Manchmal schreibt der Fußball rund um einzelne Spiele ganz besondere Geschichten – absurd oder bewegend. Auf FanLeben.de rekonstruieren wir diese Geschichten und halten so die Erinnerung am Leben. Nachdem wir bislang über das Spiel Barbados und Grenada 1994, bei dem beide Mannschaft unbedingt ein Eigentor erzielen wollten, die Rückkehr von Erzgebirge Aue auf die internationale Bühne und über die tragische Geschichte der torreichste Begegnung aller Zeiten berichtet haben, geht es heute um einen Schiedsrichter und seine Zahnprothese. Es ist Zeit für Regelkunde. Los gehts!

Die Geschichte ist ziemlich kurios und in Deutschland noch weitesgehend unbekannt. Kein Wunder: Es geht um ein lokales Pokalspiel zwischen zwei Amateurmannschaften im dänischen Hinterland. Ebeltoft spielte im Finale, vermutlich im Jahr 1960, also vor genau 65 Jahren, gegen Noerager. Ein Derby. Für den Amateurfußball viele Fans. Und ein Spiel, das alle Anwesenden nicht mehr vergessen werden.

Das Spiel war knapp. 3:4 stand es für die Gäste aus Noerager, als die letzten Sekunden liefen. Die Mannschaft aus Ebeltoft setzte alles auf eine Karte, versuchte irgendwie noch zum zum Ausgleich zu kommen. Dann ging alles ganz schnell:

Angriff.

Flanke.

Kopfball.

Tor.

Jubel – Der Ausgleich, in der allerletzten Sekunde des Spiels.

Jubel?

Das war während des Spielszugs auch noch passiert: Während der Ball im Netz zappelte, herrschte beim Schiedsrichter Ratlosigkeit – oder besser gesagt: Zahnlosigkeit. Denn gerade als Ebeltoft zum entscheidenen Angriff ansetzte, wollte er das Spiel eigentlich schon abpfeifen. Doch just in dem Moment, als er zum Schlusspfiff ansetzen wollte und der Ebeltofter Konter begann, rutschte ihm seine Zahnprothese aus dem Mund. Panisch ließ er der Unparteische seine Pfeife fallen und begab sich auf alle Viere, um seine dritten Zähne auf dem Rasen zu suchen.

Und – naja – was in dieser Zeit auf dem Spielfeld geschah hatte er so natürlich nicht mitbekommen.

Die Jubeltraube, die sich rund um die Elbeltofter Mannschaft in der Zwischenzeit gebildet hatte, nahm er darum auch erst einmal ziemlich verwirrt zur Kenntnis. Seine Auffassung war nämlich die: Noerger hatte 3:4 gewonnen, kein Grund zu Jubeln für das Heimteam.

Die Spieler von Elbeltoft klärten ihn über ihren Treffer auf. Doch der Schiedsrichter war hart. Seine Regelauffassung: Sein Abpfiff, auch wenn man ihn nicht hören konnte, war gültig. Das späte Ausgleichstor zählt nicht. Für Ebeltoft war die Entscheidung ein Tiefschlag. Kein Protest half. Es gab auch keinen Videobeweis im Stadion – nur einen ehrbarer dänischer Zahnarzt, der später in der Kabine den Schaden begutachtete. Zumindest den im Mund des Schiedsrichters. Auf dem Rasen blieb es dabei: Noerager gewann 4:3, nicht wegen eines Treffers, sondern wegen eines nicht gesehenen.

Aber wie würde die Szene heute entschieden werden? Nehmen wir an, ein FIFA-Referee verliert einen Zahn im WM-Finale.

Wir wagen uns vor ins Herz des modernen FIFA-Regelwerks, konkret in die „Laws of the Game“ der IFAB, auf deren Grundlage alle Fußballspiele entschieden werden. Entscheidend ist, wie „der Abpfiff“ überhaupt definiert ist – und was passiert, wenn die Pfeife fehlt oder nicht hörbar ist.

In Regel 5 des Regelwerks geht es um den Schiedsrichter. Darin heißt es: „Der Schiedsrichter entscheidet über Beginn und Ende der Halbzeiten.“ Spricht erst einmal für die Auslegung des dänischen Unparteischen. Doch im Regelbuch geht es noch weiter: Der Abpfiff muss nämlich „klar und unmissverständlich“ mit einem „akustischen Signal“, also in der Regel mit der Pfeife, angezeigt werden. Der Schiedsrichter, macht die FIFA unmissverständlich klar, kann nicht „im Kopf“ abpfeifen oder „nur denken, dass er wollte“. So sollen Missverständisse, aber auch jede Anfälligkeit für Korruption ausgeschlossen werden.

Das bedeutet: Wenn dem Schiedsrichter die Pfeiffe herunter fällt, wenn er gerade abpfeiffen möchte, dann gilt der Versuch des Abpfiffs nicht als Abpfiff. Und wenn in der Zeit zwischen Pfeiffen-Fall, Wiederaufheben und tatsächlich abpfeiffen ein Tor fällt, dann zählt es. Heißt: Regulär hätte es zwischen Ebeltoft und Noerager in die Verlängerung gehen müsen. Das ist bitter.

Für den Fußballverein aus Ebeltoft hatte es jedoch keine drastischen Konsequenzen. Der Klub besteht bis heute und leistet für Mädchen und Jungen aus Dänemark umfangreiche Nachwuchsarbeit. Projekte wie „Pigeraketten“ und „Åben Skole“ fördern dabei insbesondere Mädchenfußball und Kooperationen mit örtlichen Schulen. Außerdem hält der Verein das DBU-Børneklub-Zertifikat für Kinderfreundlichkeit. Auf regionaler Ebene sind zudem drei Seniorenmannschaften im Spielbetrieb. Das kann sich sehen lassen.

Und hey: Sie alle sind Teil der Legende eines der kuriosesten Fußballspiele aller Zeiten.

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Von admin