Manchmal schreibt der Fußball rund um einzelne Spiele ganz besondere Geschichten – absurd oder bewegend. Auf FanLeben.de rekonstruieren wir diese Geschichten und halten so die Erinnerung am Leben. Nachdem wir bislang über das Spiel Barbados und Grenada 1994, bei dem beide Mannschaft unbedingt ein Eigentor erzielen wollten, die Rückkehr von Erzgebirge Aue auf die internationale Bühne, über die tragische Geschichte der torreichste Begegnung aller Zeiten, über einen Schiedsrichter und seine Zahnprothese berichtet haben und über das gewaltätigste Spiel der WM 1954 berichtet haben, geht es heute – passend zur Länderspielpause – um ein weiteres kurioses WM-Spiel. Los gehts!
Valladolid, Juni 1982. Es ist ein heißer Abend in Spanien, und Frankreich spielt gegen Kuwait in der Vorrunde der Weltmeisterschaft. Es steht 3:1 für die Franzosen, als Michel Platini mit einem Pass die Abwehr der Kuwaitis aushebelt. Alain Giresse läuft durch, trifft zum 4:1 – eigentlich ein reguläres Tor. Eigentlich.
Doch plötzlich bleibt alles stehen. Die kuwaitischen Spieler protestieren wild, zeigen auf die Tribünen. Sie behaupten, sie hätten einen Pfiff gehört, der aus dem Publikum gekommen sei, und deshalb aufgehört zu spielen. Der sowjetische Schiedsrichter Myroslaw Stupar zeigt zunächst auf den Mittelpunkt. Dann betritt jemand den Rasen, der dort nichts zu suchen hat – und doch alles verändert: Scheich Fahad Al-Ahmad Al-Sabah, Präsident des kuwaitischen Fußballverbands und Bruder des Emirs.
Der Scheich schreitet, umringt von Funktionären, in weißem Gewand und Sonnenbrille, bis zur Mittellinie. Es ist eine Szene wie aus einem absurden Theaterstück: Der Schiedsrichter lässt sich auf eine minutenlange Diskussion ein. Zuschauer pfeifen, Spieler stehen ratlos herum. Schließlich – unfassbar, aber wahr – nimmt Stupar das Tor zurück. Frankreich bleibt beim 3:1, doch kurz darauf erzielt Maxime Bossis das 4:1 erneut, diesmal unanfechtbar.
FIFA-Funktionäre reagieren entsetzt. Scheich Fahad musste sich öffentlich entschuldigen und wurde später zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Franken verurteilt, Stupar nie wieder zu einem internationalen Spiel eingeladen. Die Szene bleibt dennoch legendär: als Moment, in dem Macht, Einfluss und Eitelkeit den Fußball für ein paar Minuten in eine Farce verwandelten. Auch wenn Schiedsrichter Stupar sich vor zehn Jahren immer noch im Recht sah, 2015 sagte er nämlich in einem Interview: „Ich nahm den Ball, zeigte auf die Tribüne, sagte den Kapitänen: ‚Schiedsrichterball‘, und ließ an der Stelle weiterspielen. 24 Jahre später schrieb die FIFA in ihre Leitlinien genau dieses Verfahren – am Ende hatte ich also recht.“ Was stimmt: Wenn das Spiel von außen unterbrochen oder in einer Fortsetzung gravierend beeinflusst wird (und falsche Pfiffe können dazu gehören), darf ein*e Schiedsrichter*in die Partie unterbrechen und mit Schiedsrichterball fortsetzen. Damals war das halt nur noch nicht vorgesehen. Und vor allem war nicht vorgesehen, dass ein Scheich höchstselbst auf dem Rasen intervenierte.
Die Szene wirkt dabei auch deswegen so kurios, weil sie heute wie eine selbsterfüllende Vorraussage zur Zukunft der FIFA wirkt: Fremdgesteuert, abhängig von autoritären Regimen, die mit viel Geld den Fußball bestimmen. Nur, dass der Emir von Katar oder der Kronprinz von Saudi-Arabien nicht auf den Platz laufen müssen, um Einfluss auf den FIFA-Präsidenten zu nehmen – heute gibt es dafür ja Hinterzimmer.
Frankreich zog übrigens trotzdem noch ins Halbfinale, verlor da aber im Elfmeterschießen gegen Deutschland und im Spiel um Platz drei gegen Polen. Kuwait wiederum schied nach der Gruppenphase aus und qualifizierte sich auch nie wieder für eine WM-Endrunde.
Vier Jahrzehnte später wirkt das Geschehen wie eine Parabel auf die Verflechtung von Politik und Sport. Es ist ein Spiel, das weniger wegen seiner Tore in Erinnerung blieb – sondern wegen eines Mannes, der glaubte, dass er auf dem Spielfeld ebenso regieren könne wie zuhause im Palast.