder hingehen? Was passiert, wenn sie keine Perspektive sehen“, erklärt Breuer. Würden sie vielleicht nicht nur woanders Eishockey spielen, sondern sich sogar eine neue Sportart suchen? Das wäre für den deutschen Eishockey der Super-Gau, findet Breuer und sagt deswegen: „Das sind die organisatorischen Punkte, die für uns mit Blick auf die Erhaltung des Standorts sehr wichtig sind.“ Der EHV NRW will sich deswegen auch dafür einsetzen, dass die U20 der Essener ihren Startplatz in der Nachwuchselite-Liga DNL behält, ihr ist jedoch der DEB für die Vergabe zuständig.
Anders als die anderen Regionalliga-Mannschaften mussten die Verantwortlichen des neuen Essener Vereins, die den Neuanfang im Hintergrund vorbereiten, allerdings einen Haushaltsplan für die neue Saison hinterlegen, den der Landesverband geprüft hat. Das ist in der Regionalliga anders als in der Oberlliga normalerweise nicht erforderlich. Hier aber will man einen erneuten Crash im anstehenden 91. Essener-Eishockey-Jahr vermeiden. „Die finanzielle Struktur ist in dem Haushaltsplan nachgewiesen. Daher verzichten wir auf eine Bürgschaft, weil wir uns sicher sind, dass die Essener die Saison ohne Probleme überstehen werden“, versichert Breuer.
Stellt sich die Frage, wie es sportlich mit der ersten Essener Mannschaft weiter gehen wird, immerhin hatte man am Westbahhof bis zuletzt ja eigentlich große Pläne. Doch Breuer macht klar, dass dem Landesverband grundsätzlich ein „gesunder Vereinsaufbau“ wichtig ist. Einen Essener Aufstieg schon im Sommer 2026 würde der EHV NRW daher nicht unterstützen wollen. „Das wäre kontraproduktiv“, findet Breuer. „Zwei Jahre sind nötig mit Blick auf die gesamten Strukturen und Prozesse dahinter, um überhaupt wieder richtig aufgestellt zu sein, um dann aufsteigen zu können.“ Aber: Verbieten kann der Landesverband Essen einen Aufstieg nicht. Wenn sich der neue Verein für die Oberliga qualifizieren würde und den Aufstieg schon im nächsten Sommer anstrebt. Denn die Regionalliga-Vereine besitzen grundsätzlich ein Aufstiegsrecht, können davon Gebrauch machen, wenn sie sich sportlich als Playoff-Sieger qualifizieren, und sich beim DEB für die neue Saison melden. Ein Aufstiegsverbot oder eine verbindliche Vereinbarung zwischen dem Landesverband und dem neuen Verein gibt es nach unseren Informationen darum nicht.
Starten wird die neue Regionalliga Saison vermutlich Anfang Oktober, bis Ende Februar werden die Spiele dann angesetzt. Bis dahin wird dann auch die letzte große Frage geklärt sein: Unter welchem Namen der nächste neue Essener Eishockeyverein antreten wird – und ob er sich in der Tradition seiner Vorgänger sieht.